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Weite Wege

Um Armut im ländlichen Raum Afrikas zurückzudrängen und Ernährungssicherheit zu gewährleisten, müssen die Agrareinkommen steigen. Im Interview mit Hans Dembowski plädiert Susanne Neubert, die Leiterin des Berliner Seminars für Ländliche Entwicklung (SLE), dafür, die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern – und dafür sind Transportmöglichkeiten essenziell.
Traktor am Kilimandscharo: Die ländlichen Wegenetze müssen ausgebaut werden. dem Traktor am Kilimandscharo: Die ländlichen Wegenetze müssen ausgebaut werden.

Welche Infrastruktur ist nötig, um die ländliche Entwicklung in Afrika wirkungsvoll voranzubringen?
Es ist schon oft gesagt worden, aber es stimmt weiterhin: Der Wegebau ist zentral. Die Überlandstraßen sind heute überwiegend gut, aber sie reichen nicht, um in die Dörfer und zu den Feldern zu kommen. Weil es an Zubringerstraßen und oft auch an Brücken mangelt, sind viele Menschen wirtschaftlich und gesellschaftlich weiterhin vom Rest der Welt abgeschnitten – und zwar besonders in der Regenzeit. Sie können ihre Waren nicht auf Märkte bringen, und sie können auch keine Betriebsmittel und Güter auf Märkten besorgen. Dafür brauchen sie selbstverständlich nicht nur Straßen, sondern auch Transportmittel. Und davon hängt auch ab, ob Landwirtschaft vernünftig mechanisiert werden kann, ob die Leute sich Maschinen und Geräte besorgen können und auch Ersatzteile bekommen. All das sind Voraussetzungen, um die Produktivität zu steigern. Mit Handhacken ist eine Intensivierung der Landwirtschaft wegen des hohen Arbeitsaufwands nur auf sehr kleinen Flächen möglich. Es geht nicht um komplizierte, elektronisch gesteuerte Maschinen, wie wir sie heute in Europa haben, sondern um robuste, einfache Maschinen, die beispielsweise in Asien hergestellt werden und die im Rahmen von Genossenschaften verwendet werden könnten.

Ließe sich nicht auch mit Ochsenpflügen viel erreichen?
Im Prinzip ja, und das ist ja auch versucht worden. Aber die sogenannte „Oxenisation“ der Landwirtschaft ist in Afrika vielerorts gescheitert, weil im Lauf der Strukturanpassungen Regierungen ihre Budgets gekürzt und dabei die Veterinärdienste zu sehr ausgedünnt haben. Trainierte Ochsen sind sehr teuer, und wenn sie sterben, ist der ganze bäuerliche Betrieb in Gefahr. Wenn Zugtiere flächendeckend eingesetzt werden sollen, werden auch Tierärzte gebraucht, denn der Krankheitsdruck für Tiere in afrikanischen Ländern ist zumeist sehr hoch.

Sind Wasser- und Stromversorgung nicht auch wichtige Dinge, um die die Politik sich kümmern muss?
Ja, fast alle Dinge sind im ländlichen Raum wichtig. Diese gleichzeitig zu entwickeln, ist bisher nicht gelungen und verlangt – gerade beim Bau von Stromnetzen – viel Geld. Zumal auch Nutzungsgebühren gezahlt werden müssten. Woher soll das Geld kommen, wenn nicht vom landwirtschaftlichen Einkommen? Daher ist zunächst die Steigerung dieses Einkommens zentral. Oder sollen alle Menschen auf dem Lande Almosenempfänger werden? Ich denke, nein!

Großprojekte, etwa für die Bewässerung, sind ja bekanntermaßen bisher meistens gescheitert. Die Kleinbewässerung dagegen, insbesondere für Gemüse und Obst, also die Intensivkulturen, ist realistisch und gut. Aber gerade hier ist auch wieder die Verbesserung von Vermarktungs- und Transportmöglichkeiten essenziell, sonst verrotten die Produkte am Wegesrand, ein oft gesehener Tatbestand.

Es scheint, dass ländliche Entwicklung weiterhin vor allem Agrarentwicklung bedeutet.
Das ist so. Landwirtschaft ist das wirtschaftliche Rückgrat des ländlichen Raums, damals und heute. Seit die Lebensmittelpreise um 2008 herum angestiegen sind, lohnt es sich vom Prinzip her für Landwirte wieder, in die Landwirtschaft zu investieren. Auch die Nachfrage aus den Städten ist da und wächst. Und das bedeutet, dass Agrarentwicklung wieder im Mittelpunkt steht. Seit den 1970er Jahren wurde zwar viel über integrierte ländliche Entwicklung gesprochen, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt und neben Landwirtschaft auch das Gesundheits- und Bildungswesen, das verarbeitende Gewerbe, die Infrastruktur und so weiter fördern möchte. In der Praxis ist das aber leider nicht gelungen.

Woran liegt das?
Es ist sehr schwer, systemischen oder horizontalen Wandel in allen Sektoren gleichzeitig herbeizuführen. Es ist viel leichter, Einzelziele zu definieren und zu erreichen. Nehmen wir das Beispiel HIV/Aids: Die Infektionsraten zu senken und die Versorgung mit antiretroviralen Medikamenten zu gewährleisten, ist leichter, als ein komplettes Gesundheitswesen aufzubauen. Die Zielgruppen lassen sich definieren, und die Zahl der nötigen Maßnahmen ist überschaubar. Wenn Sie aber ein komplettes Gesundheitssystem schaffen wollen, werden die Dinge unübersichtlich. Und Sie müssen dann festlegen, wer wofür was bezahlt und wer welche Leistungen vielleicht gratis bekommt, das heißt, Sie müssen Institutionen aufbauen. Die armen Leute auf dem Land haben aber kaum Geld, also können sie gar nicht zahlen. Damit das Gesundheitssystem funktionieren kann, müssten also erst mal andere Dinge auch funktionieren: Produktion, Vermarktung, Einkommensgenerierung. In der Praxis gelingt es der Politik nicht, für alles gleichzeitig zu sorgen, insbesondere in armen Ländern, denn natürlich kostet alles Geld.

Und deshalb soll sich die Politik jetzt darauf konzentrieren, die Agrarproduktivität zu steigern?
Es spricht jedenfalls vieles dafür, das zu tun, denn das bringt mehr Nahrungsmittel und mehr Einkommen. Beides wird unbedingt gebraucht. Höhere ländliche Einkommen könnten dann auch helfen, Entwicklungen in anderen Sektoren – Bildung, Gesundheit et cetera – voranzubringen. Ohne höhere Agrarproduktivität wird andererseits die Landflucht noch zunehmen. Afrikas Städte sind jedoch schon jetzt überfordert und generieren nicht die Arbeitsplätze, die nötig wären. Umfragen zeigen, dass 40 Prozent der Afrikaner in Europa leben möchten. Damit die Situation besser wird, brauchen wir eine ökologisch nachhaltige und sozial inklusive Steigerung der Agrarproduktivität.

Wer kann das vorantreiben?
Die Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist richtig. Sie setzt durch Aufbau der grünen Innovationszentren im Kern auf Bildung und Beratung in dem wesentlichen Sektor. Der prominente französische Ökonom Thomas Piketty hat in seinen empirischen Länderanalysen belegt, dass Bildung bisher immer das Initial für wesentlichen Fortschritt war. Das BMZ wendet jährlich sehr viel Geld dafür auf. Die deutsche Entwicklungspolitik kann in einem fremden Land nichts erzwingen, aber sie kann gute Initiativen unterstützen. Es ist nötig, die örtlichen Kenntnisse zu nutzen und weiterzuentwickeln. Leider taugen die Agrarstudiengänge der afrikanischen Hochschulen oft nicht viel, denn sie scheren sich nicht um örtliche Verhältnisse, sondern verbreiten immer noch oft Lehrbuchwissen aus Europa und Nordamerika. Bauern brauchen aber kompetente Beratung, die zu ihrer tatsächlichen Lage passt. Daher müssen die Berater über nachhaltige und bezahlbare Methoden besser geschult werden.

Kann Afrika von Asien lernen?
Das ist leichter gesagt als getan. Richtig ist, dass asiatische Länder in der Agrarentwicklung sehr viel besser vorangekommen sind als afrikanische. Sie haben davon profitiert, dass Reis als Hauptkultur in Hochertragssorten gezüchtet wurde und dass das nötige Wasser vorhanden waren. Der unter Wasser gesetzte Paddy- oder Nass-Reis braucht keine Mineraldüngung und keine Pestizide, um ansehnliche Erträge zu erbringen und er ist selbstverträglich, kann also immer wieder schadlos nachgebaut werden. Selbstverständlich gab es auch hier Nachteile, aber insgesamt war hier auch die internationale von Gebern finanzierte Agrarforschung wichtig. In Afrika spielt Reis zwar eine wachsende Rolle, aber es gibt pro Flächeneinheit viel weniger Wasser als in Asien. Die traditionellen Kulturarten Afrikas, Hirse, Sorghum und Cassava wurden in der Züchtung jedoch vernachlässigt. Heute ist Mais die Hauptkultur in vielen Regionen. Mais lässt sich aber längst nicht so leicht nachhaltig anbauen wie Paddy-Reis. Außerdem haben die asiatischen Länder einen oft übersehenen Vorteil: Sie sind dicht besiedelt. Meist gilt Überbevölkerung als großes Problem, dabei erleichtert hohe Bevölkerungsdichte wirtschaftliche Aktivität. Sie ermöglicht kostensenkende Skaleneffekte und effektive Vermarktung. Das ist auch in bevölkerungsreichen Gegenden in Afrika, etwa in Teilen Kenias, deutlich zu erkennen. Dünne Besiedelung bedeutet dagegen große Entfernungen und weite Wege. Das hemmt Entwicklung.

Es wäre sicherlich sinnvoll, Bauern zu organisieren, um zum Beispiel Produkte gemeinsam zu vermarkten oder Maschinenringe aufzubauen. Dafür müssen gesellschaftliche Strukturen und Kompetenzen geschaffen werden. Sollte das eher auf staatlicher oder auf zivilgesellschaftlicher Ebene geschehen?
Diese Unterscheidung ist im ländlichen Raum Afrikas nicht sinnvoll, weil die staatlichen Strukturen oft schwach sind und Autorität aus örtlichen, traditionellen und religiösen Kontexten erwächst. Ja, der Organisationgrad der kleinbäuerlichen Betriebe muss erhöht werden, um Produktion und Vermarktung gemeinsam zu erledigen, damit hier die Skaleneffekte, die üblicherweise nur den „Großen“ zugutekommen, durch Zusammenschluss von den „Kleinen“ ebenfalls genutzt werden können. Allen Versuchen der Vergemeinschaftung schlägt aber wegen schlechter Erfahrungen heute großes Misstrauen entgegen. Kooperativen und Genossenschaften aufzubauen ist ein zentrales, aber schwieriges Anliegen. Sie müssen an Vorhandenes andocken und robust gegen Korruption sein, also partizipativ und intelligent aufgebaut werden. Dies ist eine weitere, sehr wichtige Voraussetzung für ländliche Entwicklung.

Ist es denn möglich, Bauern individuell zu fördern?
Ein vielversprechendes Konzept ist die Vergabe von sogenannten „E-Vouchern“. Staaten können solche digitalen Gutscheine auf Handys verschicken, und Bauern kaufen sich dann damit die Art Inputs, die sie brauchen. Das können Dinge wie Saatgut sein oder Dünger. Problem ist heute allerdings immer noch, dass es nicht alles auch überall zu kaufen gibt. Die Privatwirtschaft muss ihre Reichweite vergrößern, die Präsenz kleiner Händler und Geschäftsleute ist gefragt. Diese kommen jedoch vermutlich von selbst, wenn Kaufkraft und Infrastruktur – also auch hier wieder die Straße – vorhanden sind. Die bisher üblichen Fördersysteme sind dagegen völlig dysfunktional. Typischerweise bringt die Regierung im großen Stil subventionierte Düngemittel in die ländlichen Regionen. Für die meisten Bauern kommt der Dünger dann viel zu spät oder gar nicht an. Für viele ist es auch der falsche Dünger. Die meisten afrikanischen Staaten wenden viel zu geringe Prozentsätze ihrer Budgets für die Landwirtschaft auf und diese fließen dann hauptsächlich in solche Subventionen, die letztlich verschleudert werden. Irgendwelche Mittelsmänner und andere Akteure profitieren im großen Stil, aber die Landwirtschaft kommt nicht voran.

Vielleicht sollten die Subventionen gestrichen werden.
Nein, das wäre auch nicht richtig, denn gerade die Klein- und Subsistenzbauern brauchen Unterstützung. E-Voucher sind gut, sie können gezielt verwendet werden, zumal es mittlerweile ausgebaute Mobilfunknetze gibt. Subventionen können dabei vielfältige Formen annehmen. In Sambia werden versuchsweise auch E-Voucher-Systeme für das Lagern von Getreide eingesetzt. Dies versetzt Kleinbauern in die Lage, es nicht gleich, sondern erst dann zu verkaufen, wenn die saisonale Nachfrage steigt und die Preise hoch sind. Klar ist aber auch: Ohne Transportmöglichkeiten funktioniert das alles nicht. Auf Verkehrswege und Transportmittel kommt es immer an.


Susanne Neubert leitet das Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE) an der Humboldt-Universität in Berlin.
susanne.neubert@agrar.hu-berlin.de

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