Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Kolonialismus überwinden

Kooperation statt Hilfe: koloniale Muster überwinden

Wie kann faire internationale Zusammenarbeit aussehen, die nicht koloniale Muster fortschreibt? Mit dieser Frage beschäftigten sich Teilnehmende einer BMZ-Veranstaltung in Berlin. Viele fordern ein Umdenken für bessere Partnerschaft.
Diskussionspanel der BMZ-Veranstaltung Rethinking development policy: How to confront coloniality. Copyright Photothek / Thomas Köhler Diskussionspanel der BMZ-Veranstaltung Rethinking development policy: How to confront coloniality.

Von November 1884 bis Februar 1885 legten die europäischen Kolonialmächte auf der sogenannten Berliner Konferenz den Grundstein dafür, Afrika unter sich aufzuteilen – ohne Rücksicht auf die Interessen der Menschen, die in den verschiedenen Gebieten lebten. Es folgten Unterdrückung und Ausbeutung. Heute, 140 Jahre später, zeigen sich die negativen Auswirkungen des Kolonialismus weiterhin, wie im Schwerpunkt unserer Digitalen Monatsausgabe 2024/11 nachzulesen ist. 

Koloniale Muster leben auch in internationalen Beziehungen fort. Nicht nur wegen der fortwährenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Ländern mit niedrigen Einkommen, sondern auch, weil manche Formen von „Entwicklungszusammenarbeit“ mehr den Interessen der Geber dienen als den Menschen in Empfängerländern.

„Es gibt eine nicht geringe Anzahl von Gebern, die oft koloniale Hierarchien widerspiegeln, während die Empfänger mit den Narben von Abhängigkeit und eingeschränkter Handlungsfähigkeit zu kämpfen haben“, sagt Martin Kimani. Er war ständiger Vertreter Kenias bei den Vereinten Nationen und ist heute geschäftsführender Direktor des Center on International Cooperation (CIC) der New York University. Dahinter steckt laut Kimani die unausgesprochene Annahme, dass der globale Norden über die Lösungen verfüge, während der Süden ein passiver Empfänger von Wissen, Kapital und Expertise bleibe. Deshalb verstärke Entwicklung oft Abhängigkeit, anstatt Eigenständigkeit zu fördern.

Kimani sieht verschiedene Anklänge an „eine koloniale Logik, die Kontrolle über Zusammenarbeit stellt“, darunter:

  • Hilfen, die von der Einhaltung ausländischer Prioritäten abhängen, 
  • technische Unterstützung losgelöst von den lokalen Gegebenheiten und 
  • eine von ausländischen Expert*innen gestaltete Politik. 

Rethinking Development Policy: How to confront coloniality

Martin Kimani äußerte sich im Dezember auf einer Konferenz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit dem Titel „Rethinking Development Policy: How to confront coloniality“. Dort diskutierten Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft darüber, wie gerechte entwicklungspolitische Zusammenarbeit aussehen kann. Es war die erste öffentliche Veranstaltung des BMZ, die sich auf höchster Ebene mit kolonialen Kontinuitäten in der internationalen Zusammenarbeit auseinandersetzte. Sie fand in Berlin statt und wurde live online gestreamt.

Auf die Berliner Konferenz von 1884/85 nahmen die Teilnehmenden explizit Bezug. Entwicklungsministerin Svenja Schulze bezeichnete sie als „abscheulichen Schlüsselmoment des Kolonialismus“ und „Ausdruck eines Überlegenheitsgefühls, das uns leider auch heute noch, 140 Jahre später, begegnet“. Deutschland habe sich bis jetzt nicht angemessen mit der eigenen Verantwortung auseinandergesetzt, ein Anfang sei jedoch gemacht. 

Das BMZ wolle Zusammenarbeit in Zukunft partnerschaftlicher gestalten. Beispielsweise setze es sich verstärkt dafür ein, asymmetrische Machtstrukturen im internationalen System abzubauen, etwa durch mehr Mitbestimmung der Länder des globalen Südens in internationalen Finanzinstitutionen.

Birgit Pickel, Abteilungsleiterin Afrika des BMZ, betonte, man müsse weg vom Geber-Empfänger-Verständnis und die Prioritäten der Partner als Ausgangspunkt nehmen. Das BMZ könne etwa lokale und regionale Initiativen stärker unterstützen, Instrumente wie Süd-Süd- und Dreieckskooperationen ausbauen und lokales und vorkoloniales Wissen stärker einbeziehen.

Internationale Zusammenarbeit neu gestalten

Martin Kimani wies darauf hin, dass Probleme wie geringe staatliche Kapazitäten, fragile Legitimität und wirtschaftliche Anfälligkeit nicht nur auf schlechte Governance seitens afrikanischer Regierungen zurückzuführen seien, sondern auch darauf, dass in den staatlichen Strukturen vieler afrikanischer Länder weiterhin das Erbe des Kolonialismus erkennbar sei. Die meisten afrikanischen Staaten seien nie darauf ausgelegt gewesen, ihrer Bevölkerung zu dienen

Als Ausweg schlägt Kimani vor, bereits begonnene Reformen besser umzusetzen und internationale Zusammenarbeit zu „revolutionieren“. Während Deutschland ein neues Wachstumsmodell benötige, biete Afrika mit seiner jungen Bevölkerung, der schnellen Urbanisierung und seinem ökonomischen Potenzial eine Option für „gegenseitige Erneuerung und Wachstum“, sagte Kimani. Das Ziel sei eine „echte Partnerschaft“. Deutschland könne etwa im Hinblick auf seine ökonomische Widerstandsfähigkeit und geopolitische Relevanz profitieren.  

Ungerechte Strukturen überwinden

Gegenwärtig fühlten sich Akteure aus dem globalen Süden oft wie Bürger*innen zweiter Klasse in ihrem eigenen Land, sagte Dylan Mathews. Er ist CEO der britisch-amerikanischen zivilgesellschaftlichen Organisation Peace Direct, die 2021 den Report „Time to decolonise aid“ veröffentlichte. Darin werden unter anderem ungleiche Machtdynamiken im internationalen Hilfssystem thematisiert. „In unserem Bestreben, zu helfen, haben wir in Wirklichkeit Schaden angerichtet“, meinte Mathews. Die Handlungsfähigkeit der Menschen vor Ort sei untergraben worden, in der Annahme, sie hätten nichts zu bieten, sodass sie zu passiven Empfänger*innen von Hilfe geworden seien.

Für Mathews ist es nötig, zu überdenken, was „Erfolg“ im Entwicklungskontext bedeute. Statt nur auf technische Kennzahlen zu achten, gelte es, ein tieferes Verständnis für die langfristige Transformation von Gesellschaften zu entwickeln. Veränderung müsse damit beginnen, das eigene Denken und die eigene Sprache zu hinterfragen. Dies beginne schon beim Begriff „Entwicklung“: Von wessen Entwicklung ist die Rede? Zu welchen Bedingungen?

Weiterer Austausch mit Partnern

Seitens der Teilnehmenden gab es Lob für die BMZ-Veranstaltung. So bezeichnete Martin Kimani sie als einen „wesentlichen Schritt zur Neugestaltung der Systeme der internationalen Zusammenarbeit, die unsere gemeinsame Zukunft bestimmen“. Aus dem Publikum kamen aber auch kritische Anmerkungen. Beispielsweise wurde moniert, dass keine Vertreter*innen aus ehemaligen deutschen Kolonien an der Podiumsdiskussion teilnahmen. Auch das Thema Entschädigungen für Nachfahren von Opfern der Kolonialherrschaft wurde aufgebracht. 

Wie sollten die Deutschen mit der eigenen Kolonialvergangenheit umgehen? Und welche Konsequenzen hat dies für die gegenwärtige Entwicklungspolitik? Welche Bundesregierung auch immer nach den Neuwahlen im Amt sein wird – auch sie wird sich diesen Fragen stellen müssen.

Links

BMZ: Aufzeichnung der Veranstaltung vom 4. Dezember (auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch): 
https://www.bmz.de/de/aktuelles/rethinking-development-policy-how-to-confront-coloniality

Peace Direct, 2021: Time to decolonise aid. (Auf Deutsch verfügbar unter dem Titel „Dekolonisierungshilfe und Friedensförderung“.) 
https://www.peacedirect.org/time-to-decolonise-aid/

Jörg Döbereiner ist Chef vom Dienst bei E+Z.
euz.editor@dandc.eu