BRICS-Erweiterung

Warum mehr BRICS-Mitglieder nicht unbedingt besser sind

Durch die Erweiterung zu BRICS+ will sich die Gruppierung als globaler Akteur noch stärker positionieren. Wirtschaftliche, geopolitische und interne Spannungen bleiben dabei trotz oder gerade wegen neuer Mitglieder bestehen.
Einer fehlte: Russlands Außenminister Sergei Lavrov kam an Präsident Wladimir Putins Stelle zum BRICS-Gipfel in Südafrika. picture-alliance/dpa/TASS/Sergei Bobylev Einer fehlte: Russlands Außenminister Sergei Lavrov kam an Präsident Wladimir Putins Stelle zum BRICS-Gipfel in Südafrika.

Das BRICS-Gipfeltreffen im August 2023 in Südafrika wurde bereits im Vorfeld gespannt verfolgt. Der russische Präsident Wladimir Putin war trotz eines gegen ihn vorliegenden internationalen Haftbefehls zu dem Treffen eingeladen worden, sagte aber schließlich „im gegenseitigen Einvernehmen“ ab.

Das verstärkte Interesse ging allerdings über die Teilnahme Putins hinaus. Es galt ebenso den erkennbaren Bemühungen der BRICS, sich als globaler Akteur neu aufzustellen. Im Zeichen der weltweiten Neuformierung von Allianzen war die in Johannesburg beschlossene Erweiterung auf BRICS+ ein Signal. Es wird sich nun zeigen, inwieweit sich die Allianz sogenannter nicht paktgebundener Staaten als Agentur der Interessen des „Globalen Südens“ konsolidieren kann – und ob diese Allianz eine weitere Herausforderung der sich im Niedergang befindlichen Hegemonie westlicher demokratischer Staaten sein wird.

Der Anteil demokratischer Staaten in der Vereinigung schrumpfte durch die mit Jahresbeginn 2024 neu aufgenommenen BRICS+-Mitgliedsstaaten. Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind nicht für verstärkten Schutz und Achtung von Menschenrechten bekannt. Das Gleiche gilt für Saudi-Arabien, das die Mitgliedschaft formal noch nicht vollzogen hat. Wirtschaftliche und insbesondere finanzielle und ressourcenpolitische globale Gestaltungsoptionen wuchsen aber, nicht zuletzt durch die Zunahme der Einflussmöglichkeiten im Bereich fossiler Energien.

Die erweiterte Gruppierung repräsentiert mit rund 3,5 Milliarden Menschen etwa 45 Prozent der Weltbevölkerung. Das Wirtschaftsvolumen ihrer Mitglieder summiert sich mit 28,5 Billionen Dollar auf knapp 30 Prozent des geschätzten globalen jährlichen Bruttoinlandsprodukts. Durch Iran, Saudi-Arabien und die VAE produzieren die BRICS+-Staaten nun mehr als 40 Prozent der weltweit geförderten Menge an Rohöl.

Allerdings fallen die Anteile der einzelnen Mitgliedsländer an diesen Zahlen sehr unterschiedlich aus. China erbringt nach Angaben der Weltbank mit knapp 18 Billionen Dollar allein fast zwei Drittel der Gesamtwirtschaftsleistung. Mit einem daran gemessen eher bescheidenen Umfang rangieren Indien (3,4 Billionen Dollar), Russland (2,2 Billionen Dollar) Saudi-Arabien und Brasilien (je 1,9 Billionen Dollar) im Mittelfeld, gefolgt von den „Zwergen“ VAE, Ägypten, Südafrika, Iran und Äthiopien mit 0,5 bis 0,3 Billionen Dollar. Ähnlich groß, wenn auch in anderer Reihenfolge, ist der Unterschied im jährlichen Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung, bei dem die beiden arabischen Staaten deutlich vor Russland und China liegen, gefolgt von Brasilien und Südafrika.

Die Banque de France wies in einer Analyse darauf hin, dass nur elf Handelsabkommen unter den BRICS+-Staaten geschlossen wurden. Fünfundvierzig regionale Handelsabkommen wären möglich. Zudem sind die wirtschaftlichen Beziehungen zu den G7-Staaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, USA, Vereinigtes Königreich) deutlich gewichtiger als die innerhalb von BRICS+. So ist Russland zwar der größte Handelspartner Chinas innerhalb des Blocks, im globalen Vergleich aber nur zehntgrößter Partner.

Die BRICS+-Staaten stemmen rund ein Viertel der weltweiten Exporte. Allerdings gehen nur 15 Prozent des Exportgeschäfts an andere Mitgliedsländer. BRICS+-interner Handel im Jahr 2021 belief sich auf 3,7 Prozent des Welthandels. Der bei Weitem größte Teil davon entfiel mit 3,2 Prozent auf den Handel unter den fünf ursprünglichen BRICS-Ländern. Eine erhoffte Neuordnung der weltweiten Handels- und Austauschbeziehungen mag angesichts dieser Zahlen zunächst Wunschdenken bleiben.

Renminbi statt Dollar

Im Hinblick auf Währungspolitik hatten die BRICS-Staaten schon vor dem Gipfel 2023 ambitiös erklärt, den Dollar durch eine BRICS-Handelsleitwährung ersetzen zu wollen. Die höchst unterschiedlichen Leistungen der Volkswirtschaften stellen allerdings eine erhebliche Herausforderung für einen solchen Schritt dar, auch wenn die chinesische Staatsbank mittlerweile in vielen BRICS+-internen Austauschbeziehungen den Dollar durch den Renminbi abgelöst hat. Das deutet an, dass zumindest eine Kryptowährung für Handelsgeschäfte praktikabel sein könnte. Insbesondere Iran, Russland und China haben bereits Vertragsabschlüsse zum Handel in den lokalen Währungen. Doch diese können die Dominanz des Dollars hinsichtlich der realen weltweiten Handelsbeziehungen allenfalls relativieren.

Angesichts der währungs- und finanzpolitischen Einschränkungen ist eine Anbindung an die Renminbi-Denominierung für internationale Investoren auch wenig verlockend, weil sie riskant ist. Hinzu kommt, dass es mit dem Riyal (Saudi-Arabien) und dem Dirham (VAE) neue Konkurrenz um eine BRICS+-interne Leitwährung gibt. Auch Indien strengt sich an, die Rolle der Rupie im internationalen Geschäft zu stärken, während Russlands Rubel durch die Sanktionen aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine derzeit weitgehend aus dem Rennen ist. Doch Konvertibilität und Volatilität bleiben in allen Fällen eine Herausforderung.

Die internen geostrategischen Konflikte sind mit der Erweiterung nicht reduziert worden. War die Ablösung von Brasiliens Trump-Verbündetem Jair Bolsonaro durch den altgedienten Linken Luiz Inácio Lula da Silva eine Erleichterung, bleibt das indisch-chinesische Verhältnis angespannt. Mit der Erweiterung werden auch weitere potenzielle regionale Rivalitäten als Störfaktoren in Kauf genommen. Äthiopien und Ägypten sind in einen langen Konflikt um die Nutzung des Nilwassers verwickelt, dessen Ende nicht in Sicht ist. Iran und die VAE sind alles andere als enge Freunde. Diese internen Dissonanzen könnten Entscheidungen im Weg stehen.

Dass sechs der Länder zugleich der G20 angehören, dem wichtigsten Forum von Industrie- und Schwellenländern, könnte wiederum die Rolle der BRICS+ als Sprachrohr des „Globalen Südens“ stärken und dank eines größeren Einflusses die Lobbyarbeit befördern. Dass Brasilien, das dieses Jahr den Vorsitz in der G20 hat, die VAE als Gast hinzulädt, deutet in diese Richtung.

Wie schon im Vorjahr in Indien kam beim G20-Treffen der Finanzminister in São Paulo am 1. März allerdings keine gemeinsame Abschlusserklärung zustande. Dies lag hauptsächlich an Differenzen hinsichtlich der Bewertung der Kriege in der Ukraine und Gaza. Die Perspektiven auf multilaterale Konsensbildung schwinden. Inwieweit BRICS+ zur Zerrüttung oder Stärkung globaler Gemeinsamkeiten beitragen wird, ist schwer vorauszusagen. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Verhältnisse signifikant verschieben werden. Wahrscheinlich ist, dass einflussreiche Rollen weiterhin nur einigen Mitgliedsstaaten – vor allem den permanenten Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat China und Russland – vorbehalten bleiben.

Vierzig neue Kandidaten

Laut „TV BRICS“, dem internationalen Netzwerk verschiedener Medienhäuser aus den BRICS+-Staaten, gibt es über 40 weitere Anwärter auf Mitgliedschaft. Diese lange Schlange würde zwar Vielfalt, aber keinesfalls Einheit fördern. Der Wunsch vieler Regierungen, zum BRICS+-Club zu gehören, mag dem Bedürfnis geschuldet sein, neue Allianzen zu schmieden. Sie sind auch getrieben von Enttäuschung seit dem Kollaps des Sowjetregimes und dem Niedergang der Bewegung blockfreier Staaten. Angesichts globaler Polarisierungen agieren sie aber alles andere als geschlossen. Es ist nicht schwer vorherzusehen, dass diese Differenzen auch in einer noch größeren BRICS+ zu Tage treten würden.

Der nächste BRICS+-Gipfel soll im Oktober 2024 im russischen Kazan stattfinden. Präsident Putin hat bereits betont, dass BRICS+ eine größere Rolle im internationalen Finanzsystem spielen muss und die jeweiligen Staatsbanken enger zusammenarbeiten und BRICS+-Währungen stärker nutzen sollten. Für das Gipfeltreffen gab er als Rahmenthema die „Stärkung multilateraler Beziehungen für gerechte Entwicklung und Sicherheit“ aus.

Auch wenn sich aus euroamerikanischer Sicht damit der Bock zum Gärtner macht, darf die Anziehungskraft solcher Slogans für wirtschaftsschwächere Länder nicht unterschätzt werden. Ressentiments gegenüber der Dominanz westlicher Industrieländer sind in einem System asymmetrischer Machtverhältnisse und zunehmender Doppelstandards nicht geringer geworden – auch wenn sich diese Asymmetrien in Zusammenhängen wie BRICS+ ebenfalls erkennbar reproduzieren.

Es bleibt abzuwarten, in welcher Verfassung sich die prekäre Weltlage und das Gastgeberland im Oktober befinden und welche Fortschritte BRICS+ sowohl intern wie auch als Akteur im globalen System bis dahin verzeichnen konnte. Die große Wende, die mit dem Gipfel 2023 prognostiziert wurde, ist bislang ausgeblieben. Bis zu einem tragfähigen Bündnis nicht paktgebundener Staaten ist es noch ein weiter Weg.

Henning Melber ist emeritierter Direktor der Dag Hammarskjöld Foundation in Uppsala, Schweden, und außerordentlicher Professor an der University of Pretoria und der University of the Free State in Bloemfontein.
henning.melber@nai.uu.se

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