Wachstumsmodelle
Warum Afrika starkes grünes Wachstum braucht
In Ihrem Papier lehnen Sie Degrowth und grünes Wachstum für Afrika ab und plädieren stattdessen für „starkes grünes Wachstum“. Können Sie das Konzept erklären?
Zunächst gilt es den Unterschied zu verstehen zwischen Degrowth und grünem Wachstum. Ich habe eine gewisse Sympathie für Degrowth, weil das Konzept zum Ausdruck bringt, dass wir kapitalistischem Wirtschaftswachstum gegenüber vorsichtig sein sollten und mehr darauf achten müssen, natürliche Ressourcen zu schützen. Leider fokussiert es aber zu sehr darauf, Wirtschaftswachstum zu mindern, während ein großer Teil der Afrikaner*innen ein erhebliches Wirtschaftswachstum benötigt, um ein würdiges Leben zu führen, das die grundlegenden Bedürfnisse erfüllt.
Ich verstehe, dass manche fürchten, grünes Wachstum werde zum Vorwand für „business as usual“ – aber so muss das nicht sein. Es gibt verschiedene Formen von grünem Wachstum. Ich befürworte eine starke grüne Wirtschaft, die einen Fokus auf Innovation ermöglicht und Wirtschaftswachstum von Umweltfolgen entkoppelt. Zugleich erreicht eine solche Wirtschaftsform das Maß an Wachstum, das die Mehrheit Afrikas braucht, um ein gutes Leben führen zu können.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich unterstütze kein grünes Wachstum ohne Gerechtigkeit – das ist zum Beispiel der Fall, wenn Afrika mit billigen und schlechten Solarprodukten überflutet wird oder Gemeinschaften zugunsten von Projekten für erneuerbare Energien vertrieben werden.
Ich unterstütze auch kein ungebremstes Wirtschaftswachstum mit all seinen Folgen für Umwelt und Klima. Aber ich glaube eben nicht, dass weniger Wachstum die einzige Lösung ist. Ich plädiere für ein starkes grünes Wachstum, das besonders Entwicklungsländern Wachstum ermöglicht.
Sie sagen, Degrowth könnte die Armut in Ländern mit niedrigen Einkommen verschärfen. Wie könnte das in Afrika aussehen?
Wir brauchen mehr Wachstum, um die afrikanische Bevölkerung überhaupt zu ernähren. Etwa 429 Millionen Menschen lebten 2024 in Afrika in extremer Armut. Bis 2050 wird es voraussichtlich bis zu 105 Millionen Klimaflüchtlinge aus Afrika geben. Wie soll Afrika seine Bevölkerung ernähren, die Umwelt schützen, Strom, fließendes Wasser und effiziente Krankenhäuser bereitstellen, Universitäten und andere Einrichtungen für Forschung und Innovation bauen oder ausstatten, wenn die Wirtschaft nicht wachsen darf?
Einige Degrowth-Fachleute sagen, man könnte vielleicht Afrika wachsen lassen, sollte aber das Wachstum in den reicheren Ländern einschränken. Das klingt theoretisch gut, wird aber praktisch sehr schwierig werden, weil wir in einer globalisierten Welt leben. Wenn die reichen Länder das Wachstum drosseln, wohin kann Afrika dann seine Rohstoffe verkaufen, um Geld für Entwicklungsinvestitionen zu erwirtschaften?
Die bittere Wahrheit ist, dass der Trend im Westen hin zu populistischen Bewegungen geht. Viele rechtsextreme Parteien sind bereits in Regierungen. Das bedeutet, dass die Länder sich wieder auf sich selbst beziehen – Solidarität zählt weniger und Nationalismus nimmt zu. Von einer echten Debatte über Degrowth sind wir dort also ohnehin weit entfernt, und Afrika wird in jedem Fall negativ betroffen sein.
Wird Degrowth auch soziale Ungleichheit in reicheren Ländern vergrößern?
Einige Fachleute glauben, Degrowth bringe mehr Gleichheit. So ist es aber nicht. Wie bei einem globalen Degrowth-Szenario – das Afrika als bereits marginalisierten Kontinent stärker treffen würde – trügen in Ländern mit hohen Einkommen die Ärmeren die Last. Es ist wichtig zu verstehen, dass Degrowth- oder Wachstumsszenarien sich von Verteilungs- oder Umverteilungspolitiken völlig unterscheiden. Es braucht starke politische Maßnahmen und Institutionen, die die Umverteilung von Ressourcen und Einkommen in einem Land wie Deutschland sichern. Allein die deutsche Wirtschaft zurückzuschrauben, würde Ungleichheit nicht eliminieren. Die Reichen haben einen Vorsprung, und sie werden sich immer durchsetzen.
Wie könnte ein starkes grünes Wachstumsmodell für afrikanische Länder in der Praxis aussehen?
Viele afrikanische Länder tragen wenig zum Klimawandel bei. Eine durchschnittliche Person in Ruanda hatte im vergangenen Jahr einen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß von 0,12 Tonnen. Damit stößt sie in 129 Jahren so viel CO2 aus wie eine durchschnittliche Person in den USA - mit 15,52 Tonnen - in einem einzigen Jahr.
Wir müssen jedoch akzeptieren, dass es angesichts der Bevölkerungszahl vieler afrikanischer Länder eine Katastrophe für die Umwelt wäre, wenn Afrika das gleiche Wirtschaftswachstumsmodell wie die westlichen Länder verfolgen würde.
Ein starkes grünes Wachstum in Afrika hätte zum Ziel, die Folgen für die Ökosysteme zu minimieren und etwa dafür zu sorgen, dass es in unseren Städten sichere Fahrrad- und Fußgängerwege oder Elektrofahrzeuge im öffentlichen Nahverkehr gibt.
In einem Szenario mit starkem grünem Wachstum müsste ein großer Teil der Afrikaner*innen Strom aus erneuerbaren Quellen generieren. Afrika hat alles, was es dafür braucht, etwa Wind- und Solarenergie. Einige afrikanische Länder erzeugen auch schon viel Energie auf diese Weise. Aber es bleibt immer noch das Problem einer geringen Innovationsbasis und der Unfähigkeit, mehr Technologien für erneuerbare Energie zu produzieren.
Wer hat daran Schuld?
Das ist einer der vielen Bereiche, in dem die reichen Länder die afrikanischen Länder im Stich gelassen haben. Erstere wollen grüne Technologien als Fertigprodukte nach Afrika exportieren und Afrika zum Markt für diese machen, anstatt Innovation und Wissenstransfer vor Ort zu fördern. So erhalten sie sich einen wirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Afrika. Manche nennen das „Grüne Kolonialisierung“.
Für ein starkes grünes Wachstum braucht es aber starke Partnerschaften. Europa und der Westen allgemein müssen einsehen, dass das auch in ihrem Interesse ist. Wenn der Westen keine strategischen Partnerschaften mit Afrika eingeht, die afrikanischen Regierungen ermöglichen, ihre Position in der Wertschöpfungskette zu verbessern und einige dieser Produkte selbst herzustellen, wird dies negative Folgen haben, insbesondere für Europa:
- Die Arbeitslosigkeit in Afrika wird weiter steigen und die kleinen Boote, die das Mittelmeer überqueren, werden zu größeren Booten.
- China wird durch strategische Beziehungen in Afrika stärker Fuß fassen und Europa überholen.
Was schlagen Sie vor, damit grüne Wachstumsstrategien in Afrika tatsächlich Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit fördern?
Institutionen und Wissenschaft sind wichtig: Berichterstattung, Monitoring und Evaluation. Es braucht ein solides Buchhaltungssystem für Naturkapital, das garantiert, dass die Nutzung natürlicher Ressourcen richtig verbucht wird. Es braucht eine angemessene Preisgestaltung für Güter, die die Umweltfolgen von Prozessen und Produkten aufzeigt. Wichtig ist auch Transparenz in der staatlichen Berichterstattung über Wassernutzung, Umweltverschmutzung, CO2-Emissionen, und so weiter. Und wir brauchen starke Zivilgesellschaften um die Regierungen unter Kontrolle zu halten.
Ihr Papier betont, wie wichtig Klimagerechtigkeit ist, um Wachstumsmodelle zu bewerten. Wie können sich afrikanische Staaten international besser für eine gerechte Klimapolitik einsetzen?
Es braucht mehr Respekt. Das Gefühl bleibt, dass Afrika immer noch bevormundet wird. Es hat ewig gedauert, bis Afrika auch nur einen Sitz in der G20 bekommen hat. Gleichzeitig müssen Zusagen Taten folgen. Die westlichen Länder sprechen von Afrika als wertvollem Partner in der internationalen Entwicklung, aber sie geben immer noch Kredite statt Zuschüsse und weigern sich, die internationale Finanzarchitektur so umzustrukturieren, dass afrikanische Länder Gelder zum gleichen Zinssatz wie reiche Länder erhalten.
Zugleich muss ich aber auch sagen, dass viele afrikanische Länder aufwachen und an ihrer Einstellung arbeiten müssen. Ihre Verantwortlichen müssen Ernsthaftigkeit zeigen - und um dies zu tun, sollten sie nicht nur zu internationalen Verhandlungen kommen und dann jammern, dass sie die Opfer sind, sondern sich als ernsthafte Reformkräfte beweisen.
Afrika ist ein Kontinent mit 54 Nationen. Wie können politisch Verantwortliche sicherstellen, dass die Wachstumsstrategien die unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gegebenheiten berücksichtigen?
Die Strategien müssen auf mehreren Grundsätzen basieren, und jedes Land muss sie entsprechend seiner Situation, seiner natürlichen Ressourcen und seiner wirtschaftlichen Bedingungen gestalten.
Auch regionale Organisationen wie die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) und die ECOWAS können hier wichtig sein, indem sie für ihre jeweiligen Regionen geltende Leitlinien aufstellen.
Welche Rolle spielen indigenes afrikanisches Wissen und lokale Praktiken bei der Gestaltung nachhaltiger und gerechter Wachstumsmodelle?
Eine große – aber nur, wenn sie anerkannt, unterstützt, gepflegt und nutzbar gemacht werden. An dieser Stelle fehlen Investitionen und Einsatz.
Mein Vater hat – wie seine Vorfahren – sein Haus im nigerianischen Igboland aus Lehm gebaut. Das ist ein klimafreundliches Kühlsystem. Warum finden wir nicht neue Wege, wie Bauleute im modernen Nigeria auf diese Praxis zurückgreifen und auf Zement verzichten können, der bei der Verarbeitung große Mengen an CO2 freisetzt?
Es wird zu wenig darüber gesprochen, wie wir solche jahrhundertealte Praktiken nutzen können. Die afrikanischen Regierungen sind auch hier gefragt. Sie müssen erkennen, dass es bereits viele Technologien gibt, die starkes grünes Wachstum ermöglichen – sie müssen nur genutzt werden.
Referenz
Okereke, C., 2024: Degrowth, green growth, and climate justice for Africa. Review of International Studies.
Chukwumerije Okereke ist Professor für Global Governance und Public Policy an der School of Policy Studies der Universität Bristol.