Demografische Dividende

Von sinkenden Kinderzahlen profitieren

In einigen Ländern Subsahara-Afrikas gehen die Geburtenzahlen zurück. Unter bestimmten Bedingungen kann das zu wirtschaft­licher Entwicklung beitragen. Um dies im Rahmen der Klima- und Umweltziele zu erreichen, sind allerdings gute Strategien nötig.
Jugendliche in Niger, einem der Länder mit der jüngsten Bevölkerung weltweit. picture-alliance/imageBROKER/Michael Runkel Jugendliche in Niger, einem der Länder mit der jüngsten Bevölkerung weltweit.

Das globale Bevölkerungswachstum in Einklang zu bringen mit einer nachhaltigen Entwicklung, ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen für Mensch und Umwelt. Allerdings bleibt dafür nicht mehr viel Zeit, das zeigen die jüngsten Erkenntnisse zur Klimakrise, zum Verlust von Artenvielfalt und Ökosystemen sowie der enorme weltweite Ressourcenverbrauch.

Die am wenigsten entwickelten Länder haben aufgrund hoher Geburtenraten eine sehr junge Altersstruktur: 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre. In vielen dieser Länder wächst die Bevölkerung zwar weiterhin, jedoch mit abnehmender Tendenz. Das eröffnet wirtschaftliche Chancen: Wenn nach vormals starkem Bevölkerungswachstum die Anzahl der Geburten je Frau sinken, steigt in der Regel der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung. Das bedeutet, es können mehr Menschen wirtschaftlich aktiv sein, während die Gesellschaft zugleich weniger Transferleistungen an Kinder oder Ältere erbringen muss. Dieser demografisch bedingte, potenzielle wirtschaftliche Nutzen heißt „demografische Dividende“.

Eine demografische Dividende entsteht allerdings keinesfalls zwangsläufig allein aus einer günstigen Altersstruktur. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die dazu beitragen können, dass aus der Bevölkerung ein Kapital entsteht, dessen Dividende die Lebensbedingungen verbessern kann. Welche Faktoren hier eine Rolle spielen, wird seit vielen Jahren diskutiert. Klar ist, dass ein hoher Anteil an Erwerbstätigen die wirtschaftliche Entwicklung befördern kann, wenn zugleich:

  • in menschliche Entwicklung investiert wird – etwa in Gesundheit und Bildung – und
  • neue, gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen oder geschaffen werden.

Das zumindest versprechen Entwicklungskonzepte, die auf klassischem Wirtschaftswachstum beruhen. In der Vergangenheit konnte eine solche demografische Dividende in einer Reihe asiatischer Länder beobachtet werden, darunter die „Tigerstaaten“ Südkorea und Taiwan.

Aktuell sinken in vielen Ländern in Subsahara-Afrika die Geburtenraten. Vorreiter sind dabei Länder wie Äthiopien, wo die Fertilität von mehr als sieben Kindern je Frau 1990 auf heute nur noch vier Kinder zurückgegangen ist. Im Durchschnitt liegt der Wert für diese Region noch bei 4,5 Kindern. Ob dies mittelfristig ebenfalls in eine demografische Dividende mündet, hängt unter anderem vom Verlauf des Fertilitätsrückgangs und von Investitionen in menschliche Entwicklung ab. Die Afrikanische Union (AU) setzt daher auf Investitionen in die Jugend, damit afrikanische Länder vom Bevölkerungswachstum profitieren. Das betonten auch Fachleute auf einer virtuellen Konferenz an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg Ende 2021. Die Konferenz wurde im Rahmen des Arbeitskreises „Migration, Integration, Weltbevölkerung“ der Deutschen Gesellschaft für Demographie organisiert, in Kooperation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und der Universität Koblenz-Landau (UKL).

Emissionen steigen

Diskutiert wurde dort auch ein Dilemma einer solchen wirtschaftlichen Entwicklung: Sie führt oft zu höherem Ressourcenverbrauch und mehr Emissionen. Dies war bei der konventionellen Industrialisierung der Fall. Sie hat zwar in der Vergangenheit vielerorts erfolgreich zu Wohlstand geführt – allerdings auch dazu, dass gegenwärtig etwa die Hälfte der Klimaerwärmung von nur zehn Prozent der Menschheit – nämlich den weltweit Wohlhabendsten – zu verantworten ist. Der Ressourcenverbrauch von Menschen in den am schnellsten wachsenden Bevölkerungen trägt aktuell kaum zur Klimakrise bei.

Der Entwicklungsansatz einer konventionellen Industrialisierung lässt sich in Subsahara-Afrika kaum nachhaltig realisieren. Zum einen wächst die Bevölkerung dort trotz sinkender Fertilitätsraten weiter, zum anderen sind die globalen Nachhaltigkeitsgrenzen durch die historische Entwicklung der Industrie- und Schwellenländer bereits weit überschritten. Ein solcher Ansatz ist deshalb für die Zukunft Subsahara-Afrikas kritisch zu betrachten.

Eine Möglichkeit, wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig zu realisieren, ohne den ressourcenintensiven Entwicklungspfad der Industrieländer zu kopieren, liegt im sogenannten Leapfrogging. Dabei werden bestimmte Entwicklungsstadien ausgelassen, wie es zum Beispiel bei der Telefoninfrastruktur in Nigeria der Fall war. Das Land „übersprang“ den Festnetzausbau, stattdessen verbreiteten sich Mobilfunkverträge. Damit gingen etwa direkte Möglichkeiten für mobile Bankkonten einher.

Klimagerechtes Wachstum

Viele kleine Sprünge in verschiedenen Entwicklungsbereichen könnten in der Summe zu klimagerechtem Wachstum beitragen. Für viele afrikanische Länder dürfte es allerdings schwierig sein, die Entwicklungssprünge asiatischer Länder zu kopieren. Dies gilt besonders für Staaten, die noch immer unter den Folgen von Bürgerkriegen und anderen Konflikten leiden. In jedem Fall sollte die Wahrung sexueller und reproduktiver Rechte vom Prinzip der Menschenrechte geleitet sein.

In einigen Ländern Afrikas ist derzeit durchaus ein Wandel in der Einstellung zur Familienplanung zu beobachten, wie Fachleute auf der Konferenz betonten. Demnach hat beispielsweise in Äthiopien der Zugang zu Informationen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit letztlich auch die Einschulungs- und Abschlussraten verbessert, insbesondere für Mädchen. Bei jungen Menschen in Afrika sei das Bedürfnis nach Aufklärung durchaus hoch und der Wunsch nach weniger Kindern und späteren Schwangerschaften weit verbreitet. Allerdings habe etwa jede zweite Frau in Subsahara-Afrika, die verhüten möchte, keine Möglichkeit dazu. Es fehle an Angeboten, beispielsweise für Jugendliche in Gesundheitsstationen. Würde dieser Bedarf gedeckt, trüge das zu einer nachhaltigen, an den Menschenrechten und der Gleichstellung der Geschlechter orientierten Bevölkerungsentwicklung bei.

Literatur

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2021: Globale Bevölkerungsentwicklung. Fakten und Trends. BiB.Bevölkerungs.Studien 1/2021.
https://www.bib.bund.de/Publikation/2021/Globale-Bevoelkerungsentwicklung.html?nn=15207364

Klingholz, R., Sütterlin, S., Kaps, A., Hinz, C., 2020: Wie in Afrika große Entwicklungssprünge möglich werden. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
https://www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/schnell-bezahlbar-nachhaltig

Kaps, A., Schewe, A.-K., Klingholz, R., 2019: Wie sinkende Kinderzahlen Entwicklung beschleunigen. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
https://www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/afrikas-demografische-vorreiter

Frank Swiaczny ist Wissenschaftler am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.
frank.swiaczny@bib.bund.de

Sonja Haug ist Professorin für Empirische Sozialforschung an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg und Sprecherin des Arbeitskreises „Migration, Integration, Weltbevölkerung“ der Deutschen Gesellschaft für Demographie (DGD).
sonja.haug@oth-regensburg.de

Susanne Schmid ist Leiterin des Referats „Gesellschaftliche Entwicklung, Migration, Integration“ an der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung und Sprecherin des Arbeitskreises „Migration, Integration, Weltbevölkerung“ der Deutschen Gesellschaft für Demographie (DGD).
schmids@hss.de

Sabrina Gabel arbeitet in einem Projekt für Bevölkerungsdynamik, Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder.
sabrina.gabel@giz.de

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