Ländliche Infrastruktur
Pakistans ländliche Infrastruktur ist schwach
Laut der Volkszählung von 2023 leben 147 Millionen Menschen (61 Prozent der Bevölkerung) in Dörfern, wobei wegen der Landflucht die Städte schnell wachsen. Der jüngsten Wirtschaftserhebung der Zentralregierung zufolge trägt die Landwirtschaft 24 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt und 37 Prozent zur Beschäftigung bei.
Die Weltbank konstatiert, der „enorme und vielfältige ländliche Raum“ des Landes werde „von politischen Entscheidungsträgern und Investoren nicht genug beachtet“. Der multilateralen Bank zufolge leben 80 Prozent der armen Bevölkerung Pakistans auf dem Land. Die vernachlässigten ländlichen Gebiete seien wirtschaftlich, politisch und kulturhistorisch sehr wichtig.
Typische Sorgen im ländlichen Raum Pakistans sind:
- unbefestigte Straßen,
- schlechte, unzuverlässige, aber teurer werdende Stromversorgung,
- Mangel an Wasser, besonders an sauberem Trinkwasser, sowie
- das Fehlen von Abwassersystemen.
Die Landbevölkerung lebt überwiegend von der Landwirtschaft. Es mangelt aber an Vermarktungschancen und Lagerungsmöglichkeiten. Das Festnetz hat die meisten Dörfer nie erreicht, und der Mobilfunk bleibt lückenhaft. Es gibt kaum Zugriff auf neue Agrar- und andere Techniken. Agrarische Wirtschaft wird nicht sorgfältig mit Belegen dokumentiert. Sie ist auch nicht digitalisiert. Gesundheits- und Bildungswesen lassen viel zu wünschen übrig. Pakistan hat auf allen staatlichen Ebenen Governance-Probleme – und wo die Infrastruktur schwach ist, gilt das ebenso für Kommunalverwaltungen.
Regionale Ungleichheiten
Pakistan ist groß, und die ländliche Infrastruktur unterscheidet sich in den Regionen. Von den vier Provinzen ist Punjab die bevölkerungsreichste und politisch wichtigste. Doch auch dort gibt es große Unterschiede: In den zentralen Gebieten gibt es genügend Schulen, Kliniken, Bewässerungssysteme und Straßen, aber im südlichen Punjab hat die Entwicklung nicht Schritt gehalten. Im Norden fehlt ein ordentliches Kanalsystem, sodass die Agrarbetriebe auf Regenwasser und Rohrbrunnen angewiesen sind.
Noch drastischer sieht es in den Stammesgebieten der beiden westlichen Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan aus. Das gilt besonders dort, wo Gewaltkonflikte die Lage verschärft haben.
Lückenhafte Infrastruktur führt zu einem Teufelskreis, der Menschen arm hält. Pakistans Kleinbauernschaft hat allen Grund, sich abgehängt zu fühlen. Sie kämpfen mit Wasserknappheit und rapide steigenden Preisen für Betriebsmittel wie Dünger, Pestizide und Saatgut. Zugleich sind die Preise, die sie für ihre Ernten erhalten, sehr volatil.
Bäuerliche Familien können meist nichts ansparen und folglich auch nicht umsichtig investieren, um sich beispielsweise gut auf Klimarisiken einzustellen. Außer Geld bräuchten sie dafür kompetente Beratung – aber die bekommen sie meist nicht.
Geringe Verhandlungsmacht
Das traditionelle Vermarktungssystem benachteiligt kleine Höfe auf unterschiedliche Weise: Sie sind vom Zwischenhandel abhängig, haben aber selbst kaum Verhandlungsmacht. Da sie ihre Erzeugnisse nicht lagern können, müssen sie diese sofort nach der Ernte verkaufen. Dann ist der Wettbewerb am größten und die Erzeugerpreise sind am niedrigsten.
Kleinbetriebe brauchen oft Kredite von den Zwischenhandel Betreibenden – etwa, um Saatgut zu kaufen. Es kann um Geldzahlungen oder Sachleistungen gehen – beides schwächt die Verhandlungsposition weiter. Tatsächlich zwingen die Kreditgebenden Bauern manchmal sogar Managemententscheidungen auf und legen beispielsweise fest, was sie anbauen sollen.
In ganz Südasien wird die ausbeuterische Rolle des Zwischenhandels beklagt. Laut Aamer Hayat Bhandara, Mitbegründer der zivilgesellschaftlichen Stiftung Agriculture Republic im Punjab, leiden darunter sowohl die Produzierenden als auch die Verbrauchenden. Erzeugerpreise seien oft „zu billig“, aber Konsumpreise „zu teuer“.
Geschäftsbanken und Mikrofinanzinstitute helfen in gewissem Maß, fordern aber oft hohe Zinsen. Je abgelegener ein Dorf ist, desto weniger sind Finanzdienstleistungen – ob informell oder formalisiert – verfügbar. Zentral- und Provinzregierungen behaupten, sie würden dem Agrarsektor ein Maximum an Krediten zur Verfügung stellen. Trotzdem sind die bäuerlichen Familien frustriert. Bhandara hält kategorisch „flexiblere Konditionen und niedrigere Zinssätze“ für notwendig. Besonders die Absicherungsforderungen für Kredite hält er für schädlich.
Was helfen könnte
Fachleuten zufolge wären lokale Erzeugermärkte hilfreich, aber es gibt nur wenige davon und so behalte der Zwischenhandel seine Monopolstellung. Er ist mächtig, profitiert vom System und stemmt sich gegen Veränderungen.
Auch bessere Lager- und Transportmöglichkeiten wären hilfreich und würden das Leben von Agrarproduzierenden, aber auch Nahrungsmittel Konsumierenden verbessern. Oft verderben Obst und Gemüse, ehe sie gegessen werden können.
Vor fünf Jahren führte ein Bericht der Asiatischen Entwicklungsbank aus, dass in Pakistan 30 bis 40 Prozent der gesamten Obst- und Gemüseproduktion verloren gehen – wegen falscher Behandlung der leicht verderblichen Ware, schlechter Transport- und Lagermöglichkeiten sowie fehlender Marktinfrastruktur. Würden die Nachernteverluste um 75 Prozent reduziert, könnte Pakistan jährlich den Gegenwert von einer Milliarde Dollar einsparen.
Gebraucht werden Lagerhäuser mit Kühlsystemen, Verpackungen und Spezialfahrzeuge. Privatunternehmen, die im Lebensmittelsektor große Gewinne erzielen, sollten sich engagieren, sagt Bhandara von Agriculture Republic. Sie sollten zudem in Kapazitätsaufbau und Saatgutentwicklung investieren, um die Landwirtschaft produktiver zu machen.
Fortschritt ist möglich, aber aktuell ist der Zwischenhandel noch nötig. Ohne ihn könnten kleine Höfe in abgelegenen Gebieten ihre Erzeugnisse überhaupt nicht verkaufen und wären auf Subsistenzlandwirtschaft beschränkt. Die Zwischenhandel Betreibenden sichern auch den Zugang zu Betriebsmitteln und den nötigen Krediten.
Laut Abid Qaiyum Suleri vom Sustainable Development Policy Institute, einer unabhängigen Denkfabrik in Islamabad, kann der Zwischenhandel nicht einfach obsolet gemacht werden. Er hält es aber für notwendig, „seine Rolle zu institutionalisieren“. Vor allem fordert er Vorschriften über die Höhe von Provisionspreisen.
Extremwetter
Die Klimakrise verschärft die landwirtschaftlichen Probleme. Übermäßiger Regen, verheerende Dürren und zunehmende Hitze treffen die Menschen hart.
2022 sorgten Überschwemmungen für internationale Schlagzeilen, als ein Drittel des Landes überflutet wurde. In einem UN-Lagebericht von 2023 hieß es: „Die Überschwemmungen zerstörten landesweit kritische Infrastrukturen – Kliniken und Gesundheitszentren, Schulen, Wasser- und Sanitäreinrichtungen, Bewässerungssysteme, Straßen, Brücken und Regierungsgebäude lagen in Trümmern.“ Natürlich sind solche Schäden dort besonders schmerzlich, wo die Infrastruktur ohnehin schlecht war.
Große Katastrophen werden international wahrgenommen, aber auch die täglichen Folgen der Klimakrise – Ernteverluste, Wasserstress und geringere Viehbestände – tun weh. Unbeständige Wettermuster führen zudem dazu, dass sich die Anbausaison verändert. Laut Pakistans Nationalem Klimaanpassungsplan für 2023 wirkt sich all das auf die Grundnahrungsmittelproduktion aus. Die Ernährungssicherheit des Landes ist somit gefährdet.
Der Klimawandel macht die Verbesserung der ländlichen Infrastruktur noch dringlicher. Fachleute betonen, klimagerechte Landwirtschaft könne von GIS-Kartierung, Drohnen und Sensortechnik profitieren. Andererseits wären auch Frühwarnsysteme gut. Leider ist die Internetversorgung auf dem Land in Pakistan schlecht. Das steht Hightechlösungen im Weg. Oft ist es unmöglich, kleinbäuerliche Betriebe über sinnvolle Lösungen zu informieren.
Experten wie Bhandara fordern zu Recht Multi-Stakeholder-Ansätze, um die ländliche Infrastruktur zu verbessern. „Wir müssen die Regierung, den Privatsektor, die Zivilgesellschaft, bäuerliche Familien und gewöhnliche Leute an einen Tisch bringen“, sagt er.
Imran Mukhtar ist Journalist und lebt in Islamabad.
imranmukhtar@live.com