Deutsche Entwicklungspolitik

Entwicklungspolitik soll das Leben aller verbessern

Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erklärt, weshalb Entwicklungspolitik in der heutigen multipolaren Welt als grundlegender Bestandteil internationaler Realpolitik zu begreifen ist. Sie dient nicht nur den Partnerländern, sondern auch den Menschen in Deutschland.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze beim Besuch eines Internats in Burkina Faso im März. picture-alliance/dpa/Christina Peters Entwicklungsministerin Svenja Schulze beim Besuch eines Internats in Burkina Faso im März.

Das globale Miteinander unserer Welt war lange schief. Jahrhundertelang gab es ein gut sichtbares Machtgefälle, das die Welt scheinbar zweigeteilt hat. In Reich und Arm, in Mächtige und Machtlose, in Bestimmer und Bestimmte, in „den Westen“ und „den Rest“.

Und es gehört zum Zynismus der Geschichte, dass das Entwicklungsmodell des einen Teils der Welt auf der Ausbeutung des anderen beruht. Mit Folgen, die auch heute noch überall auf der Welt zu spüren sind und die Leben der Menschen direkt beeinflussen.

Der eigentliche Grund für diese Zweiteilung ist fest verbunden mit der europäischen Kolonialgeschichte. Und mit den daraus resultierenden wirtschaftlichen und politischen Strukturen, die sich über Jahrhunderte verfestigt und gehalten haben. Diese Machtstrukturen haben zu einer einseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit und einer Dominanz des westlichen Narrativs geführt. Der Westen als Erzähler der Weltgeschichte.

Die Einteilung der Welt in Entwicklungsländer und Industrieländer folgte der alten europäischen Modernisierungstheorie. Sie unterschied zwischen „traditionellen“ und „modernen“ Gesellschaften, wobei nur die zweiten als erstrebenswert dargestellt wurden. Diese Einteilung war eurozentristisch: Sie beruht auf der Einstellung, dass Europa oder „der Westen“ das Ideal darstellten und deshalb als Maßstab für Fortschritt gelten sollten.

Kolonialismus begründet westlichen Wohlstand

Klar ist aber: Der Kolonialismus war kein Nebenprodukt der Geschichte, sondern er ist die Grundlage des europäischen Reichtums, das Fundament des westlichen Wohlstands. Und auch heute zahlen die Menschen im Globalen Süden als Erste den Preis für ein Wirtschaftsmodell, das die Grenzen unseres Planeten schon vielfach überschritten hat. Die Welt, wie wir sie kennen, funktionierte lange auf Basis dieses Machtgefälles.

Und dieses Machtgefälle sorgte dafür, dass in den Ländern, in denen die wertvollsten Rohstoffe im Boden liegen, die schlechtesten Arbeitsbedingungen vorherrschen. Es sind kolonialgeschichtlich verfestigte Strukturen, die dazu geführt haben, dass die Wertschöpfung entlang der Achse „Globaler Süden – Globaler Norden“ steigt. Warum ist das so, und wie lässt sich das ändern? Was können und wollen wir in Deutschland und Europa dafür tun? Das sind Fragen, die wir uns insbesondere in der Entwicklungspolitik, aber auch als westliche Gesellschaft insgesamt stellen. Es gehört zu unserer Verantwortung als Teil des Globalen Nordens, uns dieser Unvereinbarkeit bewusst zu sein und dazu beizutragen, sie zu überwinden.

Apropos Globaler Norden und Globaler Süden: Seit einigen Jahren diskutieren wir in der Entwicklungszusammenarbeit diese Begriffe. Dort werden Fragen diskutiert wie: Was ist ein Entwicklungsland eigentlich? Was ist der Globale Norden, wer gehört wozu? Und gibt es diese klaren Unterscheidungen überhaupt?

Denn die Unterschiede zwischen den Ländern innerhalb des Globalen Südens sind häufig eklatant. So sind sich beispielsweise Brasilien und Deutschland in vielen Dingen ähnlicher als etwa Brasilien und Laos, obwohl beide zum Globalen Süden zählen. Einige Länder instrumentalisieren den Begriff „Globaler Süden“ oder „Entwicklungsland“ sogar aktiv und spielen damit, um sich je nach Anlass dazuzuzählen oder nicht, wie beispielsweise China.

Klar ist, dass das Verb „entwickeln“ beinhaltet, dass Länder sich verändern sollen und dass es dafür eine vorgegebene Richtung gibt. Und dies suggeriert eine Hierarchie zwischen „entwickelten“ und „noch nicht so weit entwickelten“ Ländern. Zwischen dem, wie es ist, und dem, wie es sein soll. Immer mit dem westlichen Silberstreif am Horizont.

Ohne Zweifel gibt es eine Häufung von Problemen in einigen Regionen dieser Welt. Jedoch wird oft außer Acht gelassen, dass diese Probleme ihren strukturellen Ursprung in der Weltgeschichte haben. Dass sie nicht per se in diesen Regionen vorherrschen, dass es nicht von vorneherein entwickelte und weniger entwickelte Länder gab. Dass diese beiden Pole nur im Zusammenspiel und miteinander existieren können. Und dass der Westen dabei eine wesentliche Rolle spielt. Zum einen natürlich durch die Kolonialgeschichte. Aber auch durch die kolonialen Kontinuitäten, die das globale Miteinander weiterhin durchziehen.

Beides stellt uns vor Herausforderungen und in Frage, ob es diesen Sammelbegriff für die vielen unterschiedlichen Länder überhaupt braucht. Oder ob er nicht zu einer neuen Zweiteilung der Welt führt. Eine Teilung in „wir“ und „die“.

Multipolare Weltordnung

Denn diese Zweiteilung, diese klare Hierarchie gibt es nicht mehr. Wir leben schon lange in einer multipolaren Welt. In der es vielfältige Machtzentren gibt, die miteinander agieren. Mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen, mit unterschiedlichen Interessen, Zielen und Werten.

Viele der ehemaligen „Entwicklungsländer“ haben den Fuß schon lange selbstbewusst in die Tür gestellt, wirtschaftlich und geopolitisch. Viele Länder des Globalen Südens fordern gleiche Möglichkeiten und Rechte ein und nutzen Alternativen. Dabei eint sie oft wenig mehr als die Tatsache, dass sie sich nicht zum Westen zählen.

Mit all diesen Veränderungen verändert sich auch Entwicklungspolitik. Das alte „wir helfen denen“ gilt schon lange nicht mehr. Und auch das „unterstützende Politik auf Augenhöhe“ ist nicht mehr zeitgemäß. Entwicklungspolitik ist immer mehr echter Interessensausgleich. Sie ist grundlegender Bestandteil internationaler Realpolitik. Sie ist Teil globaler Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Sie legt die Grundlage für partnerschaftliche Zusammenarbeit, auch über die klassischen Partner*innen hinaus.

Die alten Freundschaftslinien zwischen Europa und den USA, zwischen Deutschland und Frankreich oder der EU und der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA (North American Free Trade Association) existieren natürlich weiterhin. Es gibt jedoch viele weitere Verbindungen, die manchmal anlassgebunden, manchmal langfristig sind. Und die wir im Globalen Norden oft erst jetzt wahrnehmen. Oder noch schlimmer: ernst nehmen. Süd-Süd-Kooperationen zwischen Südafrika und Vietnam oder zwischen Brasilien und Indien zum Beispiel. Regionale Zusammenschlüsse und Interessengruppen wie SADC (Southern African Development Community) oder BRICS+ (Zusammenschluss aus neun Staaten: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika, Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate) oder die V20 (The Vulnerable 20, 2009 gegründet, umfasst heute 58 Länder), die ein immer stärker werdendes Gegengewicht zu den westlichen multilateralen Zusammenschlüssen bilden. Verbindungen, die nicht einseitig, sondern im Interesse aller Akteur*innen sind.

Unser Bundeskanzler betont es immer wieder, und auch ich bin überzeugt: Wir in Deutschland brauchen strategische Partnerschaften, genauso wie alle anderen Akteur*innen auch. Weil wir zum Beispiel angewiesen sind auf das Lithium aus Mali und Nigeria, damit wir hier in Deutschland Solarzellen herstellen können und unsere Energiewende hinkriegen. Weil wir angewiesen sind auf stabile Lieferketten in Südasien, damit wir hier zuverlässig Antibiotika in unseren Apotheken kaufen können. Weil wir angewiesen sind darauf, dass rund um Konfliktregionen stabile Länder liegen. Denn diese Länder verhindern, dass sich die Konflikte weiter ausbreiten. Und sie können die Menschen auf der Flucht aufnehmen und integrieren – wie das an Syrien grenzende Jordanien, wie das an Mali grenzende Mauretanien.

In Entwicklungspolitik investieren

Deutschland hat ein Interesse daran, auch in diesem neuen Gefüge relevant zu bleiben und mitzugestalten. Eine starke, progressive EU ist auf der Weltbühne gerade auch in Hinblick auf die ungewisse politische Zukunft der USA wichtig. Es muss selbstverständlich sein, dass Deutschland und auch die EU in großem Stil in Entwicklungspolitik investieren. Dass daran nicht gespart werden darf. Sich ins Schneckenhaus zurückzuziehen macht keinen Sinn. Es ist sogar kontraproduktiv. Vor allem für die Menschen in Deutschland.

Denn die deutsche Entwicklungspolitik verbessert zum einen das Leben der Menschen in unseren Partnerländern, in Peru, in Mauretanien und in Bangladesch zum Beispiel. Sie nützt aber ebenso den Menschen in Deutschland. Und trägt dabei in großem Maße zu ihrer Sicherheit und ihrem Wohlstand bei.

Einige der größten Herausforderungen für die Menschen in Deutschland waren in den vergangenen Jahren die Corona-Pandemie, die Überschwemmungen im Ahrtal und in Niedersachsen, die teuren Preise für Strom und Gas, die fehlenden Antibiotika und Diabetesmedikamente in den Apotheken, die verdorrten Landstriche in Brandenburg, die fehlenden Fachkräfte in vielen mittelständischen Unternehmen.

Eine partnerschaftliche Entwicklungspolitik trägt zur Lösung dieser Probleme bei, indem sie bei den Ursachen ansetzt. Und damit geht es allen Menschen besser.

Svenja Schulze ist die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
www.bmz.de