Ownership
Dorfgemeinschaften durch Ideenwettbewerbe stärken

Imnasenla lebt seit vier Jahrzehnten im Dorf Nukshiyim in Mokokchung, einem der abgelegensten Bezirke im indischen Bundesstaat Nagaland. Im Rahmen eines Wettbewerbs nach dem Prinzip des Financial Participatory Approach (FPA) stellte sie der Dorfgemeinschaft ihre Idee zur Gewinnung von Bananenfasern vor, um daraus umweltfreundliche Produkte herzustellen. Die Auszeichnung mit einem Preisgeld von 5000 Rupien (etwa 58 Dollar) für ihre Idee war eine große Überraschung für die Dorfbewohnerin. Nach der Preisverleihung erhielten Imnasenla und die Frauen ihrer Selbsthilfegruppe als Erstplatzierte sogar eine Förderung in Höhe von 400.000 Rupien (etwa 4670 Dollar), um ihre Idee mit Unterstützung des Dorfkomitees umzusetzen. Das Geld stammt von einem Biodiversitätsprojekt der Regierungen von Indien und Deutschland (durch BMZ/KfW finanziert) und wird von GOPA Worldwide Consultants unterstützt.
Der FPA ist eine Methode zur Förderung der gemeinschaftsbasierten Entwicklung. Der Ansatz basiert auf der Idee, dass die Menschen vor Ort selbst Lösungen für die dringendsten Probleme ihrer Gemeinschaft finden. Sie werden ermutigt, eigene Ideen zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu entwickeln und einer lokalen Jury vorzustellen. Die besten Vorschläge werden mit Geldpreisen und Finanzmitteln für die Umsetzung belohnt. Der FPA hat seinen Ursprung in den 1980er-Jahren in Lateinamerika. Er hat klassische partizipative Ansätze und unternehmerische Modelle kombiniert und weiterentwickelt.
Der FPA zielt darauf ab, die Verantwortung für wichtige Entscheidungen und die Budgetverwaltung an die fähigsten und motiviertesten lokalen Akteure zu übertragen, damit diese Lösungen umsetzen können, die ihren spezifischen Bedürfnissen entsprechen. Eine finanzielle Förderung zu erhalten, stärkt das Selbstvertrauen der Ideengeber und motiviert sie, die Ideen auch selbst zu realisieren, insbesondere in abgelegenen und armen Gemeinden, wo Auszeichnungen, Urkunden und Preisgelder Seltenheitswert haben. Zu den positiven Ergebnissen des FPA gehören eine schnelle Projektumsetzung mit greifbaren Vorteilen und eine verbesserte Vertrauensbasis zwischen Projekt und Gemeinde.
Der FPA-Prozess unterscheidet sich von konventioneller Finanzierung insofern, als die Antragsteller*innen „um den Gewinn konkurrieren“ und bei der Gestaltung ihrer Lösungen über einen großen Spielraum verfügen. Der FPA-Rahmen basiert auf acht Grundprinzipien:
- Alle Initiativen basieren auf Ideen der Menschen vor Ort.
- Projektmitarbeiter*innen haben im FPA nur eine moderierende Rolle.
- Kooperativer Wettbewerb führt zu den besten Ideen und Praktiken.
- Direkte Finanzierung unterstützt die erfolgreiche Entwicklung und Umsetzung von Ideen.
- Mobilisierung von Lernen, Wissen und Erfahrung.
- Der FPA nutzt Spannungen konstruktiv.
- Medienpräsenz verstärkt die Wirkung des FPA.
- Der FPA schreitet in kumulativen Zyklen voran.
Die Prinzipien dienen der Orientierung; sie werden je nach realen Gegebenheiten und praktischen Bedürfnissen vor Ort angepasst.
Umsetzung von FPA-Projekten in Nagaland
Im Forest & Biodiversity Management-Projekt in Nagaland haben 64 Dörfer FPA-Projekte umgesetzt, um den Schutz der biologischen Vielfalt zu fördern und die Lebensgrundlagen der lokalen Gemeinschaften zu verbessern. Im ersten Wettbewerb ging es beispielsweise um Storytelling für Erwachsene und Zeichnen für Schulkinder. Die Teilnehmenden erzählten von der Bedeutung der Natur für ihr Dorf und von traditionellen Naturschutzpraktiken; die Schulkinder präsentierten ihre Zeichnungen über globale und lokale Umweltprobleme sowie ihre Vorstellungen von intakter Natur. Bereits der erste Wettbewerb stärkte die emotionale Bindung der Gemeinden an das Projekt und legte nebenbei auch den Grundstein für die folgenden, komplexeren Projektideen.
Die darauffolgenden Wettbewerbe konzentrierten sich auf nachhaltige kommunale Infrastruktur und naturbasierte unternehmerische Ideen. Insgesamt wurden in den Projektgemeinden über 900 Ideen eingereicht; für 120 wurde die Umsetzung finanziert. Die Projekte inspirierten zu Innovationen und motivierten die Dorfgemeinschaften, die lokalen Herausforderungen gemeinsam anzugehen.
Die realisierten Ideen reichten von der Herstellung und Vermarktung traditioneller Kräutermedizin bis hin zum Bau von Wasserreservoirs und zentralen Verkaufsständen im Dorf, um gemeinsam lokale Produkte zu verkaufen und dadurch eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Zwischenhändlern zu erreichen.
Besonders oft vorgeschlagen war auch die Schweinezucht – eine beliebte Erwerbsaktivität in der Naga-Gemeinschaft. Die Innovation besteht aus einem sich selbst tragenden Modell zur Vermehrung: Die ersten Teilnehmenden spenden je ein Ferkel aus dem ersten Wurf an das Dorfkomitee, das es dann an die nächste Gruppe verteilt. So entsteht ein kontinuierlicher Kreislauf gemeinsamer Chancen. Dies stärkt das Gefühl der Eigenverantwortung und des ökonomischen Erfolgs.
Vorteile, wenn Einheimische bei der Ideenfindung selbst aktiv werden
Eines der wichtigsten Ergebnisse des FPA in Nagaland war die Steigerung der Beteiligung von Frauen und Jugendlichen. Die Wettbewerbe boten diesen oft ungehörten Teilen der Dorfgemeinschaft eine öffentliche Plattform, um ihre Ideen zu äußern. So sagten Mitglieder einer Frauengruppe in Nagaland etwa: „Die Preisgelder sind motivierend, und natürlich freuen wir uns, wenn wir gewinnen, aber für uns ist die Möglichkeit, unsere Ideen vor dem ganzen Dorf zu präsentieren, noch wichtiger als das Geld.“
Von Beginn an waren die Präsentation der Ideen und die Verkündung der Gewinner*innen mit einer feierlichen Zeremonie verbunden, bei der gesungen, getanzt und Theater gespielt wurde. Der Eventcharakter verleiht dem Projektplanungsprozess dabei eine spielerische Leichtigkeit und einen sportlichen Anreiz, die zur Teilnahme motivieren. Gleichzeitig wurde so das gesamte Dorf über das Projekt informiert. Auch lokale Medien trugen dazu bei, die positiven Erfahrungen der Teilnehmer*innen zu verbreiten. Bislang war das Feedback aus den Gemeinden durchweg positiv. Eine teilnehmende Person war ganz begeistert: „Wir würden gerne jeden Monat einen solchen Wettbewerb organisieren!“
Die Teilnehmenden tauschten sich nicht nur während der Vorbereitung der Präsentationen und während der Veranstaltungen aus, sondern beteiligten sich auch an der Umsetzung der Gewinnerideen. Bemerkenswert ist, dass die Sach- und Geldbeiträge der Gemeinden zu den umgesetzten Initiativen fast 30 % der Kosten deckten und nicht wie erwartet nur zehn Prozent. Anstatt sich nur auf das Projektbudget zu verlassen, passten die Gemeindemitglieder die Kleinprojekte an ihre Bedürfnisse an und übernahmen die Mehrkosten selbst. Damit sorgten sie dafür, dass das Projekt besser auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten und nachhaltiger wurde.
Bevor der FPA in Nagaland eingeführt wurde, war er bereits in mehreren anderen Ländern mit ähnlich positiven Ergebnissen und wertvollen Erkenntnissen umgesetzt worden. Die Erfahrungen reichen von Projekten zur Entwicklung nachhaltiger Lebensgrundlagen in den Anden Südamerikas über ein Gründerzentrum zur Förderung der Jugendbeschäftigung im städtischen Kontext im Irak bis hin zu Projekten zum gemeindebasierten Naturschutz im Südkaukasus.
Natürlich ist der FPA trotz vieler positiver Ergebnisse kein Allheilmittel für den Naturschutz und eine lokale, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Vielmehr ist er ein wertvoller vorbereitender Schritt auf dem Weg zu langfristigen Investitionsvereinbarungen, die dann im Weiteren von den Gemeinden umgesetzt werden.
Dieser Artikel basiert auf den eigenen Erfahrungen der Autoren im Nagaland-Biodiversitätsprojekt und in verschiedenen Projekten im Südkaukasus, die von der KfW Entwicklungsbank unterstützt werden.
Links
Stritih, J., et al., 2021: Financial Participatory Approach: Guidelines for implementation.
https://www.ecfcaucasus.org/_files/ugd/e71555_783e89533e0f4532a34d2ad921fff1d3.pdf
Forest & Biodiversity Management in the Himalayas (Nagaland) Project:
https://www.fbmpnagaland.com/
Nand Kishor Agrawal ist Chief Technical Advisor bei GOPA Worldwide Consultants im Forest and Biodiversity Management Projekt in Nagaland, Indien.
nandkishor.agrawal@gopa.de
Steffen Schülein ist Sozioökonom und Berater für gemeindebasierte Ansätze in den Bereichen Naturschutz, Anpassung an den Klimawandel und nachhaltige Lebensgrundlagen.
steffen.schuelein@posteo.de
Die Autoren danken Chonbenthung Kikon und Anuja Ramugade für ihren Beitrag zu diesem Artikel.