Sexuelle Minderheiten
Menschenrechte für alle
Unter dem Motto „Kwa Umoja – We rise“ trafen sich Mitte November 1450 Aktivist*innen für Menschenrechte von sexuellen Minderheiten in Kapstadt. Der weltweit größte Dachverband International Lesbian and Gay Association (ILGA) hatte die südafrikanische Metropole gewählt, um ein Zeichen gegen Homo- und Transphobie zu setzen. Südafrikas Verfassung ist die erste weltweit, die sexuelle Minderheiten vor Diskriminierung schützt.
Während der Apartheid wurden Homosexualität sowie Beziehungen und Ehen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe in Südafrika kriminalisiert. Darunter zog die Regierung Nelson Mandelas nach dessen Amtsantritt 1994 einen Schlussstrich. Seit dieser demokratischen Wende kann Südafrika etliche Erfolge im Kampf gegen Diskriminierung vorweisen. Längst sind gleichgeschlechtliche Ehen legal, und Hassgewalt ist strafbar.
Mmapaseka Steve Letsike, stellvertretende Ministerin für Frauen, Jugend und Menschen mit Behinderungen, unterstrich in ihrer Eröffnungsrede zur ILGA-Konferenz, dass Homosexualität in Afrika in vorkolonialer Zeit vielerorts toleriert wurde und die Kriminalisierung eine koloniale Erfindung sei. Damit bezog sie auch gegenüber homophoben Politikern auf dem Kontinent Stellung. Der Kampf für die Verbesserung der LGBTIQ-Menschenrechte werde nicht nur von einer Gruppe geführt, sagte Letsike. Er sei ein Anliegen der ganzen Gesellschaft, ein Kampf um Gerechtigkeit und Würde aller Menschen. Sie lobte insbesondere die Arbeit südafrikanischer Gewerkschaften, die zur Überwindung sozio-ökonomischer Probleme beitragen und sexuelle Minderheiten inkludieren.
Gewerkschaften auf der ILGA-Weltkonferenz
Die Konferenz bot mehr als 150 Gewerkschaftsvertreter*innen von allen Kontinenten eine Plattform zum Austausch, um Arbeitsrechte und die Rechte sexueller Minderheiten auf allen Ebenen besser zu verbinden. Lehrergewerkschaften haben eine Schlüsselrolle, wenn es um Menschenrechtsbildung und Toleranz gegenüber Minderheiten geht. Einige gewerkschaftlich organisierte Lehrkräfte aus den früheren Siedlerkolonien Südafrika und Kanada berichteten, wie sie durch Dialog homophobe Vorurteile bei Schuldirektor*innen und Eltern abbauen und zu einem inklusiven Klima in Schulen beitragen. Dort könnten sie dann auch selbst stressfreier arbeiten.
Internationale Ebene
Die Konferenz fördere den Aufbau von Allianzen zwischen unterschiedlichen Bewegungen und echte Solidarität, unterstrich Julia Ehrt, geschäftsführende Direktorin von ILGA World. Widerstand und Courage seien notwendig, um Anti-Gender-Bewegungen und deren Angriffe auf Menschenrechte etwas entgegenzusetzen. „Konservative und religiöse Anführer versuchen, das Leben von Lesben, Schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen (LGBTI) zu beschränken, entweder durch Diskriminierung oder durch Kriminalisierung, oder indem sie Vorurteile und Stereotype gegen Gemeinschaften fördern, denen ILGA World verbunden ist. (…) Wenn man Teil des gesellschaftlichen Mainstreams ist, ist Autoritarismus vielleicht nicht so beängstigend. Wenn man zu einer Minderheit gehört, sei es eine geschlechtliche, sexuelle oder ethnische Minderheit, dann ist der Autoritarismus möglicherweise sogar lebensbedrohlich“, sagte Ehrt.
Viele Teilnehmende waren sich einig, dass homo- und transphobe Hetze nur der Anfang ist, um Menschenrechtsarbeit und die Zivilgesellschaft insgesamt zu schwächen. Mittel- und langfristiges Ziel der Anti-Gender-Bewegungen sei der Aufbau autoritärer und repressiver Regime.
Auf der Konferenz wurde auch thematisiert, dass Frauenrechtsaktivistinnen immer häufiger ins Visier geraten, weil sie für Selbstbestimmung und die Entscheidungsmacht über ihre eigenen Körper kämpfen. Zudem prangern sie sexualisierte und häusliche Gewalt an. Darüber sehen Vertreter*innen von moralisierenden Anti-Gender-Organisationen und deren Finanziers aber hinweg, da sie konservative und patriarchale Familienmodelle idealisieren.
Der UN-Experte für die Rechte von sexuellen Minderheiten, Graeme Reid, hatte kurz vor der Konferenz eine Studie dazu veröffentlicht. Er erläuterte: „Staatliche und nicht-staatliche Akteure versuchen, Meinungsfreiheit, friedliche Versammlungen und Vereinigungen einzuschränken. Vielfach zielt das direkt auf LGBT-Menschen ab. (…) Doch die Beschränkungen reichen weit darüber hinaus, denn sie betreffen Menschen, die sich mit LGBT-Gruppen solidarisieren und mit ihnen Allianzen oder Koalitionen bilden, um auf Unterdrückungsstrukturen insgesamt zu reagieren.“ Es gehe also keineswegs nur um einen Kulturkampf christlicher oder islamischer Fundamentalisten, sondern um Menschenrechte, plurale Gesellschaften und partizipative Demokratie.
Nachkriegsländer als Testfelder
Im Visier homophober Agitator*innen, Menschenrechts- und Demokratiegegner*innen sind vor allem Nachkriegsländer, in denen jahrelange, oft ungestrafte Gewaltexzesse massive soziale Verwerfungen verursacht haben. Politisch einflussreiche Prediger und Propagandisten agitieren dort gegenüber Regierenden, damit Gesetze gegen Homosexuelle weiter verschärft werden. Vielerorts stammen solche Gesetze noch aus der Kolonialzeit. Während der ILGA-Konferenz kritisierten Aktivist*innen, dass sie trotz antikolonialer Rhetorik nach der politischen Unabhängigkeit nie abgeschafft worden seien.
Das nutzen neue selbsternannte „Gotteskrieger“ aus. Beispielhaft dafür ist Uganda, wo die inzwischen drakonische Kriminalisierung von Homosexuellen auf fanatische US-amerikanische Evangelikale zurückzuführen ist. Interessenvertretungen von sexuellen Minderheiten mussten ihre Arbeit einstellen, auch in ihren Wohnungen sind viele nicht mehr sicher.
Auf der Konferenz sprach auch ein Aktivist aus Afghanistan, dem nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen die Flucht außer Landes gelungen war. Wie er berichtete, können afghanische Homosexuelle auf den gefährlichen Fluchtrouten nicht mit der Unterstützung europäischer Staaten rechnen – wenngleich letztere das neue Talibanregime rhetorisch verurteilen. Die Taliban terrorisieren indes keineswegs nur sexuelle Minderheiten, sondern berauben auch Frauen und Mädchen grundlegender Rechte. Als Zeichen der Solidarität mit Afghan*innen forderten etliche Konferenzteilnehmende umgehendes Handeln, vor allem von Regierungen, die sich als Frauen- und Menschenrechtsanwältinnen verstehen.
Link
https://worldconference.ilga.org/programme/
Rita Schäfer ist freiberuflich tätige Afrikawissenschaftlerin.
genderinafrica@web.de