Demokratieförderung

Demokratie schützen, Autokratisierung abwenden

Die weltweite Autokratisierungswelle erfordert einen Wandel in der Demokratieförderung: Der Schutz demokratischer Errungenschaften vor Autokratisierung gewinnt an Bedeutung. Entwicklungspolitische Kooperationen mit Autokratien sind für das globale Gemeinwohl nötig. Es gilt aber stärker als bisher zu vermeiden, dass sie autokratische Strukturen stützen.
Schlange vor Wahllokal zur Präsidentschaftswahl in Sambia 2021. Es folgte ein friedlicher Machtwechsel, der die Demokratie stärkte. picture-alliance/ASSOCIATED PRESS/Tsvangirayi Mukwazhi Schlange vor Wahllokal zur Präsidentschaftswahl in Sambia 2021. Es folgte ein friedlicher Machtwechsel, der die Demokratie stärkte.

In zahlreichen demokratischen Ländern, auch in Deutschland, protestierten zuletzt Menschen lautstark aus Unzufriedenheit mit der Politik. Nicht wenige stellen die Demokratie selbst in Frage. Gleichzeitig leben derzeit 72 Prozent der Menschheit in Staaten mit autokratischen Merkmalen, wie V-Dem, ein Institut für Demokratieforschung, 2023 feststellte. Indien beispielsweise, auf dem Papier die größte Demokratie der Welt, beschneidet systematisch Grundfreiheiten von Teilen der Bevölkerung. Auch die Militärputsche in Niger und Gabun im vergangenen Jahr stehen für ein neues Erstarken autokratischer Herrschaft.

Dennoch gibt es Gründe, optimistisch zu bleiben und sich gerade angesichts der grassierenden Autokratisierungswelle für die Demokratie als politische Ordnungskraft einzusetzen – gerade auch entwicklungs- und außenpolitisch. Die herkömmliche Demokratieförderung der vergangenen 20 Jahre hat dafür aber ausgedient. Sie muss dringend neu ausgerichtet werden.

Erwartungsmanagement

Zum einen hat sich die Zielrichtung der Demokratieförderung verändert: Sie schließt nun vermehrt den Schutz von Demokratien vor Autokratisierung ein. Das erfordert andere Herangehensweisen, die teils neu entwickelt werden müssen. Zum anderen liegt mittlerweile fundierteres Wissen über die Bedingungen und Wirkungen von Demokratieförderung und von Entwicklungspolitik auf Demokratie vor. Dieses Wissen gilt es für die nötige Neuausrichtung fruchtbar zu machen.

Die Forschung zeigt, dass Demokratieförderung wirkt: Die eingesetzten Mittel leisten durchschnittlich einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung demokratischer Institutionen, Verhaltensweisen und Verfahren. Auch die Evaluierung einzelner Projekte, etwa in den Bereichen Wahlbeobachtung, Förderung der Zivilgesellschaft oder Stärkung von Parlamenten, zeigt häufig eine zumindest teilweise Wirkung.

Allerdings kann – und sollte – kein Staat von außen ein gesamtes politisches System demokratisieren, wenn dies nicht von der dortigen Gesellschaft und zumindest Teilen der staatlichen Elite getragen und gewünscht ist. Dies verdeutlicht etwa das internationale Engagement in Afghanistan bis 2022. Zu hoch gesteckte politische Ziele und damit verbundene Erwartungen sind eines der Hauptprobleme in der Demokratieförderung.

Demokratie „von außen“ zu fördern und zu schützen bedeutet vielmehr, demokratische Elemente in einem politischen System und in der Gesellschaft über einen langen Zeitraum zu unterstützen; und zum richtigen Zeitpunkt schnell zur Stelle zu sein, zum Beispiel bei einem Umsturz wie im Arabischen Frühling 2011/2012. Angemessenes Erwartungsmanagement und der Aufbau langfristiger Beziehungen sind daher entscheidend.

Aktuelle Autokratisierungswelle Beeinflusst Entwicklungspolitik

Die Entwicklung politischer Regime ist ergebnisoffen. Dies zeigt sich etwa derzeit an autokratischen Bewegungen in Demokratien wie den USA oder Indien. 

Politische Werte in der Bevölkerung können sich verändern und demokratische Institutionen auch wieder abgebaut werden, selbst wenn sie über Jahrhunderte gewachsen sind. Diese Schwankungen zwischen Autokratie und Demokratie treten seit Beginn des 20. Jahrhunderts wellenartig auf. Derzeit befinden wir uns auf dem Hoch der aktuellen Autokratisierungswelle. Drei Merkmale zeichnen sie aus:

Erstens erfolgt Autokratisierung nicht mehr so häufig in einer abrupten Abkehr von der Demokratie, etwa durch einen militärischen Umsturz, sondern tendenziell als stufenweiser Prozess. Häufig sind es die gewählten Machthabenden selbst, die den Demokratieabbau betreiben. Insofern es sich dabei um Partnerregierungen für staatliche Entwicklungspolitik handelt, ist abzuwägen, was das für die Zusammenarbeit bedeutet und ob daraus Konsequenzen folgen sollten.

Zweitens gibt es keine einfachen Einordnungen von politischen Regimetypen. Autokratisierungsprozesse und Autokratien, die derzeit entstehen, unterscheiden sich. Während manche Staaten noch Wahlen abhalten, aber die Meinungsfreiheit einschränken, können in anderen die Machthabenden ohne Kontrolle durch die Bevölkerung oder das Parlament und die Judikative regieren. Diese Varianz bedingt die Wahl der richtigen Mittel von Demokratieförderung und -schutz.

Drittens ist Demokratieabbau ein gemeinsames Problem von Gesellschaften im globalen Norden und Süden. Oft gehen diese Prozesse mit Polarisierungstendenzen einher. Erst spalten sich die politischen Eliten eines Landes, dann die gesellschaftlichen Kräfte. Dieser Trend macht es schwerer, die demokratische Ordnung zu reformieren und Gräben zu überbrücken.

Mehr Wissen generieren

Diese Charakteristika stellen die internationale Demokratieförderung vor neue Herausforderungen, die aber durchaus lösbar sind. Demokratieschutz und Prävention vor Autokratisierung sind nun zentrale Aufgabenfelder. Allerdings existieren wenige verallgemeinerbare Erkenntnisse über Wirkmechanismen, Instrumente oder den richtigen Zeitpunkt für internationales Handeln. Die größte Aufgabe besteht darin, die bisherigen Evaluierungserkenntnisse zu bündeln, Aktivitäten auszuwerten und gegebenenfalls zu verändern und auszuweiten. Es braucht geeignete Instrumente, um politische Kontexte angemessen zu analysieren und Unterschiede zu erkennen.

Nicht zuletzt ist Demokratieschutz auch eine Haltungsfrage. Ein Land wie Deutschland kann kaum Demokratie in anderen Ländern fördern, ohne die Wertebasis und Funktionsfähigkeit der eigenen Demokratie zu hinterfragen. Die Kehrtwende in der Demokratieförderung muss daher auch zu einem stärkeren Verständigungsprozess in Deutschland und Europa sowie mit Gesellschaften im globalen Süden führen. Demokratieschutz in diesem Sinne wäre ein gegenseitiger Lernprozess.

Wenn Entwicklungspolitik Autokratien stärkt

Um Demokratie wirksam zu schützen und vor Autokratisierung zu bewahren, braucht es aber noch mehr. Nötig ist ein fundamentales Umdenken in der gesamten Entwicklungspolitik – eine unumgängliche Mammutaufgabe.

Die Forschung zeigt: Entwicklungspolitische Unterstützung in ihrer Gesamtheit verstärkt vorhandene politische Dynamiken. Sie kann Demokratisierung unterstützen – aber auch autokratische Herrschaft indirekt stabilisieren. Im Jahr 2021 flossen laut einer OECD-Studie 79 Prozent aller öffentlichen Entwicklungsgelder weltweit in Autokratien. Machthabende haben durch die Bereitstellung von Entwicklungsfinanzierung mehr finanziellen und damit auch politischen Spielraum, um in Bereiche zu investieren, die ihrem Machtausbau oder -erhalt dienen (Fungibilitätsproblem), zum Beispiel in das Militär. Zudem kann die enge Zusammenarbeit mit staatlichen Partnern die Exekutive legitimieren und damit auch mittelbar die politische Elite eines Landes.

Wenn Entwicklungspolitik also zu Autokratisierung beiträgt, müssten die möglichen politischen Folgen von Entwicklungsprogrammen in ihrer Zielsetzung, Planung und Umsetzung stärker berücksichtigt werden. Zum Beispiel sind große Investitionssummen und Infrastrukturprojekte daraufhin zu prüfen, wie sie sich auf politische Dynamiken vor Ort auswirken können. Bereits jetzt beinhalten Machbarkeits- und Kontextanalysen oft Aspekte wie Menschenrechte, Korruption oder das Eskalationspotenzial von Konflikten. Solche Fragen müssten sich noch gezielter auf politische Prozesse und Machtkonstellationen richten: Welchen Nutzen ziehen Macht­eliten aus einer Investition? Dafür ist auch der Austausch mit regimekritischen Gruppen notwendig. In der Umsetzung muss es einfacher werden, auf schrittweise Veränderungen zu reagieren, zum Beispiel durch adaptive Ansätze.

Werteorientierter Pragmatismus

Demokratien kommen nicht umhin, Entwicklungsziele durch die Kooperation mit Autokratien zu verfolgen. Im globalen Klima- und Umweltschutz spielen beispielsweise Staaten wie China oder die Demokratische Republik Kongo eine tragende Rolle. Doch werden dabei nicht demokratische Werte verraten? Nicht, wenn sich der Kooperationszweck am globalen Gemeinwohl orientiert und die Rolle von Demokratie wohl bedacht ist.

Deutschland, das sein Gemeinwohl weitgehend durch Exporte erwirtschaftet, ist wirtschaftlich auf geostrategische Kooperationen mit Autokratien angewiesen. Pragmatische Beziehungen sind hier notwendig, aber ohne Ausverkauf der Demokratie. Dazu gehört, sich offen zu demokratischen Werten zu bekennen und ihre Verletzung zu verurteilen. Die Kooperation mit geschlossenen Autokratien ohne strategische Relevanz für Deutschland wäre beim wertebasierten Pragmatismus zweitrangig oder würde auslaufen.

Geschlossene und offenere autokratien

Wie beschrieben ist das Spektrum an Autokratien heterogen und bietet unterschiedliche Kooperationsmöglichkeiten. In offeneren Autokratien mit gewissen Beteiligungsmöglichkeiten – etwa in Burkina Faso, Äthiopien oder auf den Philippinen – bestehen Anknüpfungspunkte sowohl für gemeinwohlorientierte als auch demokratiefördernde Maßnahmen. In geschlossenen Autokratien wie Guinea, Myanmar oder Turkmenistan sind die Möglichkeiten beschränkt.

Was aus demokratischer Sicht Anlass zu Optimismus bietet: Auch Autokratisierung ist ein umkehrbarer Prozess. Dies haben etwa Sambia und Südkorea jüngst bewiesen. Wenn demokratische Entwicklungspolitik sich Autokratisierungstendenzen entgegenstellen will, braucht sie dafür aber insbesondere Verbündete in den Partnerländern. Solche Demokratieschützer*innen zu suchen, zu finden und zu unterstützen bleibt deshalb eine wichtige Aufgabe staatlicher Entwicklungspolitik.

Warum Demokratie?

Demokratie wird bisweilen als Ziel von Entwicklungspolitik in Frage gestellt. Es lohnt sich aber, Demokratie und nachhaltige Entwicklung zusammenzudenken:

  • Kooperation: Nachhaltige Entwicklung braucht globale Kooperation. Dass diese verlässlich gelingt, ist unter Demokratien wahrscheinlicher.
  • Gemeinwohl: Studien zeigen, dass demokratische Regime in verschiedenen Bereichen gemeinwohlorientierter sind und bessere Entwicklungsergebnisse erzielen als Autokratien, etwa bei Gesundheit, sozialer Sicherung und Wohlstand.
  • Menschenwürde: Vergleicht man verschiedene politische Regimetypen, so sind Demokratien nicht nur auf dem Papier die Regime, die darauf abzielen, die Würde aller Menschen in gleichem Maße zu schützen. 
     

Literatur

Leininger, J., von Schiller, A., 2023: What works in democracy support? How to fill evidence and usability gaps through evaluation. Evaluation Vol. 29/4.
https://journals.sagepub.com/doi/epub/10.1177/13563890231218276

Roll, M., 2021: Institutional change through development assistance. The comparative advantages of political and adaptive approaches. Bonn, DIE Discussion Paper.
https://www.idos-research.de/discussion-paper/article/institutional-change-through-development-assistance-the-comparative-advantages-of-political-and-adaptive-approaches/

V-Dem Institute, 2023: Case for Democracy Report.
https://v-dem.net/our-work/research-programs/case-for-democracy/

Julia Leininger ist Politikwissenschaftlerin und Leiterin des Forschungsprogramms „Transformation politischer (Un-)Ordnung“ am German Institute of Development and Sustainability (IDOS).
julia.leininger@idos-research.de