Unsere Sicht

Recht auf Heimat

Jeder Mensch sollte an dem Ort bleiben können, an dem er bleiben will.
Migrant*innen durchqueren den gefährlichen Dschungel zwischen Kolumbien und Panama. picture-alliance/ASSOCIATED PRESS/Fernando Vergara Migrant*innen durchqueren den gefährlichen Dschungel zwischen Kolumbien und Panama.

Dieser simple Satz bezieht sich auf eine komplexe Realität. Seit eh und je bleiben wir nicht unbedingt dort, wo wir geboren wurden oder aufwuchsen. Menschen fliehen wegen Krieg, Katastrophen oder weil sie aus politischen, religiösen oder anderen Gründen verfolgt werden. Wo gegen Menschenrechte verstoßen wird, gibt es Anlass zur Flucht. Obendrein macht die Klimakrise die Heimat vieler Menschen allmählich unbewohnbar.

Menschen ziehen aber auch weg, um anderswo mehr Geld verdienen zu können oder überhaupt Arbeit zu finden. Junge Menschen studieren im Ausland, und manche bleiben dann auch dort.

Flucht ist laut internationalem Recht eine Art der Migration, die dem Überleben dient. Diese Definition ist aber schwammig. Ab wann geht es ums Überleben? Bereits im Fall der jungen Kenianerin, die als Haushaltshilfe im Oman mit Heimatüberweisungen die Existenz ihrer Familie sichert? Bei der Afghanin, die studieren will, was sie in ihrem Land theoretisch nur als Mann verkleidet unter Lebensgefahr tun könnte? Oder erst bei der Ukrainerin, deren Heimat von der russischen Armee überfallen wird?

Migration selbst ist manchmal lebensgefährlich. In der Hoffnung auf ein Leben in Würde setzen Menschen auf Schlauchbooten über das Mittelmeer. Andere durchqueren zu Fuß die Dschungel Mittelamerikas oder Südostasiens.

Laut rechtspopulistischer Propaganda drohen reiche Industrienationen überrannt zu werden. Tatsächlich sind es aber Länder wie die Türkei, Kolumbien oder Uganda, die die meisten Geflüchteten aufnehmen. Die größten Flüchtlingslager der Welt sind nicht auf Lampedusa oder Lesbos, sondern in der kenianischen Wüste oder in den Sümpfen Bangladeschs.

Andererseits brauchen Industrienationen dringend Fachkräfte – nicht nur, aber besonders im Gesundheitswesen. Rechtspopulistische Kräfte leugnen diese Realität. Damit gefährden sie nicht nur die wirtschaftliche und soziale Zukunft der Zuwanderungsländer. Sie stören auch den inneren Frieden, weil ihre feindselige Rhetorik alle ausgrenzt, die selbst eingewandert sind, aus migrantischen Familien stammen oder sich mit migrantischen Nachbarn wohl fühlen.

Fast jede Familie hat eine Migrationsgeschichte

Oft wird auch übersehen, dass so gut wie jede Familie eine Migrationsgeschichte hat. Besonders die Republikaner in den USA scheinen immer wieder zu vergessen, dass ihre ganze Nation auf Einwanderung – und Genozid der indigenen Bevölkerung – aufgebaut ist.

Nach liberalem Weltverständnis gibt es vier Freiheiten: freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Für die vierte Freiheit fehlt es der Weltgemeinschaft an brauchbaren Regeln. Besonders Länder mit hohen Einkommen müssen Einwanderungsmöglichkeiten schaffen und unnütze, aufgeblähte Prozesse abbauen. Die strenge Absperrung der Grenzen widerspricht ohnehin menschenrechtlichen Prinzipien.

Reduktion von Ungleichheit ist das 10. UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG – Sustainable Development Goal). Erwähnt wird ausdrücklich, dass geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Mobilität erleichtert werden muss.

Alle Menschen müssen ein Recht auf Heimat haben: ein Recht darauf, dass diese Heimat bewohnbar bleibt, dass dort Frieden herrscht und alle die Chance auf nachhaltigen Wohlstand haben. Dazu gehört auch, dass sie in der Heimat, die sie sich ausgesucht haben, gleichberechtigt behandelt werden und keine Diskriminierung fürchten müssen.

 

P.S.: Die EU plant nun, Asylanträge entlang ihrer Außengrenzen zu bearbeiten und verspricht schnelle Entscheidungen. Angenommene Asylbewerber hätten dann das Recht, in einem bestimmten Mitgliedsland zu bleiben, dürften aber nicht in andere Länder reisen. Damit sollen Schleuser und Schlepper gestoppt werden. 

Die Staats- und Regierungschefs der EU scheinen zu übersehen, dass ein solches Vorgehen die Botschaft verstärkt, dass Menschen aus anderen Kontinenten nicht wirklich willkommen sind - was der Tatsache zuwiderläuft, dass sie mehr Arbeitskräfte aus diesen Kontinenten anwerben müssen. Aus gutem Grund hat die Bundesregierung kürzlich beschlossen, ausländische Zeugnisse und Ausbildungen großzügiger anzuerkennen. Eine echte Willkommenskultur ist aber ebenfalls nötig. 

Aktualisierung: Das P.S. wurde am 5. Mai 2023 hinzugefügt.

Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu