Vereinigte Staaten

Die Demokratie in den USA ist in Gefahr

US-Präsident Joe Biden sagte, die Welt stehe in einem Wettstreit zwischen Demokratie und Autokratie. Aber wie schon seine Vorgänger kooperiert auch seine Regierung im Ausland oft mit autoritären Führern. Im Inland untergräbt die Minderheitspartei demokratische Institutionen, um an der Macht zu bleiben.
Der indische Premierminister Narendra Modi und US-Präsident Joe Biden beim G20-Gipfel in Neu-Delhi im September. picture-alliance/Newscom/Press Information Bureau Der indische Premierminister Narendra Modi und US-Präsident Joe Biden beim G20-Gipfel in Neu-Delhi im September.

Seit seinem Wahlkampf gegen den damaligen Präsidenten Donald Trump sprach Joe Biden oft von einem weltweiten „Kampf zwischen Demokratie und Autokratie“. In einer Rede zur Außenpolitik im Jahr 2019 warf er Trump vor, grundlegende demokratische Prinzipien zu missachten und damit die Stellung der USA in der Welt zu gefährden. Statt sich von „Brusttrommeln“ und „Twitter-Wutanfällen“ leiten zu lassen, sollte die US-Außenpolitik „unsere Sicherheit, unseren Wohlstand und unsere demokratischen Werte verteidigen und fördern“.

Schwierig ist, dass Sicherheit, Wohlstand und demokratische Werte oft miteinander in Konflikt geraten. Die USA stellen schon lange nationale Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen über demokratische Belange. Im Kalten Krieg verbündeten sie sich mit Autokraten wie Ferdinand Marcos (Philippinen) und François Duvalier (Haiti), um Kommunismus und sowjetische Einflüsse einzudämmen.

Kompromiss und Eindämmung

Heute gehen die USA ähnliche Kompromisse ein, um China in Schach zu halten. Der indische Premier Narendra Modi verfolgt seine Gegner und brachte das Land einer Einparteienherrschaft näher. Seine Regierung hat die Unabhängigkeit der Justiz ausgehöhlt und die Menschenrechte nichthinduistischer Minderheiten gefährdet. Trotzdem empfing Biden Modi im Juni 2023 im Weißen Haus. Die Länder schlossen trotz Protesten etliche Wirtschaftsverträge ab. Die Regierung Biden sieht Indien militärisch wie ökonomisch als Bollwerk gegen China.

Die USA zeigten sich auch bereit, mit Saudi-Arabien zu kooperieren. Zu Beginn seiner Amtszeit forderte Biden angesichts der Menschenrechtsverletzungen des Landes im Jemenkrieg, Waffenverkäufe an Saudi-Arabien zu stoppen. Sie wurden aber fortgesetzt; noch im September 2023 genehmigte das US-Außenministerium laut Defense Security Cooperation Agency Verkäufe im Wert von 500 Millionen Dollar.

Die Regierung Biden hat wiederholt gezeigt, dass sie Saudi-Arabien für strategisch zu wichtig hält, um die Beziehungen aus moralischen Gründen zu kappen. Die saudische Ölproduktion wirkt sich auf die Benzinpreise in den USA aus – und hohe Benzinpreise könnten Bidens Chancen auf eine Wiederwahl 2024 schaden. US-Beamt*innen setzten sich in letzter Zeit zudem für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel ein, auch um Chinas Einfluss in der Region zu begrenzen. Man wird sehen, ob sich Bidens Bereitschaft, demokratische Werte zu übergehen, lohnt – die Ölpreise sind weiter hoch, und die saudisch-israelischen Beziehungen haben durch den aktuellen Krieg mit der Hamas gelitten.

Wie ihre Vorgänger hat auch die Regierung Biden mit wenig bis gar nicht demokratischen Ländern wie Israel, Ägypten, der Türkei, Polen, den Philippinen und den Vereinigten Arabischen Emiraten kooperiert. Bidens Rhetorik täuscht über den der US-Außenpolitik schon immer eigenen Pragmatismus hinweg. Egal ob Biden vereinfacht oder heuchelt, es wäre gut, Verbündete und Gegner konsequenter zu behandeln und nicht Missstände in einem Land anzuprangern und im anderen zu ignorieren. Vieles wird jedoch durch den demokratischen Rückschritt der USA selbst erschwert. Laut Liberal Democracy Index of Varieties of Democracy, der den größten globalen Datensatz zu Demokratie erstellt, haben die USA im letzten Jahrzehnt eine massive Autokratisierung erlebt. Die Polarisierung und die Versuche einer der beiden großen Parteien, unbedingt an der Macht zu bleiben, verschärfen die strukturellen Defizite der US-Demokratie zusätzlich.

Demokratie in den USA

Trotz der Art und Weise, wie sie sich im Ausland positioniert, hatte die US-Regierung schon immer ein ambivalentes Verhältnis zur Demokratie. Es gibt viele Hürden für eine Mehrheitsregierung. Als das Land im 18. Jahrhundert gegründet wurde, befürchtete die Regierung, die Menschen wären nicht informiert genug, um Kandidat*innen für nationale Ämter direkt zu wählen. Wenn US-Amerikaner*innen ein Staatsoberhaupt wählen, wählen sie eigentlich Wahlleute. In jedem Bundesstaat geben diese ihre Stimme auf Basis der Person, die die Volksabstimmung gewonnen hat, ab. In den meisten Bundesstaaten gilt das „Winner-takes-all“-Prinzip: Gewinnt ein*e Kandidat*in die Volksabstimmung in Florida, so erhält er*sie alle 30 Stimmen der Wahlleute Floridas. Die Stimmen derer, die für den*die unterlegene*n Kandidaten*in gestimmt haben, sind somit im Grunde ungültig. Zudem kann es passieren, dass ein*e Kandidat*in die landesweite Abstimmung gewinnt, aber nicht genügend Stimmen der Wahlleute für die Präsidentschaft erhält. Oder andersherum: Sowohl George W. Bush 2000 als auch Donald Trump 2016 verloren die Volksabstimmung und wurden trotzdem Präsidenten.

Auch im Senat, dem Oberhaus der amerikanischen Legislative, zählen die Stimmen der Bürger*innen nicht gleich. Jedem Bundesstaat sind zwei Senator*innen zugeteilt – weniger bevölkerte Staaten haben somit verglichen mit Staaten mit hoher Bevölkerungszahl unverhältnismäßig viel Einfluss. So vertritt jede*r Senator*in des Bundesstaates Wyoming etwa 290 000 Menschen. In Kalifornien sind es im Gegensatz dazu etwa 20 Millionen Menschen. Trotzdem sind ihre Stimmen im Senat gleich stark. In den letzten Jahren stimmten Bürger*innen der bevölkerungsreicheren Bundesstaaten eher für die Demokraten, die Partei des linken Flügels der USA. Wähler*innen in den bevölkerungsärmeren Staaten tendierten zu den Republikanern, der Partei des rechten Flügels. Da es mehr bevölkerungsarme Bundesstaaten gibt, wurde es für die Republikaner einfacher, eine Minderheit der Amerikaner*innen zu vertreten und dennoch eine Mehrheit im Senat zu haben.

Republikanischer Aufstand

Der strukturelle Vorteil der Republikaner im Senat ist relevant, weil diese Partei auf verschiedenen Wegen versucht, die Demokratie zu untergraben. Im Senat kann die Minderheitspartei mittels der sogenannten Filibuster-Taktik Abstimmungen über strittige Gesetze verzögern. Um eine solche Blockade zu verhindern, braucht es 60 von 100 Stimmen im Senat – eine große Hürde im polarisierten politischen Klima von heute. In der Vergangenheit setzten republikanische Senator*innen den Filibuster etwa ein, um Gesetze gegen Lynchjustiz und Bürgerrechtsgesetze zu blockieren. Kürzlich verhinderten sie einen Gesetzesentwurf zum Wahlrecht, der einige der von den Republikanern abgebauten Schutzmaßnahmen für das Wahlrecht wiederhergestellt hätte. Kritische Stimmen sagen, die Republikaner wollen das Wahlrecht für schwarze und lateinamerikanische Wähler*innen, die eher Demokraten wählen, erschweren. Die Wählerschaft der Republikaner ist meist weiß – der überproportionale Einfluss der Republikaner im Senat bedeutet also auch, dass die Interessen dieser Wähler*innen überrepräsentiert sind.

Republikanische Gesetzgeber wollten besonders die Stimmabgabe nach den Präsidentschaftswahlen 2020 einschränken. Ex-Präsident Donald Trump verlor die Wahlen und die Volksabstimmung gegen Joe Biden. Rechte Gruppen und einige Republikaner*innen akzeptierten das nicht, sondern sprachen von Wahlbetrug. Das Ganze spitzte sich zu, als Trump-Anhänger*innen am 6. Januar 2021 das US-Kapitol stürmten, um eine Auszählung der Stimmen der Wahlleute zu verhindern. Beim schwersten Angriff auf das Gebäude, seit es die Briten im Krieg von 1812 niedergebrannt hatten, wurden fünf Menschen getötet und 140 verwundet. Beweise für Wahlbetrug wurden nicht gefunden. Gegen Trump wurde wegen wiederholter Versuche, das rechtmäßige Wahlergebnis von 2020 zu kippen, Strafanzeige erstattet. Obwohl klar war, dass Trump Verbrechen begangen hatte, brauchte das Rechtssystem sehr lange, um ihn anzuklagen. Es kann sein, dass es nicht gelingt, Trump vor der nächsten Wahl zu verurteilen.

Die Zukunft der US-Demokratie ist schwer vorherzusagen. Einerseits können sich US-Amerikaner*innen mit der Tatsache trösten, dass Wahlbetrug weitgehend eine Fiktion ist. Andererseits ist das Vertrauen in die Integrität der Wahlen erschüttert. Die Republikaner scheinen zunehmend jede Wahl, die sie verlieren, in Frage zu stellen. Trump hat bereits einen Putschversuch unternommen. Wird er nicht zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt, so ist nicht ersichtlich, warum er es nicht erneut versuchen könnte.

Biden kann es sich jedoch weder leisten, die gesamte Republikanische Partei zu verprellen, noch Länder zu ignorieren, die nicht seinen demokratischen Idealen entsprechen. Die Republikanische Partei hat sich von einer Antisklaverei-Partei im 19. Jahrhundert zu einer Verfechterin des Großkapitals und einer schlanken Regierung im 20. Jahrhundert entwickelt und schließlich, im 21. Jahrhundert, zu einem Instrument von Trumps Chaos. Aber nicht alle republikanischen Funktionär*innen und Wähler*innen sind begeistert von seinem Einfluss. Biden hat Bereitschaft gezeigt, auf diese Menschen zuzugehen. Die Demokratische Partei aber hat sich allgemein wenig mit dem Frust befasst, der Trump überhaupt erst an die Macht brachte. Um gegen die Gefährdung der US-Demokratie vorzugehen, müssten beide Parteien ihr Versagen zugeben – das würde die USA auch im Ausland glaubwürdiger machen.

Claire Davis ist freiberufliche Übersetzerin und arbeitet seit 2013 für D+C/E+Z. Derzeit unterrichtet sie außerdem Deutsch an der Truman State University in Missouri, USA.
clairemdavis1983@gmail.com

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