Entwicklungspolitik

Wie Entwicklungspolitik missverstanden wird

Obwohl sich die entwicklungspolitische Realität in den vergangenen Jahren stark verändert hat, blickt der öffentliche und politische Diskurs weiterhin nur verengt auf die altruistischen oder humanitären Ziele der Entwicklungspolitik. Es muss klarer werden, wie relevant das Politikfeld gerade heute für die Lösung globaler Probleme ist.
Hochwasser im Bodenseekreis: Auch dieses Jahr gab es Extremwetter in Deutschland. Entwicklungspolitik umfasst Maßnahmen, die Klimakrise global zu bekämpfen. picture-alliance/dpa/David Pichler Hochwasser im Bodenseekreis: Auch dieses Jahr gab es Extremwetter in Deutschland. Entwicklungspolitik umfasst Maßnahmen, die Klimakrise global zu bekämpfen.

Der Entwicklungspolitik ist es weder ausreichend gelungen, sich als Gestaltungsinstrument zur Begegnung weltweiter Herausforderungen noch als zentraler Kooperationsansatz mit Partnern aus dem globalen Süden zu präsentieren. Entwicklungspolitik sollte exakter definieren können, welches Potenzial jenseits altruistischer Unterstützung liegt.

Dass sich die Entwicklungspolitik Deutschlands und der EU in den vergangenen Jahren stark verändert hat, hat vor allem vier Gründe:

  1. Die neue Bedeutung geopolitischer und geoökonomischer Themen, wie etwa des systemischen Wettbewerbs der USA und anderer westlicher Akteure mit China, der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine oder des Zugangs zu zentralen Rohstoffen. So ist etwa die Global-Gateway-Initiative ein wichtiges entwicklungspolitisches Projekt der EU, das sie seit 2021 chinesischen Infrastrukturprogrammen wie der Belt and Road Initiative als Alternative entgegensetzt.
  2. Die Klimakrise und die Relevanz von CO2-Reduktion und Anpassungsmaßnahmen. 2009 verpflichteten sich die Industrieländer, die Entwicklungsländer jährlich mit mindestens 100 Milliarden Dollar dabei zu unterstützen, CO2-Emissionen zu reduzieren und Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen.
    Die Klimafinanzierungsarchitektur soll bis Ende 2024 auf eine neue Grundlage gestellt werden. In der Klimafinanzierung tragen wohlhabende Länder einerseits eine große Verantwortung. Andererseits verfolgen sie aber auch ein enormes Eigeninteresse, da die Folgen des Klimawandels nicht zuletzt in Deutschland spürbar sind. Klimafinanzierung ist ein wichtiger Anlass, globale öffentliche Güter bereitzustellen, und bedient damit unmittelbare Eigeninteressen. Die Mittel hierfür werden dennoch überwiegend als Entwicklungszusammenarbeit verbucht, soweit dieses Geld aus den öffentlichen Haushalten stammt.
  1. Aktives Migrationsmanagement. Seit 2015 führen entsprechende Maßnahmen zu entwicklungspolitischen Veränderungen. So hat die EU etwa seit dem vergangenen Jahr mit Tunesien, Ägypten und Mauretanien Abkommen zu Migrationsmanagement getroffen. Sie bauen auf einem ersten Abkommen von 2016 dieser Art mit der Türkei auf. Entwicklungszusammenarbeit ist ein wichtiges Element in diesen Vereinbarungen, auch wenn sie aus verschiedenen Gründen umstritten sind.
  1. Die populistischen und rechtsnationalen Strömungen, die zunehmend in Parlamenten und Regierungen vertreten sind, dort öffentliche Debatten mitprägen und den Diskurs über die Sinnhaftigkeit von Entwicklungszusammenarbeit stark mitbestimmen. Dies gilt zunehmend für Deutschland.

Entwicklungspolitik ist ein zentrales Element von „Soft Power“. Dies gilt für China und die Türkei ebenso wie für die USA und Deutschland. Soft Power im Sinne des Politikwissenschaftlers Joseph Nye ist eine Form der Machtausübung und bietet Gestaltungsmöglichkeiten durch die Überzeugungs- und Anziehungskraft eines Akteurs. Sie ist nachweisbar vorteilhaft, um internationale politische Entscheidungen zu beeinflussen. Sie ist aber auch ein ökonomischer Wettbewerbsvorteil. Neben anderen Ansätzen (etwa Studierende aus dem Ausland anzuziehen) ist die Entwicklungspolitik eines Landes belegbar ein zentraler Pfeiler von Soft Power.

In einem internationalen politischen Umfeld, das immer mehr auf „gemischte Allianzen“ von Ländern mit unterschiedlichen Zugehörigkeiten angewiesen ist („Westen“, „globaler Süden“, regionale Zuschreibungen etc.), ist es sinnvoll hervorzuheben, wie Entwicklungspolitik intergouvernementale Beziehungen, aber auch nichtstaatliche Netzwerke (etwa die politischen Stiftungen und Thinktanks) besser nutzen kann.

Ein solches Potenzial besteht nicht zuletzt mit Blick auf Länder wie Indien, die Türkei oder China, die in absehbarer Zeit international nicht mehr als Entwicklungsländer eingestuft werden. Es ist wichtig, mit diesen Ländern Dialogmöglichkeiten zu schaffen, um sich über Normen und Standards (etwa mit Blick auf die chinesischen Entwicklungsinitiativen) austauschen zu können.

Stephan Klingebiel leitet das Forschungsprogramm „Inter- und transnationale Kooperation“ am German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Er ist Gastprofessor an der Universität Turin sowie der Ewha Womans University in Seoul.
stephan.klingebiel@idos-research.de

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