Bluthochdruck
Stiller Killer
Die Zahl der Menschen, die unter Hypertension leiden, steigt in den Städten wie auf dem Land. Wissenschaftler machen veränderte Lebens- und Ernährungsgewohnheiten und die Urbanisierung dafür verantwortlich. Eine Rolle spielen auch die steigende Lebenserwartung und die Tatsache, dass der Blutdruck im Alter generell ansteigt.
Genaue aktuelle Statistiken gibt es kaum. Vor ein paar Jahren wurden vorhandene Studien in einer systematischen Metastudie ausgewertet (Anchala et al., 2014). Die Erkenntnis: „Etwa 33 Prozent der in Städten lebenden und 25 Prozent der auf dem Land lebenden Inder haben Bluthochdruck – und von diesen wissen nur 25 Prozent der Landbewohner und 42 Prozent der Städter, dass sie krank sind. Lediglich ein Viertel der auf dem Land lebenden und rund 40 Prozent der städtischen Hypertoniker sind in Behandlung. Einer von zehn Betroffenen auf dem Land und jeder Fünfte der Städter hat seinen Bluthochdruck im Griff.“ Experten vermuten, dass sich die Lage inzwischen verschlechtert hat.
In einer weiteren Studie untersuchte ein Forscherteam fast 50 Dörfer und 20 städtische Gebiete in einem zentralindischen Distrikt (Bhadoria et al., 2014). Sie fanden heraus, dass 17 Prozent von mehr als 900 Befragten hohen Blutdruck hatten. Die Prävalenz betrug mehr als 21 Prozent im städtischen Raum und fast 15 Prozent auf dem Land. Zentralindien ist nicht unbedingt repräsentativ, aber es ist weitgehend ländlich und unterentwickelt, und die Städte haben dörflichen Charakter. Der Studie nach waren die Ursachen von Bluthochdruck körperliche Inaktivität, Alter, hoher Salz- und Tabakkonsum, Übergewicht und Fettleibigkeit.
Die Forscher betonten: „Es besteht großer Bedarf an umfassenden Gesundheitsprogrammen, die eine Änderung der Lebensgewohnheiten fördern.“ Langzeitdaten zeigten, dass die Bluthochdruck-Prävalenz bei Dorfbewohnern „in den letzten drei bis sechs Jahrzehnten“ um das Zehnfache, bei Städtern sogar um das 30-fache gestiegen sei.
Die Nationalregierung weiß um das Problem der nichtübertragbaren Krankheiten (non-communicable diseases – NCDs). Im vergangenen Jahr wurde das nationale Programm zur Prävention und Bekämpfung von Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall etabliert. Damit will man:
- auf Bezirksebene handeln,
- gesundes Verhalten fördern,
- Risikogruppen untersuchen, um die Krankheit frühzeitig zu erkennen, und
- Patienten behandeln und notfalls an andere Einrichtungen verweisen.
Das Ministerium für Gesundheit und Familie erklärte stolz, Indien sei „das weltweit erste Land“, das das globale Monitoring-Rahmenwerk und den Aktionsplan der WHO auf nationaler Ebene etabliert hat.
Das sind gute Ansätze: Screening-Programme, um Bluthochdruck zu erkennen, sind sinnvoll. Allerdings sind auch die Vorstadien von Hypertonie wichtig. Oft ahnen die Menschen gar nicht, dass sie gefährdet sind. Gesundheitsfachkräfte sollten sie auf lokaler Ebene unterstützen, etwa bei der Anpassung ihrer Lebensgewohnheiten an ihre gesundheitlichen Bedürfnisse und der regelmäßigen Überprüfung ihres Gesundheitszustands. Um das Bewusstsein für nichtübertragbare Krankheiten zu schärfen, sollten die Menschen in allen Bildungs- und Sensibilisierungsprogrammen darüber informiert werden.
Private Gesundheitsversorgung in den Städten
Das Problem ist, dass das staatliche Gesundheitssystem Indiens seit jeher schwach und überlastet ist. Es gab zwar Verbesserungen, aber es bestehen nach wie vor große Mängel (siehe Ipsita Sapra zu Müttersterblichkeit in E+Z/D+C e-Paper 2017/8, S. 21). Arme Patienten haben oft keinen Zugang zu medizinischer Versorgung – die meisten vertrauen den Gesundheitseinrichtungen ohnehin nicht. Ein landesweites NCD-Screening und entsprechende medizinische Unterstützung sind Zukunftsvisionen, aber heute leider nicht zuverlässig verfügbar.
Kein Wunder, dass private Gesundheitsversorgung in Indien ein gigantischer Markt ist. Es ist grundsätzlich kein Problem, einen Termin bei einem guten Kardiologen oder Mediziner zu bekommen – wenn man es sich leisten kann. Fachärzte gibt es in allen großen Ballungszentren wie Kalkutta, Mumbai oder Chennai. Spezialkliniken und private Anbieter sind auch in kleineren Städten zu finden. In abgelegenen Gebieten, wo kein Gewinn zu erwarten ist, sieht es jedoch schlecht aus.
In der Stadt erhalten Patienten zwar zuverlässige medizinische Beratung, doch raten die Ärzte gerne zu unnötigen und teuren klinischen Untersuchungen. Das tun besonders Ärzte, die für eine der großen Medizinunternehmensketten arbeiten. Es gibt unzählige Geschichten über unnötige Klinikaufenthalte und überteuerte Rechnungen.
Die Indische Medizinische Gesellschaft (IMA) kontrolliert den Gesundheitsmarkt offenbar nicht wirklich. Im Grunde können Unternehmer tun, was sie wollen. Zudem haben die Patienten keine Lobby, die ihre Interessen vertreten könnte.
Viele Inder aus der Mittelschicht haben eine Krankenversicherung, die Klinikaufenthalte und teure Behandlungen übernimmt. Arztbesuche, Tests oder Medikamente zahlen die Familien aber aus eigener Tasche – und das belastet sie finanziell oft enorm.
Ärzte empfehlen regelmäßigen Sport, aber das ist vielen kaum möglich. Fitnessstudios sind teuer, und wegen Verkehr, Staus und Luftverschmutzung kann man nicht auf den Straßen laufen. Öffentliche Parks sind klein oder werden für politische Veranstaltungen und Werbeveranstaltungen genutzt. In westlichen Städten ist Radfahren inzwischen Mode, in Indien bleibt es gefährlich. Mit Bluthochdruck zu leben ist hart, selbst wenn man sich eine private Gesundheitsversorgung leisten kann.
Sandip Chattopadhyay ist Gründungssekretär des Chandradeep Solar Research Institute in Kalkutta.
info@csrinstitute.co.in
Links
Anchala, R., et al, 2014: Hypertension in India: a systematic review and meta-analysis of prevalence, awareness, and control of hypertension.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4011565/
Bhadoria, A.S., et al, 2014: Prevalence of hypertension and associated cardiovascular risk factors in Central India.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3966094/