Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Amts- und Regierungsführung

Hebel zur Armutsbekämpfung

Eine Erfolgsgeschichte mit deutscher Unterstützung: Entwicklungsländer dezen­tralisieren Regierungskompetenzen und stärken örtliche Gebietskörperschaften. Beachtlichen Fortschritt gibt es beispielsweise in Afrika.
Democratically elected local leaders play a role even in times of political crisis: Sadou Diallo, the mayor of Gao in northern Mali after returning to his town in January 2013. picture-alliance/abaca/dpa Democratically elected local leaders play a role even in times of political crisis: Sadou Diallo, the mayor of Gao in northern Mali after returning to his town in January 2013.

Am 10. August 2012 feierte die Afrikanische Union (AU) erstmals den „Tag der Dezentralisierung“. Und zum Feiern gab es gute Gründe: der Kontinent hat seit Anfang der 1990er Jahre beeindruckende Fortschritte bei der Modernisierung seiner ehemals stark zentralistischen Staaten gemacht. Dabei zeigte sich, dass Staaten ihr Potenzial besser entfalten konnten, wenn sie über bürgernahe, leistungsfähige und legitime staatliche Strukturen auch fernab der Hauptstadt verfügen.

Im Zuge der Reformen wurde die staatliche Verwaltung in den schnell wachsenden Städten, aber auch in vielen Fällen im ländlichen Raum, auf- und ausgebaut, damit die Bedürfnisse der Bevölkerung besser erfasst und vor Ort schnell zielführende Entscheidungen getroffen werden können. Gleichzeitig wurde die Bevölkerung stärker in den politischen Prozess eingebunden, etwa durch partizipative Planungsprozesse und die Durchführung von Kommunalwahlen. Somit leisten Dezentralisierungsreformen auch einen Beitrag zur Demokratie, zu Rechtssicherheit und zur Stärkung der Menschenrechte (BMZ 2011).

Aber auch außerhalb Afrikas sind die Fortschritte bei den Dezentralisierungsreformen unübersehbar: Von Kambodscha über Moldau bis Bolivien wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten Regionen und Kommunen gestärkt, um eine bürgernahe Entwicklung zu ermöglichen. Und neue Länder beginnen mit den Reformen, wie beispielsweise Tunesien im Zuge des Arabischen Frühlings.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat diese tiefgreifenden Staatsreformen seit der ersten Stunde großzügig, verlässlich und mit einem attraktiven Instrumenten-Mix aus technischer und finanzieller Zusammenarbeit unterstützt. Alleine in Subsahara-Afrika unterstützt Deutschland Dezentralisierungsreformen in 15 Ländern mit einem Gesamtvolumen von fast 400 Millionen Euro. Niemand macht im bilateralen Bereich mehr.

Die deutsche Unterstützung der Reformen gilt nicht zuletzt deshalb als kompetent und glaubwürdig, weil Deutschland Föderalismus, Dezentralisierung und kommunale Selbstverwaltung selbst lebt und eine wichtige Lehre aus der langjährigen Zusammenarbeit mit den Kooperationsländern gezogen hat: Tiefgreifende politische Reformen brauchen einen langen Atem und verlässliche Reformbegleiter, die den landesspezifischen polit-ökonomischen Kontext verstehen und gezielt „Windows of Opportunity“ nutzen, um die Reformen voranzutreiben.  

Deutschland verfügt bei Dezentralisierung über besondere Kompetenz durch seine Geschichte (Stein, Hardenberg) und durch die unterschiedlichen Kommunalsysteme durch die Besatzungszonen in der Nachkriegszeit. Zu praktisch allen Arten von Kommunalverfassungen gibt es in Deutschland eigene praktische Erfahrungen.

Deutschland nimmt heute auch in der internationalen Diskussion zur Förderung von Dezentralisierungsreformen eine Schlüsselrolle ein: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert das Sekretariat der 2006 gegründeten internationalen Geber­arbeitsgruppe zu Dezentralisierung und Local Governance (DeLoG).


Eindeutige Ergebnisse
 
Dass sich das Engagement gelohnt hat, zeigt eine Untersuchung zu Fortschritten bei Dezentralisierungsreformen in 13 Kooperationsländern in Subsahara-Afrika seit 2002. Beeindruckende Entwicklungen werden hier besonders bei denjenigen Ländern sichtbar, in denen die Dezentralisierung vor einem Jahrzehnt noch in den Kinderschuhen steckte, wie etwa Benin, Burkina Faso, Kamerun, Niger und Mosambik.

Da diese Reformen Teil eines weltweiten Trends sind und maßgeblich von der Regierung und der Bevölkerung des Landes getragen werden, stellt sich für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nicht die Frage, ob Dezentralisierung grundsätzlich wünschenswert ist, sondern wie die bereits laufenden Reformen landesspezifisch so ausgestaltet werden können, dass konkrete entwicklungspolitische Wirkungen wie die Reduzierung der absoluten Armut – eine zen­trale Priorität der Bundesregierung – erzielt werden (BMZ 2012).


Erfolgsfaktoren

Die oben erwähnte Untersuchung kann auch wichtige Hinweise für die Ausgestaltung der Dezentralisierungsreformen geben: Allgemein geht ein höherer Dezentralisierungsgrad mit größeren Fortschritten beim Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs) einher. Dieser Zusammenhang ist besonders stark in Ländern, die Dezentralisierungsreformen bereits über einen längeren Zeitraum verfolgen, wie beispielsweise Äthiopien, Ruanda und Senegal. Diese Beobachtung verdeutlicht, dass Dezentralisierung ein unbedingt notwendiger, aber auch langfristiger politischer Prozess ist, der erst nach ungefähr einem Jahrzehnt seine Wirkungen voll entfalten kann.

Ein Erfolgsfaktor für die Armutswirkung von Dezentralisierung ist eine fortgeschrittene Fiskaldezen­tralisierung. Lokale Regierungen sind zur Bedeutungslosigkeit und zu Ineffizienz verurteilt, solange sie nicht über genügend Geld verfügen, um die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen und Bürger mit den notwendigen öffentlichen Dienstleistungen zu versorgen. Bei der „Dezentralisierungswelle“ in den 1980er Jahren in Lateinamerika wurden zum Beispiel viele Probleme kommunalisiert, ohne allerdings die Kommunen finanziell in den Stand zu versetzen, die Probleme auch lösen zu können.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit setzt daher auf kommunaler, regionaler und zentralstaatlicher Ebene an, um die finanzielle Situation der Städte und Gemeinden zu verbessern. Auf lokaler Ebene ist zunächst eine Stärkung der Leistungsfähigkeit der Städte und Gemeinden im Finanzmanagement und bei der Erhebung lokaler Steuern und Gebühren notwendig. Weil diese lokalen Steuereinnahmen aber in der Regel nicht ausreichen, werden in vielen Kooperationsländern nationale Transfermechanismen aufgebaut, die aus dem Staatshaushalt und mit Gebermitteln finanziert werden. Über sie können arme Regionen durch armutsorientierte Verteilungsformeln besonders gefördert werden.

Ein zweiter Erfolgsfaktor ist die Rechenschaftslegung der lokalen Regierungen. Wenn es starke nationale Kontrollinstitute (wie zum Beispiel Rechnungshöfe) und klar geregelte Hierarchie- und Kontrollverhältnisse zwischen lokalen und nationalen Regierungen gibt sowie freie und faire Kommunalwahlen stattfinden, orientieren sich die lokalen Regierungen besonders stark an den Bedürfnissen der Bevölkerung. Aber auch bei öffentlichen Anhörungen oder partizipativen Planungsprozessen können Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen eine wichtige Kontrollfunktion ausüben.

Nicht zuletzt spielen lokale und neue Medien eine wichtige Rolle bei der Erklärung und Kommentierung der Reform und der Aktivitäten der lokalen Regierungen. Die politische Beteiligung auf lokaler Ebene bildet in vielen Fällen auch ein wichtiges Rückgrat der Demokratie in Krisenzeiten. So stellten die demokratisch gewählten Gemeinderäte zeitweilig die einzigen gewählten Regierungen in Niger und Mali nach den jeweiligen Militärputschen im Jahr 2010 beziehungsweise 2012 dar. Das trägt dazu bei, gerade in solchen Situationen eine regierungsferne und menschennahe Entwicklungszusammenarbeit erfolgreich fortzusetzen.

Eine langfristige Überwindung von Einkommensarmut ist nur über nachhaltiges Wirtschaftswachstum möglich. Auch hier kommt der lokalen Ebene in den Kooperationsländern eine große Bedeutung zu. Kommunen können einerseits förderliche Rahmenbedingungen und Beratungsleistungen für die lokale Wirtschaftsentwicklung anbieten (beispielsweise One-stop-shops für die Zulassung von Betrieben, Kataster- und Grundbuchämter zur Verbesserung der Rechtssicherheit für Investitionen, Existenzgründer-Beratung). Andererseits können sie die wirtschaft­liche Infrastruktur verbessern wie beispielsweise durch ländliche Wege, Märkte und Busbahnhöfe.


Schlussbemerkung

Die reformorientierten Kooperationsländer in Sub­sahara-Afrika und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit können also zu Recht stolz darauf sein, welche Armutswirkungen im Rahmen der Dezentralisierungsreform erreicht wurden. Aber es gibt keinen Grund, sich auf diesen Erfolgen auszuruhen. Die Herausforderungen, denen sich diese Länder gegenübersehen, sind nach wie vor sehr groß. Neben der Erreichung der MDGs müssen sich Entwicklungsländer heute auch immer stärker um die ökologische und soziale Nachhaltigkeit ihres Wirtschaftens bemühen, Lösungen für die rasante und oft ungeplante Urbanisierung finden und ihre Länder durch Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel vor den Folgen der Erderwärmung schützen.

Bei all diesen Themen spielen lokale Regierungen und Verwaltungen eine entscheidende Rolle, weil sie die Vielfältigkeit der Herausforderungen vor Ort verstehen und als Schnittstelle zwischen Staat und ­Bevölkerung am besten in der Lage sind, diese anzugehen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit kann hier unterstützend tätig werden. Dafür ist es ­von entscheidender Bedeutung, dass die Reformerfahrungen aus Deutschland und anderen Ländern gemeinsam mit den Partnern so angepasst und weiterentwickelt werden, dass sie den spezifischen sozio-politischen Rahmenbedingungen und Reformphasen in den einzelnen Kooperationsländern optimal Rechnung tragen.

Hans-Jürgen Beerfeltz ist Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung (BMZ).
http://www.bmz.de
 

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