Entwicklung und
Zusammenarbeit

Elasticsearch Mini

Elasticsearch Mini

Volkswirtschaftslehre

Wachstum, grünes Wachstum oder Degrowth?

Weil unser Planet zu kochen beginnt, wird darüber diskutiert, ob die Menschheit weiterhin Wirtschaftswachstum, nur noch grünes Wachstum oder sogar Degrowth braucht. Die Begriffe sind schwammig. Fest steht aber, dass künftige Entwicklungen nachhaltig sein müssen.
Zu viel Fleisch, zu viel Plastik, zu hoher Verbrauch: Regal in europäischem Supermarkt. picture alliance / imageBROKER/ Moritz Wolf Zu viel Fleisch, zu viel Plastik, zu hoher Verbrauch: Regal in europäischem Supermarkt.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat den Begriff vom kochenden Planeten geprägt. Tatsächlich belegen Extremwetterlagen rund um die Welt, dass die Menschheit auf gefährlichem Kurs ist. Verwandte Probleme sind das Schwinden der biologischen Vielfalt, die anschwellende Flut von Plastikmüll oder auch Wüstenbildung. Volkswirtschaften müssen sich also umstellen.

Die Begriffe „grünes Wachstum“ oder sogar „Degrowth“ für Schrumpfen fallen häufig, sind aber ungenau. Nicht einmal das Wirtschaftswachstum, das gemeinhin als Maßstab für ökonomischen Erfolg herangezogen wird, ist so präzise definiert, wie die akkuraten Prozentangaben glauben machen. Tatsächlich wird auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) absurd oft Bezug genommen.  

Grünes Wachstum ist nur eine Variante des gewohnten Paradigmas. Der Begriff legt nahe, wir könnten weitermachen wie gewohnt, müssten nur einige ökologische Schäden in den Griff bekommen und vielleicht sogar eliminieren. Tatsächlich müssen wir aber eine ganze Reihe von Umweltproblemen lösen. Dafür gibt es auch viele verschiedene Ansätze, die aber häufig negative Folgeprobleme oder destruktive Wechselwirkungen mit sich bringen.

Im Wirtschaftsalltag preisen sich Unternehmen gern mit Investitionen in grünes Wachstum, wenn sie irgendeines der vielen ökologischen Probleme angehen. Viele unterschiedliche Konzepte vieler verschiedener Firmen addieren sich aber nicht zu einer kohärenten Strategie, um der globalen Umweltkrise wirksam zu begegnen.

Wie „nachhaltige Entwicklung“ definiert ist 

Vielen Menschen scheint grünes Wachstum gleichbedeutend mit „nachhaltiger Entwicklung“. Im Alltagsgebrauch ist letzterer Begriff zwar auch etwas schwammig, aber dahinter steht ein viel klareres Konzept. Schon vor vier Jahrzehnten wurde es als Entwicklungspfad definiert, der heutigen Bedürfnissen genügt, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. 

So stand es im UN-Report „Our Common Future“, den die World Commission on Environment and Development unter der Leitung von Gro Harlem Brundtland 1987 veröffentlichte. Es ging dabei um den ganzen Planeten, denn der Kommission war klar, dass die Bedürfnisse armer Menschen weltweit nicht befriedigt wurden und deshalb Priorität verdienten. Das ist bis heute so.

Die Kommission erkannte auch an, dass es ökologische Grenzen menschlichen Handelns gibt. Im Gegensatz zu grünem Wachstum suggeriert nachhaltige Entwicklung nicht, dass wir uns immer mehr und immer größere Wünsche erfüllen können. 

Die globale Umweltkrise, die 1987 schon zu erkennen war, hat sich seither nur verschärft. Deshalb fordern manche Umweltaktivist*innen nun Degrowth. Sie meinen, die Umwelt sei nur zu retten, wenn Volkswirtschaften schrumpften. Dabei übersehen sie, dass so die weltweite Armut verschärft würde. In Ländern mit niedrigen und niedrigen mittleren Einkommen ist die Wirtschaftsleistung nämlich zu gering, um Armut allein durch Umverteilung zu beenden. Das heißt nicht, dass es dort angesichts großer sozialer Diskrepanzen gar keine Handlungsoptionen gäbe, aber es würde den Rahmen dieses kurzen Aufsatzes sprengen, diese auszuführen. Klar ist ohnehin, dass sie nicht reichen würden, sodass Wachstum für nachhaltige Entwicklung in diesen Ländern wirklich nötig ist. 

In Ländern mit hohen und höheren mittleren Einkommen liegen die Dinge anders. Dort ist absolute Armut (bei der Menschen Lebensnotwendiges fehlt) de facto beseitigt, aber relative Armut (bei der Menschen weit hinter den in ihrer Gesellschaft üblichen Lebensstandard zurückfallen) nimmt zu. 

Wenn es um Konsum geht, stimmen in solchen Volkswirtschaften die Degrowth-Argumente ein Stück weit. Der Lebensstil von reichen Nationen ist mit zu viel Abfall, Emissionen und Ressourcenverbrauch verbunden, um nachhaltig zu sein. Er belastet die globalen Gemeingüter in überzogenem Maße. UNICEF hat errechnet, dass die Menschheit drei Erden bräuchte, damit alle Länder den deutschen Lebensstandard genießen könnten. 

Der Bau sauberer Infrastruktur führt zu Wachstum

Dennoch ist es ein Irrtum zu glauben, es wäre umweltfreundlich, Volkswirtschaften schlicht schrumpfen zu lassen. Länder mit hohen Einkommen müssen nämlich schnell nachhaltige Infrastruktur bauen, um aus fossiler Energie auszusteigen. Es erfordert jedoch enorme Investitionen, den Verkehr oder das Gebäudewesen klimafreundlich umzugestalten. Diese Investitionen bedeuten unweigerlich Wirtschaftswachstum.

Der Umbau muss sogar schnell geschehen. Zwei wichtige Gründe sind, dass 

  • Klimaschutz sofort verbessert werden muss und 
  • Länder mit niedrigen Einkommen erprobte Vorbilder für den Aufbau sauberer Infrastruktur brauchen. 

Wie ausgeführt, brauchen die am wenigsten entwickelten Länder Wachstum, um Armut zu beseitigen. Die globale Umweltkrise ist aber bereits so weit fortgeschritten, dass auch dort keine Infrastruktur mehr gebaut werden kann, die dauerhaft zu Umweltschäden führt. 

Damit die Menschheit auf unserem kleinen Planeten eine lebenswerte Zukunft haben kann, müssen alle Regierungen Nachhaltigkeit zur Priorität machen. Ob das mit Wachstum verbunden ist oder nicht, ist zweitrangig. Es muss auch nicht betont werden, dass die Regierungen, deren Länder am meisten zur globalen Umweltkrise beigetragen haben und weiterhin über die meisten Ressourcen verfügen, die größte Verantwortung tragen. Zugleich müssen auch Schwellenländer entsprechend handeln – und zwar besonders die, die schnell zu den Vorreitern aufholen. 

Praveen Jha ist VWL-Professor an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi.
praveenjha2005@gmail.com

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.