Entwicklung und
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Unsere Sicht

Kapitalistische Hybris

Wenn ein System seine Umwelt zerstört, vernichtet es sich selbst. Die Menschheit ist dabei, das zu tun.
„Over-the-Counter“ von Taabu E Munyoki, Teil der konsumkritischen Ausstellung MORE IS MORE in Nairobi, Kibera Arts District. HOF Gallery Kibera / Staff photo „Over-the-Counter“ von Taabu E Munyoki, Teil der konsumkritischen Ausstellung MORE IS MORE in Nairobi, Kibera Arts District.

Grundsätzlich könnte vernünftig regulierter Kapitalismus nachhaltig gestaltet werden. Ungezügelte Marktkräfte fördern dagegen kurzfristige und egoistische Entscheidungen. Sie erleichtern auch den Aufstieg von Oligarchen.

Freie Märkte tendieren nicht zum Gleichgewicht, sondern sie vermachten über mehrere Konjunkturzyklen. Schließlich unterliegen sie der Kontrolle derjenigen, die sich im Wettbewerb durchsetzen. Öffentliche Güter wie Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit kommen dabei zu kurz. 

Folglich spiegelt das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das auf der statistischen Erfassung aller Geldzahlungen eines Landes in einem Jahr beruht, die Lebensqualität nicht sinnvoll wider. Verteilungsfragen sind wichtig. Dabei bedeuten selbst hohe Gesundheitsausgaben mitnichten gute soziale Sicherung. Wenn das Gesundheitswesen teuer, aber schlecht organisiert ist, fließen seine Kosten ins BIP ein, obwohl Kranke von besseren Dienstleistungen mehr hätten oder dank eines gesünderen Lebensstils weniger davon brauchen könnten. Möglicherweise bleiben auch viele Menschen von der Versorgung ausgeschlossen. Auch Umweltschäden steigern oft das BIP, wenn etwa ihre Behebung oder Linderung Geld kostet.

Solche Erwägungen führten das UN-Entwicklungsprogramm 1990 dazu, den Human Development Index (HDI) einzuführen. Er stützt sich nicht nur auf das BIP, sondern auch auf Gesundheits- und Bildungsindikatoren (wie Lebenserwartung und Alphabetisierungsrate zum Beispiel). Ziel war, Aufmerksamkeit auf öffentliche Güter zu lenken.

Irreführende Kennzahl im öffentlichen Diskurs 

Der HDI ist sinnvoll, ist aber nicht zur gebräuchlichen Messlatte des wirtschaftlichen Erfolgs geworden. In den vergangenen Jahren hat das Interesse an dieser Frage sogar abgenommen. Als die Investmentbank Lehman Brothers 2008 insolvent wurde, interessierte sich die Volkswirtschaftslehre dafür, aber in der folgenden Finanzkrise ging der Schwung wieder verloren. Bizarrerweise orientieren sich Politik und öffentliche Meinung immer noch vor allem am BIP. 

Selbst die Diskussion über ökologische Nachhaltigkeit wird zunehmend absurd. Protagonist*innen künstlicher Intelligenz (KI) sagen, Klimafragen seien so komplex, dass nur Computerprogramme überzeugende Lösungen finden könnten. KI frisst aber viel Energie, so dass Silicon-Valley-Größen nun neue Atomkraftwerke bauen lassen. Selbstverständlich wissen sie nicht, wie sie radioaktiven Müll jahrhundertelang sicher lagern sollen.

Das Oligarchentum missversteht wichtige Dinge systematisch. Die Legitimität politischer Entscheidungen hängt nicht davon ab, dass sie besonders schlau sind. Wichtiger ist, dass sie in ernsthafter politischer Auseinandersetzung aller relevanten Interessengruppen entstehen. Dann erscheinen sie einer großen Mehrheit von Menschen plausibel und dienen wahrscheinlich wirklich dem Gemeinwohl.

Wir brauchen auch keine KI, die uns sagt, wie die globale Umweltkrise zu meistern ist. Es ist klar, dass wir zu viel Energie und zu viele andere Ressourcen verbrauchen. Was fehlt, ist der Wille, entsprechend zu handeln.

Oligarchische Interessen 

Das Oligarchentum interessiert sich primär gar nicht für das Klima. Es will mit neuen Hightech-Geschäftsmodellen seine Macht vertiefen. Superreiche denken ohnehin, sie wüssten alles besser, weshalb alle anderen ihnen folgen müssten. Im Zweifel beraten sie sich nicht mit anderen Interessengruppen. Sie bauen auf KI-Programme, die ihre Firmen geschaffen haben.

Es nimmt zu, dass oligarchische Stimmen einen schlankeren Staat fordern, obwohl sie selbst von staatlichen Aufträgen, Subventionen und Rettungspakten abhängen. Das mit Abstand extremste Beispiel ist der reichste Mann der Welt und Donald-Trump-Verbündete Elon Musk. Der einzige ist er nicht.

Wir leben im Zeitalter des hybristischen Kapitalismus. Das altgriechische Wort Hybris lässt sich als Blindheit durch Größenwahn zusammenfassen. Manche der wichtigsten Wirtschaftsagierenden sind so von sich selbst und ihren Investitionsideen eingenommen, dass sie alles andere nur als Hindernis wahrnehmen. Der Fokus auf Geldtransaktionen statt auf wirkliche Lebensqualität nutzt ihnen. Derweil erleben wir das schlimmste Marktversagen der Geschichte: Unsere Spezies zerstört den Planeten, auf den wir angewiesen sind.

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C. 
euz.editor@dandc.eu

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.