China
Wie China für globale Verschiebungen sorgt
Bis in die 1980er Jahre prägten Landwirtschaft und auf niedrigem Niveau planwirtschaftlich gesteuerte Industrie Chinas Ökonomie. Die Wende kam mit der „Reform- und Öffnungspolitik“ von Deng Xiaoping. Schrittweise wurden Wettbewerb und Privatunternehmen zugelassen.
Die kommunistische Partei gab nicht mehr diktatorisch aus der Hauptstadt vor, was zu tun sei. Obendrein evaluierte sie Politikergebnisse aus den Regionen vergleichsweise fair und kopierte dann andernorts, was gut funktionierte. Marktanreize traten zunehmend an die Stelle der Planungsbürokratie. Aufgrund der Aussicht auf Zugang zum riesigen Binnenmarkt machten ausländische Investoren große Zugeständnisse bei der Weitergabe von Technologie und Know-how.
Zunächst fertigte China als „Werkbank der Welt“ einfache Industrieprodukte für internationale Auftraggeber. Heute ist es selbst ein wichtiger Forschungs- und Entwicklungsstandort für Künstliche Intelligenz, Bio- und Informationstechnologie oder Elektromobilität. Dem aktuellen Global Innovation Index zufolge liegt China nun auf Platz 11 des weltweiten Rankings und damit unter anderem vor Frankreich.
Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist China inzwischen Deutschlands wichtigster Handelspartner. Eine aktuelle Studie des unternehmernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) belegt: China dominiert auch den Handel mit den wichtigsten Ländern des sogenannten Globalen Südens. Es hat die EU und USA als wichtigste Handelspartner abgelöst.
Geostrategischer Einfluss
Geostrategischer Einfluss
Mit der „Belt and Road Initiative“ (BRI), der weltweit größten auf Infrastruktur fokussierten Entwicklungsinitiative (siehe Box), beansprucht China, die Entwicklung anderer Länder voranzutreiben.
Um seinen geostrategischen Einfluss auszuweiten, nutzt es auch die BRICS. Dieses aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bestehende Bündnis ist durch den Beitritt weiterer Länder mittlerweile zu BRICS+ geworden. Bis auf Indien und Brasilien sind alle Mitglieder auch Teil der BRI. Laut Antara Ghosal Singh vom indischen Thinktank Observer Research Foundation spielen die Mitglieder der BRICS+ in supranationalen Regionalorganisationen dominierende Rollen. China hoffe entsprechend über die BRICS+ Einfluss zu nehmen auf die Afrikanische Union, die Arabische Liga, die Südasiatische Vereinigung für regionale Zusammenarbeit (SAARC) oder den Mercosur in Südamerika.
Die BRICS+ teilen einen Minimalkonsens, der Pekinger Vorstellungen sehr nahekommt: den Wunsch nach einer internationalen Weltordnung, die weniger von westlichen Industrienationen dominiert ist. Daraus folgt nicht unbedingt Feindschaft gegenüber dem Westen. Die meisten Mitglieder dürften es so sehen wie Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar, der im September sagte: „Indien ist nichtwestlich, es ist nicht antiwestlich.“ Entscheidungen der BRICS+ erfordern Einstimmigkeit, sodass China, Russland und Iran ihre jeweilige antiwestliche Position nicht ohne Weiteres durchsetzen können. Tatsächlich dürften sich die meisten Mitglieder der BRICS+ strengem Lagerdenken entziehen wollen.
Daran ändert nichts, dass sich selbst Verbündete westlicher Nationen innerhalb der BRICS+-Staaten kaum an westliche Sanktionen gegen Russland oder Iran halten. Diese werden nämlich zum Teil als Drohung gesehen: Strafmaßnahmen wie das Einfrieren von Devisenreserven oder der Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem Swift lösen auch bei Ländern, die dem Westen nahestehen, den Wunsch nach Alternativen zum US-dominierten Finanzsystem aus. Eine echte Alternative aufzubauen ist jedoch schwierig und braucht Zeit. Wichtig ist aber, dass etwa die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Gas- und Öllieferungen nach Indien und China bereits in lokalen Währungen bezahlen.
Im Finanzbereich verfügen die BRICS sogar über eine eigene Institution: die New Development Bank (NDB). Mit der Aufnahme von zahlungskräftigen Golfstaaten könnte die Bank ihr Kapital aufstocken und unter den internationalen Entwicklungsbanken dann eine größere Rolle spielen als bisher – ohne die Bedingungen, an die Weltbank und Internationaler Währungsfonds typischerweise ihre Geldvergabe knüpfen.
In Ländern mit niedrigen Einkommen wurde nicht vergessen, dass es etablierten Geberstaaten – ebenso wie China heute – immer auch um Markterschließung ging und dass Sparprogramme im Zuge von Strukturanpassungen oft schmerzhaft ausfielen. Chinas Regierung nutzt das daraus folgende Misstrauen gegenüber etablierten Gebern.
Der Beweis, dass die Zusammenarbeit mit Peking auf Dauer besser läuft, steht indessen noch aus. Als Kreditgeber wehrt sich die Volksrepublik in der Schuldenkrise grundsätzlich gegen die Streichung von Darlehen. Nicht alle von ihr geförderten Vorhaben erweisen sich als nachhaltig. Dass sie vor allem chinesische Arbeitskräfte einsetzt, also mit Projekten wenig Jobs in Partnerländern schafft, sorgt auch für Missstimmung. Zugleich ist klar, dass China selbst vor großen volkswirtschaftlichen Problemen steht.
Wichtig sind unter anderem Fehlspekulationen im Immobiliensektor, die Überalterung der Gesellschaft und hochverschuldete Staatsbetriebe. Die Erfolgsgeschichte der letzten vier Jahrzehnte lässt sich nicht einfach so fortsetzen. Wie es weitergeht, ist unklar – und das gilt auch für Chinas internationales Engagement.
Matthias von Hein ist Sinologe und Journalist.
von.hein.media@gmail.com