Ländliche Entwicklung
Afrika darf sich nicht mit Subsistenzlandwirtschaft abfinden
Afrika hat mehr als 60 Prozent der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Es ist also absurd, dass es hier vielen Menschen an Ernährungssicherheit fehlt. Der Kontinent ist potenziell ein agrarisches Leistungszentrum. Leider bleiben zu viele Chancen ungenutzt.
Zu geringe Agrarproduktion bedeutet, dass viele afrikanische Länder Lebensmittel importieren müssen. Insgesamt geht es jährlich um etwa 60 Milliarden Dollar. Diese hohe Summe belastet die Volkswirtschaften, weil in dieser Höhe wertvolle Devisen abfließen. Obendrein bedeutet die Importabhängigkeit ein hohes Inflationsrisiko, denn Preisschocks auf dem Weltmarkt wirken sich sofort auf den Konsum in Afrika aus.
In gewisser Weise bedeutet Nahrungsmitteleinfuhr die Ausfuhr von Arbeitsplätzen. Angesichts der Tatsache, dass viele Afrikaner*innen im ländlichen Raum leben, ist das keine Strategie für Wettbewerbsfähigkeit. Der Kontinent kann dankbar für die Nahrungsmittelhilfe sein, die er kurzfristig bekommt – langfristig ist sie aber Gift. Die Politik muss sich ändern, wenn afrikanische Staaten Ernährungssicherheit, Wachstum, makroökonomische Stabilität und ausgeglichene Haushalte bekommen sollen.
Afrikas Landwirtschaft muss modernisiert werden. Dafür müssen die Regierungen über das Subsistenzkonzept hinausdenken, demzufolge Bauernhöfe in Dörfern vor allem dazu dienen, die dort lebenden Menschen zu ernähren. Tatsächlich ist Landwirtschaft als Branche von zentraler Bedeutung zu bewerten. Dieser Paradigmenwechsel wird auch wohlverstandener Souveränität der jeweiligen Staaten dienen.
Allzu lang hat sich afrikanische Politik auf die Städte konzentriert. Vorrang hatte nicht die Produktivitätssteigerung im ländlichen Raum, sondern die Befriedigung urbaner Bedürfnisse. Eine unbeabsichtigte Nebenwirkung ist bis heute die starke Landflucht, wobei allerdings viele Menschen in informellen Armutssiedlungen landen. Wenn städtisches Elend reduziert werden soll, muss der Lebensstandard auf dem Land steigen.
All das wurde lange vernachlässigt. Afrikanische Regierungen versuchten, die Stadtbevölkerung mit niedrigen Lebensmittelpreisen ruhig zu halten und strebten entsprechend auch niedrige Erzeugerpreise an. Folglich können sich viele Länder heute nicht mit Grundnahrungsmitteln selbst versorgen. Landwirtschaftliche Betriebe hatten Anreize, auf Produkte wie Kakao oder Tabak umzustellen, die wegen internationaler Nachfrage höhere Preise erzielen.
Leider haben afrikanische Politiker*innen aber auch die Exportwirtschaft nicht gut organisiert. Ghana und Côte d’Ivoire produzieren zusammen rund 60 Prozent des Kakaos weltweit. Eine gemeinsame Vermarktungsstrategie würde ihre Verhandlungsmacht stärken.
Was ist also zu tun? Land gibt es genug, die Agrarentwicklung hängt aber auch von anderen Faktoren ab. Wie in allen anderen Wirtschaftszweigen ist ein gutes Investitionsklima nötig. Agrarbetriebe müssen wirtschaftlich attraktiv werden.
Falsche Anreize
Tatsächlich stimmen die Anreize für landwirtschaftliche Investitionen in Afrika meist nicht. Die Zinsen sind zu hoch, während Subventionen gering bleiben oder gar nicht existieren. Es gibt keine starke Agrarforschung und folglich auch keine überzeugende Agrarberatung. Manche Länder erheben sogar hohe Steuern. Die ländliche Infrastruktur ist schwach, wie in vielen anderen Regionen mit geringen Einkommen. Dabei braucht die Landbevölkerung doch Straßen, Wasser- und Stromversorgung sowie Telekommunikation. Wichtig sind auch Bildungs- und Gesundheitswesen. Wo es weder Lagermöglichkeiten noch Vermarktungschancen gibt, wird es nie attraktiv sein, in Agrarbetriebe zu investieren. Verarbeitung findet in Afrika zudem fast nur in Städten statt.
Hohe Zinsen blockieren die ländliche Entwicklung, denn Investitionen werden in allen Branchen typischerweise zumindest teils mit Krediten finanziert. Wo Darlehen teuer und schwer erhältlich sind, floriert kein Wirtschaftszweig. Zinssätze von 25 Prozent sind im ländlichen Afrika allerdings normal. Außerdem werden Frauen auf destruktive Weise diskriminiert. Sie leisten zwar die meiste Feldarbeit und leiten 85 Prozent der kleinen Höfe. Weil ihnen das Land in der Regel aber nicht gehört, gelten sie meist nicht als kreditwürdig. Dabei hätten sie vermutlich die besten Investitionsideen.
In Ländern mit hohen Durchschnittseinkommen nutzen bäuerliche Familien aufwendige Technik. Ihre Mähdrescher sind gern 500 000 Dollar oder noch mehr wert. Sie profitieren von Subventionen und bekommen Darlehen mit unter fünf Prozent Zinsen. Sie nutzen in wachsendem Maße Informationstechnik, die smarte Bewässerung, selbststeuernde Maschinen oder die Drohnenüberwachung von Feldern möglich macht.
Ernten mit Sichel
Zu heutigen Bedingungen ist all das in Afrika kaum vorstellbar. Solange Zinsen und das sonstige Investitionsklima unfreundlich bleiben, wird weiter mit Sicheln geerntet werden. Die Produktivität wird gering bleiben, zumal ein großer Teil der Ernte verloren geht. Anstatt Menschen zu versorgen, verrotten mangels Lager-, Transport- und Vermarktungsoptionen bislang etwa 30 Prozent der afrikanischen Agrarproduktion. Würden diese Defizite behoben, so schätzen Fachleute, stiege die Produktivität ohne Erschließung von zusätzlichem Land um etwa ein Drittel.
Afrikanische Regierungen müssen sich diesen Herausforderungen stellen. Sie können viel tun. Mehr und bessere Agrarforschung gehört hoch auf die Tagesordnung. Sie muss herausfinden, wie die Produktivität in den spezifischen regionalen Kontexten gesteigert werden kann. China und Südkorea investieren etwa zwei Prozent der Erlöse der Agrarproduktion in Forschung. In Afrika ist es in der Regel weniger als ein Prozent.
Privatwirtschaft mobilisieren
Eine weitere zentrale Aufgabe ist die Mobilisierung privater Investitionen. Die Politik könnte davon profitieren, dass institutionelle Anleger wie Pensionsfonds oder Versicherungen Interesse an langfristigen Investitionsmöglichkeiten haben. Sie könnten große Summen bereitstellen, wenn das Investitionsklima in Afrikas Landwirtschaft besser würde.
Es wäre klug, Verarbeitungsbetriebe dort aufzubauen, wo Grundnahrungsmittel produziert werden. Um diese herum würden ländliche Wirtschaftszentren entstehen und sowohl Entwicklung als auch Wachstum voranbringen.
Bäuerliche Betriebe brauchen möglichst viele Vermarktungschancen. Bisher mangelt es aber sogar an örtlichen Märkten, was die vorgeschlagenen Verarbeitungszentren ändern dürften. Es ist aber noch mehr möglich. Rohstoffbörsen würden die Spekulationen mit Agrarprodukten ermöglichen und damit zusätzliche Verkaufschancen eröffnen. Lobenswerterweise wird das zurzeit in Ländern wie Simbabwe, Ruanda, Nigeria und Äthiopien vorbereitet. Nötig sind allerdings auch zuverlässige Speichermöglichkeiten, ohne die Angebot und Nachfrage nicht über Zeit und Raum hinweg in Einklang gebracht werden können.
Grundsätzlich gehört der Ausbau der Infrastruktur zu jeglicher agrarischer Modernisierungsstrategie. Die Stromversorgung muss besser werden. Bislang müssen 600 Millionen Menschen in Afrika ohne Strom auskommen. Wasserversorgung und Verkehrswesen – wo immer möglich auch auf der Schiene – sind ebenfalls wichtig. Ohne gute Schulbildung werden Menschen im ländlichen Raum zudem Chancen weder erkennen noch ergreifen können, und ohne Gesundheitsversorgung kann ein Unfall oder eine Krankheit eines wichtigen Familienmitglieds alle anderen in Armut stürzen.
Zudem ist Zugang zum Internet aus mehreren Gründen wesentlich:
- Finanzdienstleistungen sind heute online möglich, was Bankfilialen vor Ort überflüssig macht. Eigentlich brauchen Landwirt*innen nur ein Smartphone – und damit können sie auch auf Rohstoffbörsen agieren, wenn diese einmal eingerichtet sind.
- Für Wissensvermittlung ist das Internet heute unverzichtbar. Im Netz lassen sich Preise und andere wirtschaftlich wertvolle Informationen recherchieren. In gewissem Maß können Regierungen Aufklärung im Internet auch für Analphabet*innen organisieren, aber diese Menschen werden nie in der Lage sein, alle für sie relevanten Online-Angebote zu nutzen.
Nyasha J. Kavhiza ist Agrarökonom und lebt in Simbabwe.
njkavhiza@rocketmail.com