Unsere Sicht

Preisgabe der eigenen Werte

Getrieben von rechtspopulistischen Kräften verschärft die EU ihre Asylbestimmungen. Das ist aus politischen, moralischen und wirtschaftlichen Gründen falsch.
Geflüchtete sehen sich auf der Mittelmeerinsel Lampedusa mit der italienischen Polizei konfrontiert. picture alliance / ZUMAPRESS.com / Cecilia Fabiano Geflüchtete sehen sich auf der Mittelmeerinsel Lampedusa mit der italienischen Polizei konfrontiert.

Europa ist ein Hauptziel internationaler Migration. Mehr als eine Million Menschen beantragten 2023 Asyl in der Europäischen Union, und dieses Jahr werden es wohl ähnlich viele sein. Im Dezember hat die EU nun beschlossen, ihre Asylbestimmungen zu verschärfen. Das ist ein fatales Signal – aus politischen, moralischen und wirtschaftlichen Gründen.

Eigentlich hat die EU die ökonomischen und politischen Voraussetzungen dafür, vielen Menschen Asyl zu gewähren und sie in ihre demokratischen Systeme zu integrieren. Sie versteht sich dezidiert als liberale Macht, die Frieden, Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte sowohl von ihren Mitgliedstaaten fordert als auch von Regierungen weltweit. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentierte die EU wiederholt – an der Seite der USA – als Advokatin einer sogenannten regelbasierten Weltordnung.

Daraus folgt: Menschen, die Schutz vor Krieg oder politischer Verfolgung suchen, müssen diesen in Europa bekommen – rasch und unter würdigen Bedingungen. Besondere Verantwortung trägt die EU für Klimageflüchtete. Ihre Mitgliedstaaten zählen zu den maßgeblichen Verursachern der Erderhitzung.

In den Augen jener, die der Armut in ihrer Heimat entkommen möchten, versprechen die starken Volkswirtschaften der EU eine Chance. Zugleich benötigen die alternden Gesellschaften in Europa dringend Fach- und andere Arbeitskräfte, etwa in der Landwirtschaft oder im Gesundheitswesen. Sie haben ein Interesse daran, Menschen mit Bleiberecht schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Trotzdem wird die EU ihren hohen Ansprüchen bei der Migration nicht gerecht. An ihren Außengrenzen werden seit Langem Menschenrechte verletzt. Hilfsorganisationen beschreiben die Bedingungen in den Camps für Geflüchtete als menschenunwürdig.

Mit der jüngsten Verschärfung der Asylbestimmungen entfernt sich die EU nun erneut weiter von ihren eigenen Werten. Asylverfahren sollen bereits an den Außengrenzen stattfinden. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag können alle – Alleinreisende wie Familien mit Kindern – unter haftähnlichen Bedingungen in „Auffanglagern“ untergebracht werden.

De facto treiben rechtsextreme und populistische Kräfte die demokratischen Parteien Europas vor sich her. Um vermeintlich Stimmen zurückzugewinnen, rücken etablierte Parteien nach rechts – auf Kosten Schutzsuchender. Doch sie sollten genau hinsehen, in wessen Nähe sie hier geraten. Ende 2023 trafen sich Vertreter*innen der laut Verfassungsschutz in Teilen rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) mit Rechtsradikalen, um die Zwangsausweisung von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland zu besprechen.

Die Lage ist ernst. Zwar demonstrierten als Reaktion Hunderttausende in deutschen Städten für Demokratie, aber die AfD könnte bei mehreren Landtagswahlen in diesem Jahr dennoch stärkste Kraft werden. Auch in anderen EU-Ländern wie Frankreich, Italien oder Ungarn sind rechtsnationale Kräfte erstarkt oder längst an der Regierung. Oft suggerieren sie, reiche Nationen würden von Geflüchteten überrannt. Dabei bleiben laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) rund 85 Prozent der Geflüchteten in ihren Heimatregionen. Um sie kümmern sich oft Nachbarländer, die selbst wirtschaftsschwach sind.

An manchen dieser Länder könnte sich die EU ein Beispiel nehmen. Wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren will, muss sie jedenfalls die von ihr postulierten Werte selbst konsequenter vertreten – gerade auch in der Migrationspolitik.

Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z/D+C.
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