Hungerkrise
Eine vermeidbare Katastrophe

Noch vor drei Jahren führten Millionen Sudanes*innen ein selbstbestimmtes Leben mit Arbeit, Zuhause und Bildungszugang. Heute sind viele vollständig auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ohne entschlossenes diplomatisches Handeln und kontinuierliche humanitäre Unterstützung wird sich die Lage weiter verschlechtern. Das wird gravierende Folgen für die ganze, ohnehin fragile Region haben.
Die Krise in Sudan hat fast 13 Millionen Menschen vertrieben – fast neun Millionen davon innerhalb des Landes. Laut UNHCR sind weltweit mehr als 122 Millionen Menschen auf der Flucht, so viele wie nie zuvor. Sudan allein macht über 10 Prozent dieser Gesamtzahl aus: Eine von zehn geflüchteten Personen weltweit stammt derzeit aus Sudan – die größte Vertreibungskrise der Welt. Viele Familien mussten mehrfach fliehen, ohne sicheren Zufluchtsort. Diese Vertreibung zerstört nicht nur Leben, sondern erschwert auch den Zugang zu Nahrung, Dienstleistungen und anderen Lebensgrundlagen.
Fast 25 Millionen Menschen – mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung – sind von Hunger betroffen. Mehrere Regionen befinden sich bereits in einer Hungersnot (Integrated Food Security Phase Classification-Stufe 5). Zum zweiten Mal in Folge wurde die Aussaat im Juni verpasst. Der Konflikt hat landwirtschaftliche Infrastruktur zerstört, Bäuerinnen und Bauern vertrieben und Viehbestände dezimiert. Fruchtbares Land bleibt unbestellt – nicht wegen des Klimawandels, sondern wegen des Kriegs. Einst ein Nettoexporteur von Lebensmitteln, kann Sudan heute kaum noch die eigene Bevölkerung versorgen.
Gleichzeitig wird es immer schwieriger, humanitäre Hilfe vor Ort zu leisten. Die zunehmende Gewalt und die aktuelle Regenzeit erschweren den Zugang zu den betroffenen Gebieten. Selbst der verbleibende, eingeschränkte Zugang wird zunehmend von bürokratischen Hürden geprägt – sogar lebenswichtige Dienste werden häufig verzögert oder vollständig blockiert. Einzelne Programme konnten dank internationaler Unterstützung weiterlaufen, doch das reicht bei weitem nicht aus – die Hilfe bleibt häufig auf kurzfristige Nothilfe beschränkt.
Die Folgen sind gravierend. Lokal organisierte Hilfsmaßnahmen wie Gemeinschaftsküchen – Einrichtungen zur Zubereitung und Verteilung von Mahlzeiten, oft betrieben von Geflüchteten selbst – sind lebensnotwendig. Doch die Kürzungen der US-Auslandshilfe haben zur Schließung von bis zu 80 % dieser Küchen geführt – dadurch verlieren mitten im Krieg Hunderttausende den Zugang zu Nahrung. Bewährte Strukturen werden in einem kritischen Moment abgebaut.
Geberländer in der Pflicht
Sudan steht 2025 zum zweiten Mal in Folge an der Spitze der International Rescue Committee (IRC) Emergency Watchlist 2025. Doch die internationale Reaktion fällt deutlich zu schwach aus: Der UN-Hilfsplan für 2025 ist aktuell nur zu 14,1 Prozent finanziert. Deutschland hat bei der Londoner Konferenz zu Sudan im April dieses Jahres Hilfsgelder in Höhe von 125 Millionen Euro zugesagt – ein wichtiger Schritt, aber ein deutlicher Rückgang gegenüber den 325 Millionen Euro im Jahr davor. Sobald der Haushalt für 2025 verabschiedet ist, sollte die Bundesregierung zumindest ihr bisheriges Engagement fortsetzen.
Lokale Organisationen – insbesondere frauengeführte Initiativen – sind essenziell, um grundlegende Leistungen aufrechtzuerhalten und schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen zu unterstützen. Doch sie sind chronisch unterfinanziert und administrativ stark überlastet. Die deutsche Unterstützung für den Sudan Humanitarian Fund (ein von den UN verwalteter, gebündelter Fonds für mehrere Geberländer) ist zentral – muss aber flexibler und zugänglicher für lokale Akteur*innen werden. Auch Notfallkoordinierungsräume („Emergency Response Rooms“) sollten gezielt eingebunden werden. Durch gerechte Risikoverteilung und vereinfachte administrative Anforderungen können lokale Helfende nicht nur Hilfe leisten, sondern auch aktiv zum Wiederaufbau und zu einer stärkeren Resilienz beitragen.
Sudan braucht mehr als nur Nothilfe – das Land braucht langfristige Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Lebensgrundlagen. Deutschland und andere Geber sollten gezielt in Maßnahmen investieren, die humanitäre Hilfen an langfristige Zielen für Stabilität und Wiederaufbau anpassen.
Die Rolle Deutschlands
Dabei muss Deutschlands Rolle über rein finanzielle Unterstützung hinausgehen. Der derzeitige Ansatz – geprägt von kurzfristigen Finanzierungszyklen und zersplitterten diplomatischen Bemühungen – bringt keinen Waffenstillstand. Die Krise in Sudan erfordert eine strategische Antwort: langfristige Verpflichtungen, kombiniert mit kontinuierlichem politischem Engagement. Deutschland verfügt über das nötige diplomatische Gewicht und die Glaubwürdigkeit, um hier eine Führungsrolle zu übernehmen.
Die Bundesregierung sollte Sudan weiterhin prominent auf der außenpolitischen und humanitären Agenda halten. Dazu gehört die Unterstützung der Afrikanischen Union beim Aufbau eines gemeinsamen Verhandlungsforums zur Deeskalation. Dass die Londoner Konferenz weder ein gemeinsames Kommuniqué noch eine Kontaktgruppe hervorbrachte, zeigt, wie dringend eine koordinierte Herangehensweise gebraucht wird.
Gleichzeitig tragen regionale und internationale Akteure weiter zur Eskalation bei – etwa durch militärische oder finanzielle Unterstützung der Konfliktparteien. Deutschland sollte sowohl durch diplomatische Gespräche als auch öffentlich für Deeskalation eintreten. Auch wirtschaftliche Hebel wie der Export von sudanesischem Gold und anderen Rohstoffen sollten genutzt werden, um Druck für ernsthafte Verhandlungen aufzubauen.
Parallel dazu ist ein konsequentes Eintreten für das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte unerlässlich. Der Schutz von Zivilist*innen und die Sicherung humanitärer Infrastruktur sind nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch strategisch essenziell für die regionale Stabilität.
Zögern kostet Menschenleben
Solange es keinen politischen Fortschritt gibt, muss die Versorgung der sudanesischen Bevölkerung mit überlebenswichtiger Hilfe oberste Priorität haben. Deutschland sollte sich für eine sofortige, dreimonatige Aussetzung bürokratischer Hürden beim Zugang zu Hilfe einsetzen – inklusive uneingeschränktem UN-Zugang zu Gebieten außerhalb der Kontrolle der sudanesischen Streitkräfte. Humanitärer Zugang darf nicht an einen Waffenstillstand gebunden werden.
Deutschland sollte sein Gewicht in multilateralen Foren nutzen, um internationale Aufmerksamkeit für Sudan aufrechtzuerhalten. Ziel muss es sein, Zivilist*innen zu schützen, humanitären Zugang sicherzustellen und regionale Akteure zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Krise in Sudan ist nicht vorübergehend. Es handelt sich um einen langfristigen, systemischen Zusammenbruch – der absehbar war. Die sudanesische Bevölkerung ist widerstandsfähig und engagiert, aber sie kann den Wiederaufbau nicht allein stemmen.
Link
International Rescue Committee (IRC): 2025 Emergency Watchlist.
rescue.org/de/report/watchlist2025
Eatizaz Yousif ist die Landesdirektorin von IRC Sudan.
Corina Pfitzner ist die Geschäftsführerin von IRC Deutschland.
executiveoffice.germany@rescue.org
Im April 2025 reiste Corina Pfitzner, Geschäftsführerin von IRC Deutschland, mit Vertreter*innen des Auswärtigen Amtes nach Sudan, um sich ein Bild von der humanitären Lage zu machen und die Projekte von IRC vor Ort zu besuchen. Die Reise führte in eine Region, die von Gewalt, fragilen Strukturen und schlechter Versorgung geprägt ist. Begleitet wurde die Delegation von Eatizaz Yousif, IRC-Länderdirektorin für Sudan, die seit Kriegsbeginn 2023 im Land aktiv ist und selbst vertrieben wurde. Dank ihrer Erfahrung konnte IRC schnell auf die Krise reagieren.
Die Reiseplanung war aufgrund der instabilen Sicherheitslage äußerst komplex. Generelle Bewegungen im Land benötigen bürokratische Koordination – Stromausfälle, eingeschränkte Kommunikation und überlastete Infrastruktur erschweren die Arbeit. Nach Gesprächen mit UN-Organisationen in Port Sudan reiste die Delegation weiter in die Stadt Gedaref – ein logistischer Kraftakt. Im Tunaydbah-Camp besuchten sie Projekte von IRC, etwa zu Gesundheitsversorgung, psychosozialer Unterstützung und zu Bargeldhilfen. Trotz der Präsenz internationaler