Traumata
Wie traumatisierte Gesellschaften heilen können
Knapp drei Millionen Menschen wurden zwischen 1989 und 2021 weltweit in Kriegen und bewaffneten Konflikten getötet, wie das in Schweden ansässige Uppsala Conflict Data Program (UCDP) berichtet. Wie viele darüber hinaus im Kontext solcher Auseinandersetzungen Gewalt erfuhren und weiterhin erfahren, ist schwer zu beziffern. Selbst relativ kurze Konflikte können zu schweren individuellen und kollektiven Traumata führen, deren Aufarbeitung sich über Jahrzehnte und Generationen hinweg erstreckt.
In Deutschland besteht beispielsweise nach wie vor große Dringlichkeit, das psychosoziale, politische und kulturelle Erbe des Holocaust immer wieder mit neuen Ansätzen und Methoden zu bearbeiten, auch 80 Jahre und drei Generationen nach der zwölfjährigen NS-Herrschaft. Und in Ruanda sind die Bemühungen um eine juristische, psychosoziale und politische Aufarbeitung der Folgen des Genozids von 1994 alles andere als abgeschlossen. Damals wurden in 100 Tagen mindestens 800 000 Angehörige des Tutsi-Volkes ermordet.
Individuelle Traumata sind dabei zu unterscheiden von kollektiven Traumata. Erstere sind psychoemotionale Reaktionen auf ein einschneidendes Erlebnis. Sie können sich als lang anhaltende Wunden in der menschlichen Psyche manifestieren, mit schwerwiegenden körperlichen Auswirkungen. Es ist dabei wichtig, zu differenzieren zwischen dem katastrophalen Ereignis selbst – beispielsweise Krieg, eine Naturkatastrophe oder der Tod eines geliebten Menschen – und dem individuellen Umgang damit. Der kanadische Mediziner Gabor Maté beschrieb dies so: „Trauma ist nicht das Schlimme, das dir passiert, sondern das, was in dir passiert als Ergebnis dessen, was dir widerfahren ist.“
Entstehung kollektiver Traumata
Individuelle Traumata werden häufig jahrelang verschwiegen und verdrängt, sie bedürfen persönlicher Aufarbeitung. Ein kollektives Trauma ist hingegen nicht einfach die Summe individueller Erfahrungen ganzer Bevölkerungsgruppen. Vielmehr formt es sich erst durch die Bedeutung, die ihm gesamtgesellschaftlich verliehen wird, etwa durch Gedenktage, Mahnmale und Rituale, aber auch Storytelling jeglichen Genres. Sie helfen, ein gemeinsames Narrativ zu schaffen, das als Grundlage für weiteres gesellschaftliches Handeln dient, wie der Soziologe Jeffrey Alexander und die Soziologin Elisabeth Butler Breese betonen (in Eyermann et al. 2016).
Medien können vielstimmige Erzählungen sichtbar und einer großen Anzahl an Menschen zugänglich machen. Journalistinnen und Journalisten kommt dabei große Verantwortung zu. Sie entscheiden, welche mediale Bedeutung bestimmte Ereignisse erhalten, und beeinflussen mit ihren Beiträgen die Wahrnehmung aller Beteiligten.
Das beginnt bereits bei der Berichterstattung über Konflikte (Legatis 2015). Hier ist entscheidend, bisher unbeachtete Akteurinnen und Akteure einzubeziehen, um zu Unrecht dominierenden Narrativen über Konflikte entgegenzuwirken. Dies geschieht, indem alternative – wahrhaftige und faktengesicherte – Sichtweisen aufgezeigt werden. Insbesondere müssen benachteiligte Gemeinschaften mit hohen Opferzahlen Raum bekommen, ihre Sicht zu schildern.
Notwendig sind solche Interpretationsangebote, weil sich in längeren gewalttätigen Konflikten die Wahrnehmung der beteiligten Akteurinnen und Akteure verzerren und ihre Sichtweise verengen kann. Dies hat gravierende psychosoziale Folgen für die Bevölkerung und ebenso für die Transformierbarkeit eines Konflikts. Selbst- und Fremdwahrnehmung verhärten, Feindbilder verfestigen sich. Solche Dynamiken von Polarisierung und Hass gilt es aufzubrechen. Das dauert allerdings lange, ist mühsam und für Einzelne durchaus schmerzhaft.
Neue Perspektiven
Nach Massengewalt und systematischen Menschenrechtsverletzungen müssen die betroffenen Menschen Kraft für neue Perspektiven entwickeln. Damit die Transformation in eine Gesellschaft mit friedensfördernden Strukturen gelingt, ist es entscheidend, dass sie sich zukunftsorientierte Formen des Zusammenlebens vorstellen und diese im öffentlichen Diskurs aushandeln können.
Medien tragen zu solchen Peacebuilding-Prozessen bei, wenn sie mit ihrer Themensetzung sowohl politisch Verantwortlichen, als auch Vertreterinnen und Vertretern der Konfliktparteien und der betroffenen Bevölkerung die Möglichkeit eröffnen, eigene Wahrnehmungen und Erklärungsmuster kritisch zu überprüfen. So unterstützen sie den Versuch, sowohl die eigene verhärtete Konfliktidentität als auch die der anderen Seite verständlicher und eventuell einer Veränderung zugänglich zu machen – geht es bei der Bearbeitung kollektiver Traumata doch darum, unterdrückte Diskurse ans Licht zu bringen, konstruktive Kritik herauszuhören und Dialoge zu schaffen, in denen allen relevanten Seiten Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Damit Medien ihren Beitrag dazu leisten können, sind die Qualität ihrer Produkte und ihre Motivation für die Berichterstattung ausschlaggebend. Es wäre naiv, anzunehmen, Medienschaffende verfolgten keine eigenen Agenden und Interessen. Sie nehmen selbst Rollen als politische Akteurinnen und Akteure ein. Zudem unterliegen Medien eigenen Logiken, das heißt, medial aufbereitete Informationen über Konflikte und Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge werden anhand journalistischer Praktiken selektiert und geformt, bevor sie beim Publikum ankommen. Medienarbeit muss also immer wieder hinterfragt und auf ihre Legitimität hin überprüft werden – auch von den Journalistinnen und Journalisten selbst (siehe Kasten).
Quellen
Eyerman, R., Alexander, J. C., Butler Brees, E., 2016: Narrating trauma – On the impact of collective suffering. Abington, New York: Routledge.
Legatis, R., 2015: Media-related peacebuilding in processes of conflict transformation. Berghof Foundation.
https://berghof-foundation.org/library/media-related-peacebuilding-in-processes-of-conflict-transformation
Rousbeh Legatis ist Friedens- und Konfliktforscher. Er berät Organisation zu Friedensprozessen, insbesondere in Lateinamerika.
rousbeh@gmail.com