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Kulturpflanzen

Weshalb vernachlässigte Kulturpflanzen wichtig sind

Traditionelle Nutzpflanzen sind oft nährstoffreich und resilient, weil sie an örtliche Ökosysteme gut angepasst sind. Die Hochertragslandwirtschaft und die Ernährungsindustrie stützen sich aber nur auf eine Handvoll weltweit kultivierter Sorten. Diese Einseitigkeit ist umweltschädlich und beeinträchtigt die Ernährungssicherheit.
Teffernte in Äthiopien 2023: Die vernachlässigte Nutzpflanze ist dort ein Grundnahrungsmittel. picture-alliance/Bildagentur-online/Sunny Celeste Teffernte in Äthiopien 2023: Die vernachlässigte Nutzpflanze ist dort ein Grundnahrungsmittel.

Weizen, Mais und Reis dominieren die Ernährung weltweit. Sie decken fast zwei Drittel des Kalorienbedarfs der Menschheit. Mehr als die Hälfte der gesamten Ackerfläche dient ihrem Anbau.

Diese erstaunliche Unausgewogenheit hat miteinander verwandte Gründe. Dazu gehören die Industrialisierung von Agrarwirtschaft und die Verarbeitung sowie die selektive Prioritätensetzung in Agrarforschung und Züchtungsprogrammen.

Dieser Konzentrationsprozess hatte einige Vorteile, aber auch viele Nachteile. Einerseits hat die Fokussierung auf wenige Massenprodukte in den vergangenen 75 Jahren die Bereitstellung von riesigen Mengen an Grundnahrungsmitteln zu geringen Kosten ermöglicht. Andererseits gingen – und gehen – die Ertragszuwächse bei Weizen, Mais und Reis mit erheblichen ökologischen Problemen einher.

Laut einer FAO-Schätzung von 1996 sind im Laufe des 20. Jahrhunderts rund drei Viertel aller Kulturpflanzensorten von den Feldern der Welt verschwunden. Reste der ehemals riesigen Vielfalt finden sich nur noch in geografischen und ökonomischen Nischen. Das gilt besonders für die Subsistenzlandwirtschaft abgelegener Gegenden in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen.

Globaler Konzentrationsprozess

Zunächst konzentrierte sich die öffentliche Agrarforschung auf eine kleine Zahl von Nutzpflanzen. Später gingen auch private Forschung und professionelle Züchtung dazu über. Daran passten sich Landwirtschaft, aber auch Konsumverhalten an. Die Schere zwischen Ertrag und Qualität „beforschter“ und professionell gezüchteter Pflanzen und „vernachlässigter“ Pflanzen ging immer weiter auf. Letztlich wurden „neglected and under-utilised species“ (NUS) kommerziell uninteressant.

Diese Entwicklung ist bedenklich, denn sie blockiert Entwicklungschancen. Zudem schwächt jede Reduzierung der biologischen Vielfalt Resilienz von Ökosystemen. Aus der Konzentration auf wenige Kulturpflanzen folgen ökologische wie ökonomische Risiken.

Ökologisch gefährlich ist, dass sich immer wieder Pflanzenkrankheiten und Schädlinge massenhaft ausbreiten. Das macht hohen Pestizideinsatz nötig, der aber die Artenvielfalt weiter reduziert. Auch der hohe Dünger- und Wasserbedarf der Hochertragssorten ist nicht nachhaltig.

Ökonomisch besonders bedrohlich sind Störungen oder gar Unterbrechung von Lieferketten. Die Coronapandemie oder der Ausbruch des Ukrainekriegs haben gezeigt, wie schnell derlei auf Verfügbarkeit und Preise in benachteiligten Weltgegenden durchschlägt

Drei Gruppen von Kulturpflanzen

Die tausenden essbaren Kulturpflanzenarten lassen sich grob in drei Gruppen einteilen. Es gibt gut erforschte und global nachgefragte Arten (wie etwa Weizen, Mais und Reis, aber auch Kartoffel, Apfel oder Ölsaaten wie Sonnenblume oder Palmnuss). Eine zweite Gruppe ist nur sporadisch erforscht und meist nur in bestimmten Weltgegenden verbreitet (Sorghum, Hirse, Süßkartoffel oder Okra). Schließlich gibt es die dritte Gruppe, deren Namen nur örtlich und wenigen Fachleuten bekannt sind.

Die Vernachlässigung der dritten Gruppe gefährdet heute die Ernährungssicherheit. Besonders gravierend ist, dass die Politik in der Vergangenheit auf Hungerbekämpfung nur im verengten Sinne der Versorgung mit Kalorien abzielte. Protein- und mikronährstoffreiche Kulturpflanzen wurden vernachlässigt, obwohl sie für die ausgewogene Ernährung großer Bevölkerungsschichten wichtig sind. Für etwa 2 Milliarden Menschen weltweit sind diese heute kaum noch erschwinglich.

Entwicklungsziele für Nachhaltigkeit

Aus mehreren Gründen ist es sinnvoll, bislang vernachlässigte Kulturpflanzen stärker zu fördern. Das würde der Bekämpfung von Armut (SDG1) und Hunger (SDG2) dienen. Diese Sorten sind nämlich häufig robuste, an armutsgeplagte Regionen lokal angepasste Arten, sodass Anbau und Nutzung oft kostengünstig sind. Diese wertvollen Nahrungsquellen gedeihen auch unter extremen Bedingungen.

Zudem bedeuten diese Sorten Schutz vor Mangelernährung. Sie enthalten nämlich oft wichtige Nährstoffe wie Proteine, Vitamine, Mineralien und Antioxidantien, aber auch Mikronährstoffe wie Eisen, Zink oder Vitamin A. Das ist für Bevölkerungsgruppen wie Kinder, Frauen und Alte wichtig.

Traditionelle Nutzpflanzen benötigen oft relativ wenig Wasser oder Dünger, erfordern also wenig Input. Das liegt daran, dass sie hervorragend an die Ökosysteme angepasst sind, in denen bäuerliche Gemeinschaften sie seit Jahrhunderten anbauen.

Klimarelevanz

Klimapolitisch ist das sowohl vor Ort als auch global wichtig. Arme bäuerliche Familien, die hauptsächlich von Subsistenzlandwirtschaft leben, sind besser vor den Folgen von Extremwettern geschützt, wenn sie resiliente heimische Kulturpflanzen anbauen. Der Verkauf auf lokalen Märkten bietet ihnen obendrein eine Einkommensquelle.

Global verursacht das dominante Agrar- und Ernährungssystem mit seinem hohen Input- und Energiebedarf rund ein Drittel der anthropogenen Treibhausgasemissionen weltweit. Dabei verschärft die globale Erhitzung ständig die Probleme des „einfältigen“ Agrar- und Ernährungssystems. In Ostindien etwa sinkt die wirtschaftliche Attraktivität von Hochertragsreis. Trockenheit und hohe Temperaturen machen den Maisanbau in weiten Teilen Afrikas und Lateinamerikas zunehmend schwierig.

Sorghum und Hirse wären widerstandsfähigere Alternativen und haben obendrein eine kürzere Wachstumszeit. In einigen Regionen werden Höfe bereits ermutigt, auf diese Getreidearten umzusteigen. Wären sie besser erforscht und professionell systematischer gezüchtet, wäre der Umstieg leichter.

Trendwende zur Nachhaltigkeit

In Wissenschaft und Politik deutet sich in jüngster Zeit eine Akzentverschiebung an. Beispielsweise haben sich 2024 die Entwicklungsminister*innen der G7 gemeinsam für den Aufbau von „climate-resilient, sustainable food systems“ ausgesprochen und agrarische Biodiversität dafür als Grundlage benannt. Sie wiesen auch auf die Bedeutung der Konservierung pflanzengenetischer Ressourcen in Saatgutbanken hin.

Für eine wirksame Trendwende sind Veränderungen auf drei Ebenen nötig. Es geht um das Angebot von Saatgut, die Nachfrage danach und die politische Rahmensetzung.

Die Angebotsseite prägen Forschung, Züchtung und Pflanzenvermehrung in formellen, aber auch informellen Saatgutsystemen. Relevant sind multilaterale, staatliche und private Akteure. Sie alle sollten sich vernachlässigten Kulturpflanzen zuwenden.
Eine wichtige Gelegenheit dazu bietet die Entwicklung des neuen Portfolios der Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR), zu der beispielsweise das International Rice Research Institute in Manila oder das International Potato Center in Lima gehören. Der Einfluss der CGIAR darf nicht überbewertet werden, sie hat aber viel zur Herausbildung des aktuellen Welternährungssystems beigetragen. 

Auf der Nachfrageseite kommt die Landwirtschaft ins Spiel, die Saatgut nachfragt, sowie die Lebensmittelindustrie, welche agrarische Produkte verarbeitet und vermarktet. Selbstverständlich sind auch die Kaufentscheidungen von Verbraucher*innen wichtig, denn beliebte Waren werden verstärkt produziert.

Aufgaben für die Entwicklungspolitik

Politik muss so gestaltet werden, dass sie sinnvolle Anreize schafft, anstatt Hürden für den nötigen Wandel aufzustellen. Die Entwicklungspolitik spielt dabei eine zentrale Rolle, denn sie gehört zu den wichtigen Finanzierern der CGIAR. Sie kann den Wandel durch gezielte Mittelallokation vorantreiben. Dafür sollte sie:

  • Forschungs- und Züchtungsprogramme für vernachlässigte und vergessene Kulturpflanzen fördern,
  • Saatgutbanken unterstützen, damit sie solche Kulturpflanzen bewahren und allgemein zugänglich halten können,
  • sich für die systematische Einbindung von nationalen Agrarforschungssystemen aus Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen in internationale Kontexte einsetzen,
  • obendrein Bäuerinnen und Bauern sowie deren Organisationen, welche die traditionellen Sorten und ihre Vorteile oft am besten verstehen, einbeziehen,
  • Investitionsanreize für die Agrar- und Lebensmittelindustrie schaffen, um beispielsweise Geschäftsrisiken abzufedern,
    gezielte Trainingsprogramme für Beratungsdienste (extension / rural advisory services) anbieten,
  • „lessons learned“ aus erfolgreichen Beispielen wiederentdeckter Pflanzen wie Dinkel, Quinoa und Moringa erstellen und darauf aufbauend
  • die Entwicklung lokaler, regionaler und globaler Wertschöpfungsketten für solche Pflanzen fördern.

Wie immer in der Entwicklungspolitik hängt Erfolg von guter Kooperation aller Beteiligten auf Augenhöhe ab. Letztlich geht es darum, die Chancen benachteiligter Menschen so zu verbessern, dass sie ihrem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern es selbst in die Hände nehmen können.

Hildegard Lingnau ist Exekutivsekretärin des Global Forum on Agricultural Research and Innovation (GFAiR), das bei der Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR) in Montpellier angesiedelt ist.
h.lingnau@cgiar.org 

Stefan Schmitz ist Exekutivdirektor von Crop Trust, der internationalen Stiftung zur Bewahrung von Nutzpflanzenvielfalt.
stefan.schmitz@croptrust.org 

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