Armutsbekämpfung

Wirtschaftswachstum ist kein Zaubertrank für Afrika

Millionen von Menschen in Afrika stürzten aufgrund diverser sich verschärfender sozioökonomischer Krisen – allen voran durch Corona-Pandemie und vom Krieg in Europa verursachten Inflationsdruck – noch tiefer in die Armut. Es hilft nun nicht, Wirtschaftswachstum für Afrika wahlweise als Allheilmittel oder Unheil darzustellen, denn die Realität ist wesentlich komplexer.
Wirtschaftswachstum, das nicht nachhaltig ist, vergrößert die Lücke zwischen Arm und Reich in Afrika. picture-alliance/AP Photo/Denis Farrell Wirtschaftswachstum, das nicht nachhaltig ist, vergrößert die Lücke zwischen Arm und Reich in Afrika.

Vor der Pandemie, in den ersten zwanzig Jahren des neuen Jahrtausends, erlebte Afrika einen Wirtschaftsaufschwung. Dabei sank laut Weltbank die Armutsquote – der prozentuale Anteil der Bevölkerung, der weniger als 6,85 Dollar täglich verdient – nur um gerade mal fünf Prozentpunkte, von 92 auf 87 Prozent der afrikanischen Bevölkerung. Wer also hat vom Wirtschaftswachstum dieser Jahre profitiert?

Die Früchte dieser Blütezeit ernteten die Reichsten des Kontinents. Zwischen 1980 und 2017 wuchs das Einkommen der Ärmsten in Afrika um 0,73 Prozent pro Jahr, während die reichsten Tausendstel jährlich rund drei Prozent mehr einnahmen, wie Untersuchungen des African Centre of Excellence of Inequality Research und der Agence Française de Développement zeigen.

Wirtschaftswachstum allein reicht nicht

Das derzeitige Wirtschaftswachstum ist unzureichend und wird es bleiben, das müssen wir begreifen. Selbst in einer idealen, nachhaltigen und gerechten Form ist Wirtschaftswachstum kein Zaubertrank, der Armut und Ungleichheit in Afrika beseitigen kann.

Wirklich nachhaltiges und faires Wachstum sollte Teil eines Konzepts sein, das Staat, Gesellschaft und internationale Akteure einbezieht, die ehrlich an einem wirtschaftlich starken afrikanischen Kontinent interessiert sind. Dazu gehört auch eine Diskussion darüber, wie Wohlstand verteilt wird. Bleibt die Mehrheit der Bevölkerung arm, während einige wenige immer reicher werden, ist zu diskutieren, wie Steuer- und Sozialversicherungssysteme die Menschen aus der Armut holen und die Ungleichheit verringern können.

Zugleich heizt die Dringlichkeit des Klimawandels die Diskussionen über Degrowth, Postwachstum und das Wesen von Wachstum allgemein an. Mit Anerkennung der Debatten darüber, wie Wirtschaft wachsen muss, damit der Planet überleben kann, sollte jedoch nicht in Kauf genommen werden, dass Afrika und seine Menschen dem übergeordneten Ziel der Nachhaltigkeit geopfert werden – zumal die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung 48 Prozent der globalen Kohlenstoffemissionen verursacht haben.

Auch im neuen Jahrtausend bestimmt das Erbe von Kolonialismus und wirtschaftlicher Entwicklung nach der Unabhängigkeit die Wechselwirkung zwischen Armut, Wirtschaftswachstum und Ungleichheit in Afrika. Das zeigt sich besonders darin, dass Chancen- und Einkommensungleichheiten fortbestehen.

Es ist offensichtlich, dass Zunahme von Armut und Elend in Afrika seit 2020 nicht nur auf Pandemie, Klimawandel, Inflation und Ernährungsunsicherheit zurückzuführen ist. Millionen von Menschen auf dem Kontinent ging es schon weit vor dem Jahr 2020 schlecht – ihr Leben war und ist bestimmt von mangelnder sozialer Mobilität, wirtschaftlicher Unsicherheit und schwachen Sozialsicherungssystemen.

Wir tendieren dazu, Armut und Ungleichheit mit einkommensbezogenen Messgrößen zu assoziieren; tatsächlich geht es aber um Rechte (wie Eigentum), Chancen (wie Zugang zu Bildung) und Dienstleistungen (wie Gesundheit, öffentlicher Verkehr), also um staatliche Pflichten.

Aktivisten, Forscher, Regierungsbeamte und politische Entscheidungsträger haben nun die immer drängendere Aufgabe, die komplexen Beziehungen zwischen Wachstum, Armut und Ungleichheit so zu entschlüsseln, dass das Wirtschaftswachstum den Menschen auf dem Kontinent wirklich zugutekommt. Klar ist: In seiner jetzigen Form kann es nicht integrativ und nachhaltig für Afrika sein.


Quelle
Chancel, L., 2022: Global carbon inequality over 1990-2019. Nature Sustainability Volume 5 (2022).
https://www.nature.com/articles/s41893-022-00955-z

Fabio Andrés Díaz Pabón ist Forscher am African Centre of Excellence for Inequality Research der Universität Kapstadt und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rhodes-Universität in Südafrika.
fabioandres.diazpabon@uct.ac.za

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