Afrikanische Unabhängige Kirchen

Nahe bei Gott und den Menschen

Unabhängige Kirchen spielen in Afrika eine große Rolle. Rund jeder vierte Christ auf dem Kontinent gehört einer von ihnen an. Sie sind die Kirchen der einfachen Leute, denen sie Heimat und Orientierung bieten. Da sie mit ihren Entwicklungsprogrammen viele Menschen erreichen, können sie wertvolle Partner für internationale Entwicklungshilfe sein.
Gottesdienst am Hauptsitz der Holy Spirit Church of East Africa in Bukoyani im Westen Kenias. Spitzeck Gottesdienst am Hauptsitz der Holy Spirit Church of East Africa in Bukoyani im Westen Kenias.

In nahezu allen Staaten Subsahara-Afrikas gibt es Afrikanische Unabhängige Kirchen (AUK). Unter diesen Begriff fallen Kirchen, die unter afrikanischer Leitung stehen und sich im Laufe des 20. Jahrhunderts von den ehemals von Weißen dominierten Kolo­nialkirchen abgewandt haben. Dies geschah teils in Abkehr von europäischen Leitbildern, teils im Widerstand gegen weiße Herrschaft. Die AUK haben eine eigenständige Entwicklung genommen und pflegen eine autochthone Spiritualität. Es gibt sie in dieser Form ausschließlich in Afrika.

Das kirchliche Unabhängigkeitsstreben setzte Ende des 19. Jahrhunderts ein. In einer ersten Welle entstanden afrikanische Kirchen im Geiste des Äthiopismus. Sie entdeckten, dass in der Bibel von Afrikanern berichtet wird, die im Urtext mit dem griechischen Ausdruck Äthiopier bezeichnet worden waren. Eine zweite Welle folgte ab den 1920er Jahren mit der Gründung von Heilungs- und Gebetskirchen durch afrikanische Propheten. Sie waren ein „stiller Protest“ gegen die Kolonialmächte und die Missionskirchen und wurden von diesen zunächst ignoriert, dann verurteilt, teil­weise auch verfolgt. Damit hatten sie Anteil an dem afrikanischen Unabhängigkeitsstreben und der Indigenisierungsbewegung.

Mit der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten von den Kolonialmächten erfuhren die AUK einen weiteren Schub, der mit Neugründungen und Abspaltungen einherging. Heute gibt es eine Vielzahl von Ausprägungen und Denominationen (siehe Kas­ten). Die Anhängerschaft wird auf 100 bis 120 Millionen geschätzt, wobei afrikaweit von etwa 450 Millionen Christen ausgegangen wird (Zahlen von 2010).

Die Theologie der AUK speist sich aus unterschiedlichen Quellen und Traditionen. Der panafrikanische Dachverband Organisation of African Instituted Churches (OAIC) unterscheidet drei große Richtungen:

  • Nationalistische Kirchen: Bei ihnen spielte der Kampf um die Kontrolle und Leitung der Kirche eine große Rolle. Die Auseinandersetzung mit Europäern in Afrika verstanden sie als Teil ihrer göttlichen Berufung. Nationalistisch ist eine Außenbezeichnung, während sie sich selbst als äthiopisch (Südafrika), afrikanisch (Westafrika) oder unabhängig (Ostafrika) bezeichnen.
  • Geistkirchen: Sie betonen die Kraft und die Gaben des Heiligen Geistes und sind damit der afrikanischen Kultur nahe. Dies geht häufig einher mit alternativen Formen des Gemeinde- und Zusammenlebens in Abgrenzung zum europäisch geprägten Gesellschaftsmodell. Hierunter fallen die westafrikanische Aladurabewegung (Gebetskirchen) ebenso wie die Kirche des himmlischen Christentums und die Seraphim- und Cherubim-Gesellschaften, die Roho- oder Akurinukirchen in Ostafrika sowie die apostolische und Zionskirchen im südlichen Afrika.
  • Afrikanische Pfingstkirchen: Sie richten sich stark auf die Zukunft aus, ohne ihre afrikanischen Wurzeln zu leugnen. Sie wurden im Zuge der dritten Welle nach der staatlichen Unabhängigkeit gegründet und sind durch die weltweite Pfingstbewegung beeinflusst.

Den AUK ist gemein, dass die religiöse Kommunikation auch nonverbal erfolgt, etwa durch Musik, Tanz, Rituale, Visionen, Träume, Kleidung und Fahnen. Eine formelle theologische Ausbildung galt lange als Ausdruck kolonialer Bevormundung. Vor allem aber sollten dem Heiligen Geist keine Schranken auferlegt werden. Deshalb ist die Theologie wenig verschriftlicht.


Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung

Seit den 1970er Jahren unternehmen AUK gezielte Anstrengungen, um ihr Potenzial für eine selbstbewusste Entwicklung Afrikas zu mobilisieren. Die OAIC wurde 1978 in Kairo gegründet. Das Oberhaupt der Koptisch-Orthodoxen Kirche Ägyptens, Papst Shenuda III., initiierte diese Gründung, um einen Beitrag der autochthonen Kirchen Afrikas zur afrikanischen Einheit und Selbstbestimmung zu leisten. Dies hatte große symbolische Bedeutung, denn die koptische Kirche ist die älteste Kirche Afrikas. Sie suchte den Schulterschluss mit den unabhängigen Kirchen aus den Subsahara-Staaten.

Die OAIC betont heute lokale Selbstbestimmung und den direkten Zugang zum Göttlichen. Ihr Leitbild ist Gemeinschaft ohne Armut, Ausbeutung und Krankheit. Die „Solidarität mit den Armen, Machtlosen und Verwundbaren“ setzt sie in entwicklungspolitischen Programmen um. Eine Bewährungsprobe war das Anti-Aids-Programm im zurückliegenden Jahrzehnt, sowohl in gesellschaftlicher als auch in theologischer Hinsicht. Die eigene Mitgliedschaft ist von der Pandemie besonders betroffen, da sie überwiegend in armen Verhältnissen lebt und wenig Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung hat.

Das Ziel der OAIC sind gerechte Gemeinschaften. Um es – auch mit wenigen Mitteln – zu erreichen, setzt OAIC-Generalsekretär Nicta Lubaale auf den Erfindungsreichtum der Randgruppen. Die OAIC engagiert sich im interreligiösen Dialog, und Lubaale hat wiederholt die Interessen der afrikanischen Kirchen in der Debatte um die Sustainable Development Goals (SDGs) auf UN-Ebene vertreten. Im Juli 2014 organisierte er den African Faith Leaders’ Summit in Kampala zur Diskussion der SDGs mit.

Vor allem kirchenpolitisch hat die OAIC Erstaunliches erreicht. Heute arbeitet sie mit den aus der europäischen Mission hervorgegangenen Kirchen eng zusammen und wird von der All Africa Conference of Churches (AACC) als verlässlicher Partner geschätzt. Der Ökumenische Rat der Kirchen erkennt die AUK als eigenständige Konfessionsfamilie an.


Kirchen als entwicklungspolitische Partner

Vor kurzem hat ein Forschungsprojekt an der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin am Beispiel Südafrika untersucht, ob die dortigen Kirchen als Partner für die Entwicklungshilfe infrage kommen. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend: Die AUK erreichen mit ihren Dienstleistungen viele Menschen – sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder – vor allem im Bildungsbereich. Sie betreiben Schulen, Universitäten und Ausbildungszentren. Zudem schließen sie sich zu bestimmten Anlässen mit anderen religiösen Akteuren zusammen.

Als Beispiel verweist Marie-Luise Frost vom Forschungsbereich Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung der HU, die am Projekt beteiligt ist, auf die Beteiligung von AUK an den Aktionen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen in Südafrika am 25. November 2017. Die Religionswissenschaftlerin plädiert dafür, die Sozialarbeit der AUK vorurteilsfrei zu bewerten und Handlungsmöglichkeiten realistisch einzuschätzen. „Respekt für die religiöse Identität der AUK ist ein Schlüssel ­für erfolgreiche Zusammenarbeit“, betont sie.

Das unvoreingenommene Interesse der Berliner Forscher stieß bei den AUK auf positive Resonanz. Der Ausbildungsbereich könnte demnach ein Feld für die Zusammenarbeit sein. Besonders wichtig ist den afrikanischen Kirchenvertretern, dass der Dialog auf Augenhöhe geschieht und die AUK an der internationalen entwicklungspolitischen Debatte beteiligt sind.


Hans Spitzeck ist evangelischer Theologe und promovierter Politikwissenschaftler. Er arbeitet seit 1992 im Entwicklungsdienst und war von 2008 bis 2015 theologischer Berater und Referent der Afrika-Abteilung von Brot für die Welt. Seine aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind Kirche und Gesellschaft in Afrika und interreligiöse Beziehungen.
hans.spitzeck@web.de


Links

Organisation of African Instituted Churches:
http://www.oaic.org

African Initiated Churches and sustainable development in South Africa – potentials and perspectives:
https://www.rcsd.hu-berlin.de/de/publikationen/pdf-dateien/rd-2017-01_aics_sustainable_development.pdf/at_download/file
 

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.