Landwirtschaft und Biodiversität
Das Trilemma der Landnutzung entschärfen
Land ist weltweit ein knappes Gut geworden. Wir beanspruchen es für verschiedene wichtige Zwecke, von denen drei in der Diskussion um nachhaltige Landnutzung besonders hervorzuheben sind:
- die Sicherung unserer Ernährung durch Landwirtschaft,
- der Erhalt von Biodiversität in natürlichen Ökosystemen, etwa durch Schutzgebiete und
- Klimaschutz, beispielsweise durch die Wiederaufforstung entwaldeter Flächen.
Alle drei Arten der Nutzung sind wünschenswert, sie konkurrieren allerdings um die knappe Ressource Land. Das bringt uns in ein sogenanntes Trilemma: Wenn wir auf einer begrenzten Fläche Land eine dieser drei Nutzungsformen realisieren, laufen wir Gefahr, die anderen beiden zu vernachlässigen.
Besonders zugespitzt zeigt sich das Problem in der Diskussion um Landwirtschaft und Biodiversität: Wer in der konventionellen Landwirtschaft hohe Flächenerträge erzielen möchte, dezimiert üblicherweise die Vielfalt auf dem Acker, zum Beispiel mit Unkrautbekämpfungsmitteln. Die gegenwärtige Biodiversitätskrise ist insofern als Teil des Trilemmas der Landnutzung zu verstehen. Allerdings stehen diese beiden Ziele – hohe Erträge und Biodiversität – nur bis zu einem gewissen Ausmaß im Widerspruch. Tatsächlich könnten sie sich sogar gegenseitig befruchten, wenn wir Land ökologisch und vielfältig nutzen und die sogenannten Ökosystemleistungen von Organismen wie Nützlingen und Bestäubern bewusst einsetzen beziehungsweise diese Vorgänge intensivieren. Dazu gehört, auch die Artenvielfalt auf den genutzten Flächen viel stärker zu berücksichtigen als bisher.
Biodiversität lässt sich in mindestens drei Kategorien einteilen:
- die Biodiversität natürlicher Ökosysteme oder Landschaften,
- die Agro-Biodiversität, also die Biodiversität von Ackerflächen mit der typischen dort anzutreffenden Flora und Fauna und
- die Biodiversität der gezüchteten Pflanzen- und Tierarten, Sorten und Rassen, die man als genetische Ressourcen bezeichnet.
Hinsichtlich aller drei Kategorien befinden wir uns heute in einem Notstand, weil wir auf allen Ebenen ein Massenaussterben dieser Vielfalt verzeichnen müssen. Um das beschriebene Trilemma der Landnutzung zu entschärfen, hilft es, die beiden ersten Biodiversitätskategorien zu betrachten, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen.
Zerstörung natürlicher Biodiversität
Die Landwirtschaft ist Grundlage unserer Ernährung und damit unverzichtbarer Teil der Landnutzung. Sie bringt seit jeher Flächenumwandlungen mit sich, die auch heute noch hohe CO2-Emissionen verursachen und die natürliche Biodiversität weltweit dezimieren. Solche großflächigen Rodungen finden zum einen in Ländern mit geringer landwirtschaftlicher Flächenproduktivität statt, die gleichzeitig ein hohes Bevölkerungswachstum aufweisen, wie es in nahezu allen Ländern Afrikas der Fall ist.
Gerodete Flächen dienen hier zumeist der direkten pflanzlichen Ernährung der Bevölkerung und dazu, die nationale Ernährungssicherheit zu erreichen. Dabei degradiert das Land zunehmend: Der Boden verliert an Fruchtbarkeit, weil die meisten kleinbäuerlichen Betriebe zu arm sind, um die entzogenen Nährstoffe ausreichend zurückzuerstatten. Diese Unterdüngung führt zu stagnierenden Erträgen und zieht steigende Flächenumwandlungen nach sich.
Zum anderen geschehen Flächenrodungen in großem Stil aber auch in Agrarexportländern wie zum Beispiel Brasilien. Bekanntermaßen fallen dort Regenwaldflächen mit hoher Biodiversität dem Anbau von Futterpflanzen, insbesondere Soja, zum Opfer. Ziel ist häufig der Export nach Europa und in andere Industrieländer, wo Soja zumeist als Futter in der Tierhaltung verwendet wird.
Diese Praxis ermöglicht immer mehr Menschen eine Ernährung, die stark auf tierischen Produkten beruht. Ausgehend von den Industrieländern, hat sich dieser Ernährungsstil durch Fernwirkung (Telecoupling) in die städtischen Regionen der gesamten Welt verbreitet. Das hat mit dazu beigetragen, dass heute etwa 2 Milliarden Menschen übergewichtig sind. In Deutschland, dem „Schweineexport-Weltmeister“, werden heute mehr als 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen für den Futtermittelanbau und die Tierhaltung genutzt. Würden stattdessen Getreide und auch Soja wieder vermehrt direkt verzehrt, könnte man große Flächen dem Erhalt der Biodiversität widmen.
Zerstörung der Agro-Biodiversität
Unsere gegenwärtige Landwirtschaft zerstört aber nicht nur die Biodiversität naturbelassener Flächen, sondern auch die Artenvielfalt auf den Ackerflächen selbst. Gemeint sind beispielsweise zahlreiche Begleitkräuter und -gräser, aber auch Insekten wie Bienen und andere Bestäuber sowie das Bodenleben, das aus mannigfaltigen Kleinlebewesen und Mikroorganismen besteht. In den Industrieländern ist für die Zerstörung die chemikalienbasierte industrielle Landwirtschaft verantwortlich. Sie setzt auf enge Fruchtfolgen, große Mengen Düngemittel und Gülle sowie den Einsatz von Pestiziden wie Glyphosat, um die assoziierte Flora und Fauna zu bekämpfen und alleine die Kulturpflanze zu fördern.
Chemikalienrückstände und Überdüngung zerstören aber nicht nur die Mannigfaltigkeit auf dem Acker und im Boden. Darüber hinaus kontaminieren sie die Umgebung. Diese sogenannte Abdrift kann kilometerweite Auswirkungen haben. Wo Landwirte zu viel düngen, gelangt zudem häufig Nitrat ins Grundwasser, in Flüsse und dann in die Meere und senkt ebenfalls die Biodiversität in den Gewässern. Die industrielle Landwirtschaft weist also hohe Ineffizienzen und Leckagen auf: Zum einen durch die Veredlung über das Tier, zum anderen durch die Überdüngung und den Pestizideinsatz, und dies bedroht nicht nur die Agrarbiodiversität, sondern auch die Artenvielfalt benachbarter Landschaften und Gewässer.
Auf der anderen Seite wäre es jedoch falsch zu glauben, dass eine Landwirtschaft mit besonders wenig Input automatisch in eine sehr viel höhere Agro-Biodiversität mündete. Wenn Landwirte die entzogenen Nährstoffe nicht ausreichend mit Biomasse, Tierdung oder Mineraldünger ersetzen, kommt es zur oben erwähnten Unterdüngung, und der Boden wird ausgelaugt. In der Folge verarmt das Bodenleben, und die Vielfalt wird stark dezimiert, bis schließlich nur noch schwer bekämpfbare Wurzelunkräuter übrig bleiben. Da ausgelaugte Böden leichter erodieren, wird zudem restliches organisches Material leicht abgeschwemmt oder verweht. Das wiederum macht neue Rodungen nötig. Der vernichtende Kreislauf geht weiter.
Artensterben aufhalten
Ein Stück näher zu einer Lösung kommt man, wenn man sich vergegenwärtigt, dass eine hohe Biodiversität neben ihrem Eigenwert auch vielfältige Ökosystemleistungen für den Menschen erbringt. Von diesen Leistungen hängen nicht nur die Bestäubung und der Nährstoffkreislauf (Metabolismus) ab, sondern auch die Räuber-Beute-Beziehungen, die Humusbildung und die Selbstreinigungskraft der Gewässer, um nur wenige Beispiele zu nennen. Ohne all diese Leistungen wäre Landwirtschaft gar nicht möglich. Sie in ihrer Gesamtheit durch Technologien zu ersetzen wäre ebenfalls unmöglich oder jedenfalls extrem kostenintensiv.
Bis zum heutigen Tag finden diese auf Artenvielfalt basierenden Ökosystemleistungen viel zu wenig Beachtung – vermutlich, weil sie weitgehend geräuschlos und ohne unser Zutun ablaufen und weil sie kostenlos zu haben sind. Langsam erst beginnen wir, ihr Nachlassen überhaupt wahrzunehmen und zu problematisieren. Sich den Wert dieser Leistungen bewusst zu machen ist daher der erste Schritt, um sie zu erhalten. Dies ist unsere Aufgabe.
Um das Massenaussterben der Biodiversität natürlicher Ökosysteme und der Agro-Biodiversität zu stoppen, braucht es eine globale Landwende. Wir müssen sowohl die natürlichen Ökosysteme erhalten als auch die landwirtschaftlich genutzten Flächen diversifizieren. Auf landwirtschaftlichen Flächen bedeutet dies, statt auf Monokultur auf eine größere Vielfalt an Kulturen zu setzen. Gleichzeitig bleibt das Ziel eines hohen, wenn auch nicht maximalen Ertrages bestehen, um neue Flächenumwandlungen zu minimieren und damit Land für natürliche Ökosysteme zu reservieren.
Dies ist nur möglich, wenn wir verstärkt auf Mehrnutzungsstrategien in der Landwirtschaft und allen anderen Landnutzungen setzen: So kann Wald mit landwirtschaftlichen Flächen verbunden werden, wenn agroforstwirtschaftliche Nutzung beides integriert. Schutzflächen lassen sich ausweiten, wenn sie mit bestimmten landwirtschaftlichen Nutzungen einhergehen. Selbst in wiedervernässten Mooren lassen sich Nutzpflanzen anbauen (Paludikultur). Solcher multifunktioneller Nutzung gehört die Zukunft.
Ineffizienzen weltweit stoppen
Auf der anderen Seite müssten auch die Ineffizienzen in ertragsarmen Regionen – wie den Ländern Subsahara-Afrikas – gestoppt werden, etwa durch eine systematische Verschränkung bedarfsorientierter Mineraldüngung mit organischen Maßnahmen. Dafür braucht es finanzielle und fachliche Unterstützung der Bauern und Bäuerinnen. Neben dem Haupteffekt, dass hierdurch Ertragssteigerungen realisiert würden, bewirken diese Maßnahmen gleichzeitig eine Steigerung von sowohl Bio- als auch Agro-Biodiversität: Neue Flächenumwandlungen würden unnötig, und die Begleitvegetation auf den Äckern würde gleichzeitig üppiger. Die Ineffizienzen in Industrieländern können demgegenüber durch Reduzierung des Chemikalieneinsatzes gestoppt werden (siehe Grafik).
Last, but not least ist es jedoch auch angebracht, in Ländern mit industrieller Landwirtschaft die Art der Landnutzung selbst in Frage zu stellen. Es ist an der Zeit, den Anbau stärker auf die direkte menschliche Ernährung auszurichten und weniger stark auf die von Tieren, in Deutschland etwa von Schweinen. Denn würden die Flächen nicht mehr im Übermaß für den Futterbau verwendet, dann wären gleich mehrere Probleme gelöst: Das Land würde nicht mehr durch zu viel Gülle degradiert, und der Mensch würde sich gesünder ernähren, wenn zum Beispiel Fleisch dann teurer wäre. Als positiver „Nebeneffekt“ könnten zudem größere Flächen für den Biodiversitäts- und den Klimaschutz zur Verfügung stehen.
Von Agrar- zur Ökosystempolitik
Um das bestehende Ungleichgewicht in der Landnutzung aufzuheben, braucht es das richtige politische Rahmenkonzept. Eine Möglichkeit ist die Weiterentwicklung bestehender Agrarpolitik – etwa der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU oder von Subventionsprogrammen (Input Subsidy Programs – ISP) afrikanischer Staaten – hin zu einer Gemeinsamen Ökosystempolitik (GÖP). Eine solche Politik kann Landnutzung übergreifend betrachten und Mehrgewinne erzielen, indem sie nicht nur landwirtschaftliche Nutzungen neu kombiniert, sondern darüber hinaus auch unterschiedliche Landnutzungen. Insbesondere gilt es Ökosystemleistungen intensiver zu nutzen, um die nötigen Effizienzgewinne zu erzielen.
Um das Trilemma der Landnutzung zu überwinden, brauchen wir also übergreifende Strategien, die Synergieeffekte erzielen. Diese benötigen einen gemeinsamen Rahmen, der mithilfe unterschiedlicher Stakeholder durch einen sogenannten integrierten Landschaftsansatz gelingen kann. Das bedeutet, dass man innerhalb einer Landschaft – also einer begrenzten räumlichen und kulturellen Region – Lösungen für dortige widerstreitende Interessen beim Umgang mit Land aushandelt und so hilft, soziale, wirtschaftliche und ökologische Ziele zu vereinbaren.
Um Fernwirkungen über Kontinente hinweg – etwa die Regenwaldrodung im Süden für die Tierhaltung im Norden – ebenso zu minimieren wie Verteilungskonflikte zwischen Land und Stadt, ist zusätzlich eine neue Solidarität zwischen den Menschen an unterschiedlichen Orten gefragt. Dies erfordert einen umfassenden Bewusstseinswandel. Fangen wir damit an!
Literatur
WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, 2020: Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration. Berlin, WBGU.
Susanne Neubert ist promovierte Agrarökonomin und Ökologin und Direktorin des Seminars für Ländliche Entwicklung der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist Mitautorin des oben genannten Gutachtens.
susanne.neubert@agrar.hu-berlin.de