Entwicklung und
Zusammenarbeit

Elasticsearch Mini

Elasticsearch Mini

Industrie

„China ist der wichtigste Player“

In einem Grundsatzpapier fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Deutschland brauche eine Entwicklungspolitik, die unter anderem die geopolitische Bedeutung Chinas stärker berücksichtige. BDI-Referentin Vanessa Wannicke erläutert das im E+Z/D+C-Interview.
Die Magufuli-Brücke verbindet zwei Regionen Tansanias über den Viktoriasee und wird von der China Civil Engineering Construction Corporation (CCECC) gebaut. picture-alliance/Xinhua News Agency/Hua Hongli Die Magufuli-Brücke verbindet zwei Regionen Tansanias über den Viktoriasee und wird von der China Civil Engineering Construction Corporation (CCECC) gebaut.

Was verstehen Sie unter strategischer Entwicklungspolitik?

Wir verstehen darunter eine Politik, die den Bedürfnissen unserer Partnerländer entspricht und gleichzeitig unseren eigenen geostrategischen Interessen dient. Es ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass unsere Interessen möglichst transparent sind. Dabei kann es uns beispielsweise um den Zugang zu kritischen Rohstoffen gehen oder um strategische Diversifizierung, mit der wir Risiken breiter streuen.

Die Glaubwürdigkeit westlicher Länder steht immer wieder auf dem Spiel. Partnerländer haben sich über das Insistieren auf Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe geärgert. Sie empfinden es als widersprüchlich, dass wir zwar auf Menschenrechte bestehen, aber Geflüchtete in dieser Hinsicht problematischen Ländern wie Tunesien, Ägypten oder der Türkei anvertrauen. Zugleich werben wir hemmungslos Fachkräfte aus ärmeren Ländern ab – zum Beispiel für das Gesundheitswesen, die dort auch gebraucht werden.

Ja, mit diesen Widersprüchlichkeiten müssen wir in unserer komplexen Welt offen umgehen. Und damit stehen wir nicht allein, sondern das geht unseren Partnern oft genauso. Für uns ist wichtig, zu diskutieren, wie wir durch private Investitionen vor Ort langfristig gute Arbeitsplätze schaffen können. Und wir hinterfragen, ob wir mit unseren teils recht kleinteiligen Projekten ausreichend effektiv agieren. Wir finden: Enden die Projekte, enden zu häufig auch die Erfolge. Es braucht langfristigere Programme und Investitionen. Andere Länder – vor allem China – machen das anders und bauen im großen Stil Infrastrukturen aus. Damit legen sie eine wichtige Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung vor Ort.

Sollte Deutschland das auch tun?

Ja, und es geht nicht nur um Verkehrs-, sondern auch um Kommunikationsinfrastrukturen. Beispielsweise könnten Satellitenkonstellationen schnelles Internet in entlegene Regionen bringen und so den Zugang zu Bildung und Informationen verbessern. Leider werden solche Technologien in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit noch zu wenig eingesetzt. Deutschland sollte hier mutiger werden und Unternehmen gezielt einbeziehen. Auch in der Wasser- und Stromversorgung oder bei Krankenhausbau und -ausrüstung könnten deutsche Unternehmen viel leisten. Oft kommen sie aber nicht zum Zug, weil die Finanzierungs- und Ausschreibungsbedingungen ungünstig sind.

Woran denken Sie dabei?

Bei Vergabeverfahren in Entwicklungs- und Schwellenländern steht oft der Preis im Fokus und zu selten qualitative Kriterien. Dann können unsere Unternehmen mit subventionierten chinesischen Wettbewerbern nicht mithalten. Würden die einzuhaltenden arbeitsrechtlichen und ökologischen Standards eine stärkere Rolle spielen, wäre das anders. Ist der Ressourceneinsatz umweltschonend? Wie sind die Lebenszykluskosten? Werden örtliche Arbeitskräfte beschäftigt, oder wird vor allem eigenes, etwa chinesisches Personal eingesetzt?

Damit kaschiert die Volksrepublik Arbeitslosigkeit zu Hause, schafft aber keine afrikanischen Einkommen.

Genau. Im Gegensatz dazu fördern deutsche Firmen traditionell und mit viel Engagement die berufliche Qualifikation. Im Maschinen- und Anlagenbau werden beispielsweise lokale Arbeitskräfte als Servicetechniker qualifiziert, um die Instandhaltung und Bedienung auch langfristig zu gewährleisten. Wir finden, dass solche Qualitätskriterien verbindlich zugrunde gelegt werden sollten, wenn öffentliche Stellen in Entwicklungs- und Schwellenländern mit internationaler Förderung Projekte ausschreiben. Die Bundesregierung sollte sich im Rahmen von Regierungsverhandlungen mit Partnerländern dafür einsetzen und bei Entwicklungsbanken auf die Einhaltung drängen.

Seit Langem heißt es, deutsche Unternehmen seien zu risikoscheu, um sich auf Afrika einzulassen. Soll die Bundesregierung Risiken etwa durch Hermesbürgschaften abfedern?

Exportkreditgarantien sind seit vielen Jahren ein sehr anerkanntes und in der Industrie viel genutztes Instrument. Als BDI fordern wir eine engere Verzahnung der Hermesbürgschaften mit der Entwicklungspolitik. Dafür müssten auch die beiden betroffenen Ressorts, das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), enger zusammenarbeiten. Es wäre gut, wenn Absicherungsmaßnahmen für Unternehmen systematisch in EZ-Projektbudgets einkalkuliert würden.

Grundsätzlich soll Entwicklungspolitik nicht mit Lieferbindungen die heimische Wirtschaft der Geberländer fördern.

Wir meinen, dass offener Bieterwettbewerb nicht mehr zeitgemäß ist. Auch Länder wie Japan, die USA und Frankreich nutzen die Spielräume für Lieferbindung. Schließlich entspricht es nicht deutschen und europäischen Interessen, China den Ausbau afrikanischer Infrastrukturen zu überlassen – und schon gar nicht, wenn das nach mit westlichem Geld finanzierten Ausschreibungen geschieht und nicht den höchsten Nachhaltigkeitskriterien entspricht.

Uns sollte klar sein: Nur wenn deutsche Unternehmen bei Vergaben wieder eine reale Chance haben, können sie sich für umweltschonende Verfahren oder die Einhaltung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten vor Ort einsetzen.

China ist nun ein wichtiger Entwicklungsfinanzierer und spielt in aktuellen Überschuldungskrisen eine zentrale Rolle. Es lehnt Schuldenerlasse aber vehement ab. Wie sollen westliche Regierungen damit umgehen?

Die Debatte um Überschuldungskrisen ist traditionell vielschichtig. Hier gibt es sehr unterschiedliche Interessen der Akteure und damit auch diskutierter Lösungen. Auch werden Schuldenerlasse aus geopolitischem Kalkül eingesetzt. Uns war es wichtig, einen bislang unterbelichteten Aspekt aufzuzeigen, nämlich wie sich hohe Staatsschulden auf die Geschäftsmöglichkeiten deutscher Exporteure auswirken: Werden Produkte deutscher Unternehmen von staatlichen Kunden in stark verschuldeten Ländern nachgefragt, scheitern diese Geschäfte zu häufig an den Auflagen des „Sustainable Lending“ der OECD. Die Vorgaben begrenzen die Kreditaufnahme staatlicher Einrichtungen. Hier müssten Unternehmen Zuschusselemente aus dem Topf des BMZ erhalten. So könnten Projekte unbürokratisch vorangetrieben und verschuldeten Ländern Möglichkeiten eröffnet werden, um in dringend benötigte Infrastrukturen, Technologie, Bildung, saubere Energie und mehr zu investieren.

Ist China das große Problem, oder spüren Sie auch Wettbewerb aus anderen Schwellenländern?

Das Interesse an Afrika ist generell gewachsen. China ist sicher der wichtigste Player. Aber auch Russland, Indien, die Golfstaaten und die Türkei bauen ihren Einfluss systematisch aus. Die Länder des sogenannten globalen Südens haben damit die Wahl, mit wem sie zusammenarbeiten.

Wie soll die Ownership der Partnerländer gesichert werden? Ohne örtliche Eigenverantwortung sind Vorhaben oft nicht von Dauer.

Diese wichtige Frage verdient in Regierungsverhandlungen hohe Aufmerksamkeit. Aus Unternehmensperspektive ist sie aber relativ leicht zu beantworten: Unsere Firmen reagieren auf Angebot und Nachfrage. Wer etwa bei ihnen bestellt, wird Eigentümer und übernimmt Verantwortung. Am liebsten sind uns daher Geschäftsbeziehungen zwischen privaten Akteuren ohne staatliche Einmischung. Gleichwohl gelingt es in Afrika an vielen Stellen nur mit gezielter staatlicher Risikoabsicherung.

Bei großen Infrastrukturprojekten geht es aber fast immer um öffentliche Aufträge, und das gilt besonders dort, wo es generell an Infrastrukturen mangelt.

Richtig. Hiesige Unternehmen könnten dabei viele wertvolle Beiträge leisten, aber von den Gesamtzusagen der deutschen bilateralen Entwicklungsgelder (Official Development Assistance – ODA) gehen nur rund sieben Prozent in klassische Infrastrukturen. Als Vergleich: Japan wendet ungefähr zwei Drittel seiner bilateralen Finanzzusagen für Energie-, Wasser- und Verkehrsinfrastrukturen auf.

Dem BDI-Grundsatzpapier zufolge soll gar kein ODA-Geld mehr nach China fließen. Ist es nicht doch sinnvoll, zur Sicherung von globalen öffentlichen Gütern wie etwa Klimaschutz die Volksrepublik gelegentlich gezielt zu unterstützen?

Lassen Sie es mich klar benennen: Wir befinden uns in einem Systemwettbewerb mit China, einem Land, das den Status des Entwicklungslandes längst verloren hat und uns vielmehr selbst im Innovationsbereich herausfordert. Daher sehen wir es sehr kritisch, wenn wir – gerade in Zeiten sinkender Haushaltsbudgets – ODA-Mittel an das Land vergeben. Wir fordern daher auch, chinesische Anbieter von öffentlichen Vergabeverfahren auszuschließen, die mit westlichen Entwicklungshilfegeldern finanziert sind. Das wäre nur konsequent, denn schließlich bindet auch China selbst seine Ausgaben größtenteils an die eigene Wirtschaft.

Link
BDI, 2024: Zeit für eine entwicklungspolitische Zeitenwende.
https://bdi.eu/publikation/news/zeit-fuer-eine-entwicklungspolitische-zeitenwende

Vanessa Wannicke ist Referentin für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin. 
v.wannicke@bdi.eu