Schädliche Praktiken

Warum Pestizide eher Fluch als Segen sind

Anhänger*innen der konventionellen Landwirtschaft in reichen Ländern behaupten oft, Pestizide seien für die globale Ernährungssicherheit unverzichtbar. Beweise gibt es dafür nicht. Hunger ist auch nicht das Resultat zu geringer Lebensmittelproduktion weltweit. Derweil richten Pestizide große Umweltschäden an und sind eine fragwürdige Methode, Erträge zu steigern.
Herbizideinsatz auf einem deutschen Feld. picture-alliance/AGRAR-PRESS/ap Herbizideinsatz auf einem deutschen Feld.

Seit Jahrzehnten produziert die Menschheit genug Lebensmittel, um alle zu ernähren. Trotzdem gibt es immer noch Hunger und Unterernährung, besonders in Kriegsgebieten und in abgelegenen Regionen ärmerer Länder, wo kleinbäuerliche Familien unter harten Bedingungen arbeiten. Der Klimawandel verschärft die Situation zusätzlich.

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Nahrungsimporte aus reichen Ländern diese Probleme lösen könnten. Sie kosten nicht nur viel, sondern verdrängen auch lokale Produzent*innen vom Markt und bremsen ländliche Entwicklung.

Was der Ernährungssicherung wirklich hilft, ist Frieden. Dieser ist auch die Grundlage, um städtische und ländliche Interessen auszubalancieren. Dafür müssen alle landwirtschaftlichen Betriebe dabei unterstützt werden, innovativer zu werden. Bislang profitieren in vielen afrikanischen Ländern aber vor allem städtische Eliten von staatlichen Subventionen (unter anderem durch Nahrungsimporte). Die Kleinlandwirtschaft bleibt benachteiligt und verliert zunehmend die Existenzgrundlage.

Die Dinge müssen auf den Kopf gestellt werden. Regierungen müssen mehr für kleine landwirtschaftliche Haushalte tun. Wichtig ist, für gute Bildung zu sorgen, die Infrastruktur wie Straßen, Wasser- und Stromversorgung auszubauen und die Menschen in nachhaltiger Landwirtschaft zu schulen. Dabei geht es nicht nur darum, Erträge zu steigern, sondern in Mehrgewinnstrategien unter anderem auch Biodiversität und Klimaresilienz zu stärken. Entsprechend kompetente Beratung ist nötig.

Pestizide sind dabei bestenfalls von nachrangiger Bedeutung, oft aber schädlich. Sie werden in Paketen vermarktet, die mit weiteren Inputs die agrarischen Praktiken ohne Rücksicht auf lokale Bedingungen bestimmen. Was die Höfe wirklich brauchen, ist besseres Boden- und Wassermanagement, kluge Fruchtfolgen und diversifizierte Nutzpflanzen.

Der Erfolg der Landwirtschaft hängt in abgelegenen Regionen auch stark von der Infrastruktur ab. Wer auf dem Land lebt und arbeitet, braucht Zugang zu Märkten – was wiederum gute Straßen erfordert. Bildung hilft Chancen zu erkennen, und Gesundheitsversorgung sichert die Arbeitskraft. Auch Strom, Wasser und Mobilfunk sind wichtig.

Für kleine Höfe sind Pestizide verlockend, weil sie scheinbar magisch Ernteverluste verringern. Doch die Risiken werden oft verschwiegen. Pestizide vernichten nicht nur die Schadinsekten und Unkräuter, sondern führen oft in die Abhängigkeit und schaden längerfristig massiv der Umwelt und der Gesundheit.

Auch in reichen Ländern ist der Einsatz von Pestiziden problematischer, als die Industrie zugibt. Das war von Anfang an so.

DDT-Lektionen 

Das erste industriell hergestellte Pestizid war nach dem zweiten Weltkrieg DDT. Schnell stellte sich heraus, dass es nicht nur Schädlinge vernichtet, sondern auch andere Organismen. Auch seine Wirksamkeit ließ schnell nach.

Pestizide verlieren in der Regel aus verschiedenen Gründen mit der Zeit an Wirkung:

  • Schädlinge entwickeln Resistenzen.
  • Nützliche Organismen, die sich von den Schädlingen ernähren oder die Produktivität auf andere Weise unterstützen, werden oft ebenfalls dezimiert.
  • Moderne Hochertragssorten sind oft besonders anfällig für Schädlinge.
  • Wo heimische Schädlinge erfolgreich bekämpft wurden, breiten sich invasive Arten leichter aus.
  • Monokulturen, die auf Pestizide und Kunstdünger angewiesen sind, schädigen die Bodenqualität.

In Ländern mit hohen Einkommen ist DDT deshalb seit Jahrzehnten verboten. In Ländern mit niedrigen Einkommen und Schwellenländern wie Indien wird es hingegen immer noch verwendet.

Mit der Zeit hat die chemische Industrie weitere Pestizide entwickelt. Doch meist stellen sich mit der Zeit Schäden ein.

In den 1980er-Jahren wurde immer deutlicher, wie schädlich der unkontrollierte Einsatz von Pestiziden ist. Die Agrarwissenschaft hat deshalb den sogenannten integrierten Pflanzenschutz (IPS) entwickelt. Dieser Ansatz kombiniert bewährte landwirtschaftliche Methoden wie Fruchtwechsel und Sortenvielfalt mit einem gezielten Einsatz von Pestiziden. IPS zufolge sollen Pestizide nicht vorbeugend verwendet werden, sondern nach dem Schadschwellenkonzept nur eingesetzt werden, wenn ein bestimmter Schädling ein Feld befällt – und auch dann nur nach einer gründlichen Kosten-Nutzen-Abwägung.

In der EU ist IPS grundsätzlich verpflichtend. Doch nur 10 bis 15 Prozent der Landwirt*innen halten sich daran. Europäische Behörden dulden nämlich den präventiven Einsatz von Pestiziden in gewissen Grenzen. Während der von der EU geforderte IPS ein ganzheitliches und recht arbeitsintensives Konzept ist, geht Pestizideinsatz schnell und billig. Für die Produzierenden ist es deshalb bequemer, ihre Felder routinemäßig zu behandeln und die langfristigen Folgen zu ignorieren.

Zudem erfordert IPS auch mehr Know-how. Die Felder müssen beobachtet werden – unter anderem, weil das Wetter stark beeinflusst, welche Schädlinge sich ausbreiten. Bauern und Bäuerinnen müssen auch in der Lage sein, nützliche Organismen zu erkennen und zu fördern. Im Vergleich dazu ist es viel einfacher, von Anfang an auf Pestizide zu setzen. Solange dieses konventionelle Vorgehen geduldet wird, werden viele Betriebe kaum von sich aus auf gesündere Alternativen der Schädlingsbekämpfung umsteigen. Das gilt besonders für große, kapitalintensive Betriebe mit Monokulturen.

Schweden zum Beispiel nehmen

Einige Länder haben jedoch Wege gefunden, den Einsatz von Pestiziden erfolgreich zu verringern. Schweden ist ein gutes Beispiel. Dort wurde der Pestizideinsatz drastisch reduziert, ohne dass die Landwirtschaft oder Konsument*innen Nachteile erlitten. Seit den 1980er-Jahren ist der Pestizideinsatz dort um etwa 75 Prozent gesunken. Dafür sorgten mehrere nationale Aktionspläne, die zum Beispiel umweltfreundliche Betriebe förderten. Die schwedische Regierung schuf Anreize für nachhaltige Methoden und bot Landwirt*innen bessere technische Unterstützung an.

Die EU täte gut daran, diesem Beispiel zu folgen. Doch leider weist die Tendenz in die andere Richtung: Seit der Jahrtausendwende steigen die Pestizidverkäufe in vielen Mitgliedsstaaten wieder an, nachdem sie in den frühen 1990er-Jahren mit der Einführung von IPS zunächst zurückgegangen waren. Dass sie seit geraumer Zeit wieder steigen, hat vor allem einen Grund: Betriebe, die sie regelmäßig nutzen, brauchen immer größere Mengen, da die Wirksamkeit der Mittel im Laufe der Zeit nachlässt.

Dringender als je zuvor

Das Beispiel Schweden zeigt, dass das nicht sein muss. Die europäische Politik sollte sich deshalb neu auf IPS besinnen. Das Konzept entstand wegen der erkannten Nachteile der Pestizide – und diese sind heute angesichts schnell sinkender Insektenpopulationen noch bedrohlicher. Besonders alarmiert, dass viele Bienenarten und andere Bestäuber vom Aussterben bedroht sind. Sie sind als Pflanzenbestäuber unverzichtbar, sodass sie auch einen erheblichen wirtschaftlichen Wert haben – auch für jene, die nur in Geschäftszahlen denken.

Fachleute warnen zudem, dass es bald keine neuen Pestizide mehr geben könnte. Es gibt Parallelen zur Situation bei Antibiotika: So wie multiresistente Erregerstämme die Krankenbehandlung immer schwieriger machen, verlieren auch Pestizide ihre Wirkung. Unsere Abhängigkeit von diesen Agrargiften wird umso riskanter, je mehr Schädlinge resistent werden, ohne dass neue, wirksame Mittel Abhilfe schaffen.

Vor diesem Hintergrund gewinnt der ökologische Landbau an Bedeutung, da er ganz ohne giftige Chemikalien auskommt und trotzdem gute Erträge und Gewinne erzielt. Ein Blick in europäische Supermärkte zeigt, dass Bio-Obst oft nicht viel teurer ist als konventionelle Produkte und genauso ansprechend aussieht. Statistiken belegen obendrein, dass die finanziellen Erträge im Bio-Anbau oft besser sind. Das liegt mit daran, dass der ökologische Landbau einen mehrdimensionalen Ansatz verfolgt: Er maximiert nicht nur den Ertrag einer einzigen Nutzpflanze an einem Zeitpunkt X, sondern verbessert die Bodengesundheit, reichert Humus an, stärkt die Agrarvielfalt und hat im Sinne der Mehrgewinnstrategie noch weitere Vorteile.

Die Agrarpolitik von Ländern mit niedrigen Einkommen sollte Lehren aus der Geschichte ziehen, aber nicht auf die Lobby-Organisationen der industriellen Landwirtschaft hören. Die Erfahrung zeigt, was wirklich funktioniert. Gute landwirtschaftliche Beratung und starke ländliche Infrastruktur zeigen positive Wirkung – Pestizide eher nicht. 

Susanne Neubert ist ehemalige Direktorin des Zentrums für ländliche Entwicklung der Humboldt-Universität in Berlin und seit letztem Jahr im Ruhestand. Sie ist Mitglied im Beirat von E+Z/D+C. 
susanne.neubert@agrar.hu-berlin.de

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