Biodiversität
Saatgutbanken bewahren Vielfalt
Eine alte Ökonomenweisheit besagt: „Don’t put all your eggs in one basket.“ Aber wenn es um die Agrarproduktion und die Sicherung der Welternährung geht, tun wir genau dies: Wir setzen alles auf eine Karte. Wir vertrauen auf Weizen, Reis, Mais und Kartoffeln, die zusammen mehr als zwei Drittel des globalen Nahrungsmittelbedarfs decken. Agrarproduktion wird ausgerichtet auf Uniformität und Standardisierung, und auf allen Ebenen geht Vielfalt verloren: bei Anbausystemen, Sorten und Genetik.
Im vergangenen Jahrhundert ist nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO die Pflanzenvielfalt auf den Feldern weltweit um 75 Prozent geschrumpft. Damit schwindet eine der wichtigsten Lebensgrundlagen der Menschheit. Nur Vielfalt ermöglicht es Organismen, sich an geänderte Umweltbedingungen anzupassen. Und nur wenn wir den Trend umkehren, kann Landwirtschaft ressourceneffizienter, nachhaltiger und klimaresilienter sein und eine gesündere Ernährung ermöglichen.
Historische Vielfalt
Im Laufe seiner 12 000-jährigen Geschichte hat der Ackerbau aus den wilden Urformen der heutigen Nutzpflanzen etwa 200 000 Sorten Reis, 120 000 Weizensorten, 4 000 Kartoffel-, 7 500 Apfel- und 3 000 Kokosnusssorten hervorgebracht. Neben solchen weltweit bekannten und weit verbreiteten Nahrungspflanzen gibt es unzählige weniger verbreitete – etwa Hirse, Kuhbohne, Süßkartoffel, Amaranth und Macadamia – und noch weit mehr kaum erforschte und unterschätzte Nutzpflanzen wie Teff, Fonio, Bambara-Erdnuss, Arracacha oder Carambola.
Zu dieser vom Menschen geschaffenen Nutzpflanzenvielfalt kommen deren wilde Artverwandte, die die Natur im Laufe von Jahrmillionen hervorgebracht hat. Dieser schier unermessliche genetische Reichtum wird über die Zukunft von Ernährung und Landwirtschaft entscheiden. Jedes einzelne der darin enthaltenen genetischen Merkmale kann den Schlüssel liefern, künftigen Herausforderungen, die wir heute noch gar nicht kennen, gewachsen zu sein.
Daher muss alles dafür getan werden, den genetischen Reichtum als natürliche Lebensversicherung zu bewahren. Vor allem gilt es, einen weiteren Schwund der Vielfalt zu stoppen, sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Wildnis.
Strategien für Vielfalt
Weder Anreize für Diversifizierung auf dem Acker noch die Ausweisung von Schutzgebieten für Biodiversität zeigen aber bislang ausreichend Wirkung. Es ist zu befürchten, dass solche Bemühungen „in situ“ auch künftig nur begrenzten Erfolg haben werden. Daher gilt es, parallel eine zweite Strategie zur Erhaltung der Agrobiodiversität zu verfolgen: die Konservierung „ex situ“ in Saatgutbanken.
Solche „Saatgutbibliotheken“ sind im Laufe des vergangenen Jahrhunderts überall auf der Welt entstanden und haben bereits eine beachtliche Agrobiodiversität zusammengetragen. Sie müssen in die Lage versetzt werden, auch bisher noch nicht eingelagerte Nutzpflanzen und wilde Urformen zu sammeln und sie so zu retten, bevor sie für immer verloren sind. Das gilt umso stärker, je mehr diese Vielfalt „in situ“ bedroht ist.
Vorteile von Saatgutbanken
Aber Saatgutbanken sind weit mehr als Retter in der Not. Ihr eigentlicher Zweck ist es, zum Aufbau leistungsfähiger Agrar- und Ernährungssysteme beizutragen. Sie sind nicht nur zentrale Anlaufstelle für Forschende und Züchter*innen, sondern können auch qualitativ hochwertiges Saatgut an Agrarbetriebe verteilen und damit die lokale landwirtschaftliche Entwicklung beeinflussen.
Die Vorteile von Saatgutbanken liegen auf der Hand. Nach anfänglichen Investitionen sind die Kosten für den Erhalt relativ gering. Unabhängig von Vegetationszyklen können Saatgutbanken das ganze Jahr über ausreichende Mengen an Saatgut verteilen, das frei von Schädlingen und Krankheiten ist, über Ländergrenzen hinweg. Gut geführte Sammlungen bleiben im Zeitverlauf stabil, im Gegensatz zu Sorten, die unter In-situ-Bedingungen aufbewahrt werden.
Dies erleichtert ihre Verwendung in Züchtungsprogrammen. Idealerweise verfügen Saatgutbanken über zuverlässige und leicht verfügbare Daten zu Charakterisierung und Evaluierung, was für die Zielgenauigkeit der Materialbestellung durch Nutzer entscheidend ist. Schließlich bieten Ex-situ-Sammlungen ein „Sicherheitsnetz“: Sie können lokal angepasste Sorten auf die Äcker zurückbringen, nachdem sie dort verloren gingen, sei es aufgrund von Naturkatastrophen oder durch menschliche Eingriffe.
Zugleich bleibt es wichtig, dass sich die Pflanzen jenseits von Saatgutbanken in der lebendigen Umwelt weiterentwickeln und an Veränderungen anpassen können. Eingelagertes Saatgut kann nicht evolutionär mit der Natur interagieren und so resilienter werden. Auch geht wertvolles landwirtschaftliches Wissen verloren, wenn eine Sorte nur aufbewahrt, aber nicht mehr angebaut wird.
Nationale Saatgutbanken
Mittlerweile gibt es laut FAO mehr als 1750 Saatgutbanken. Etwa 130 halten jeweils mehr als 10 000 genetisch unterschiedliche Saatgutproben, sogenannte Akzessionen. Weltweit werden schätzungsweise etwa 7,4 Millionen Akzessionen verwaltet. Die meisten größeren Sammlungen werden auf nationaler Ebene betrieben. Mehr als 100 000 Akzessionen halten etwa die nationalen Saatgutbanken von Brasilien, China, Deutschland, Indien, Japan, Kanada, Russland, Südkorea und den USA. Nationale Sammlungen beherbergen in der Regel ein breites Spektrum pflanzengenetischer Ressourcen der unterschiedlichsten Arten und Gattungen.
Im Gegensatz dazu konzentrieren sich die an internationale Forschungsinstitute angegliederten Saatgutbanken oft auf einige wenige wichtige Fruchtarten und deren Verwandte. Die wichtigsten Institute dieser Art sind im internationalen Agrarforschungsnetzwerk CGIAR (Consultative Group on International Agricultural Research) zusammengefasst. Das in ihren Saatgutbanken eingelagerte Material wird als globales öffentliches Gut angesehen, als „Erbe der Menschheit“, das die internationale Gemeinschaft den Instituten zur treuhänderischen Verwaltung anvertraut hat.
Wie wichtig sichere Saatgutbanken sind, zeigte sich beispielsweise, als im syrischen Bürgerkrieg die bedeutende Sammlung des Internationalen Zentrums für Agrarforschung in den Trockengebieten (ICARDA) in Aleppo zerstört wurde. ICARDA hatte zuvor Sicherungskopien des Saatguts im Svalbard Global Seed Vault auf Spitzbergen deponiert. In diesem globalen Saatguttresor nördlich des norwegischen Festlands lagern die Proben geologisch stabil in 120 Metern Tiefe. Mit Hilfe der Kopien konnte ICARDA seine Forschungs- und Züchtungsarbeit an neuen Standorten in Marokko und im Libanon wieder aufnehmen.
Stefan Schmitz ist Exekutivdirektor von Crop Trust, der internationalen Stiftung zur Bewahrung von Nutzpflanzenvielfalt.
stefan.schmitz@croptrust.org