Hindu-Chauvinismus

Warum Südindien Modi ablehnt

Indiens Premierminister Narendra Modi hofft bei den Parlamentswahlen im April und Mai auf seine Wiederwahl. Diese gilt als wahrscheinlich. Doch sein autoritäres Streben nach einer Hindu-Vorherrschaft findet in Südindien kaum Zustimmung.
Dravidische Sprachen sind nicht mit Hindi verwandt, und auch die Schriften unterscheiden sich: Malayalam, Hindi und Englisch auf einem Rauchverbotsschild in einem Bahnhof. picture-alliance/DINODIA Dravidische Sprachen sind nicht mit Hindi verwandt, und auch die Schriften unterscheiden sich: Malayalam, Hindi und Englisch auf einem Rauchverbotsschild in einem Bahnhof.

Im Februar protestierten die führenden Politiker der drei südindischen Bundesstaaten Kerala, Karnataka und Tamil Nadu in Neu-Delhi. Ihre Bundesstaaten erhalten demnach einen zu geringen Anteil an den von der Zentralregierung erhobenen Steuern. In Karnataka fließen nur etwa 15 Prozent an den Bundesstaat zurück. In Tamil Nadu und Kerala sind es 29 und 57 Prozent. 

Bundesstaaten mit Hindi als Hauptsprache profitieren hingegen stark: Bihar, Uttar Pradesh und Madhya Pradesh erhalten von der Zentralregierung zwischen dem Zwei- und Siebenfachen der im jeweiligen Bundesstaat eingenommenen Steuern. 

Die BJP-Partei von Premierminister Narendra Modi ist in diesen nord- und zentralindischen Bundesstaaten stark. Schlechtere Entwicklungsindikatoren und Armut sind dort tendenziell hoch. Die ohnehin große Bevölkerung wächst immer noch schnell, sodass die Wahlen meist dort entschieden werden. 

Landesweit sind die Geburtenraten allerdings leicht unter das Reproduktionsniveau gesunken. Südindiens Bundesstaaten würden also dafür bestraft, Entwicklungsindikatoren und Ziele der Bevölkerungskontrolle effizienter zu erreichen als die Hindi-Bundesstaaten, argumentieren ihre Vertreter*innen. 

Ein Ministerpräsident, der für einen höheren Anteil seines Bundesstaates am Finanztopf protestiert – das Bild war neu und so ungewöhnlich, dass es überregionale TV-Programme verbreiteten. Und das, obwohl die meisten Medien ihre Unabhängigkeit weitgehend an die Zentralregierung abgetreten haben. Dafür erhalten sie Werbeeinnahmen öffentlicher Einrichtungen und werden nicht von Ermittlungs- oder Steuerbehörden schikaniert.

Modis Mandat ist schwächer als es scheint

Modis Mandat ist jedoch schwächer, als es scheint. Bei den Parlamentswahlen 2019 wurde seine Partei nur von 38 Prozent der Wähler*innen unterstützt. Wegen des Mehrheitswahlsystems erreichte er mit 303 von 543 Sitzen dennoch eine komfortable Mehrheit. Dabei ist irrelevant, ob ein*e Kandidat*in die Mehrheit eines Wahlkreises bekommt oder nur mehr als jede*r andere Mitbewerber*in. Fünf Jahre zuvor fielen die Ergebnisse ähnlich aus. 

Modi hat sein Mandat genutzt, um das Land zu verändern. Der Verfassung nach ist Indien ein säkularer Staat. Doch gemäß der chauvinistischen BJP-Ideologie namens Hindutva soll Indien eine Hindu-Nation werden. Islamfeindliche Mobs zetteln strategisch blutige Unruhen an. Die BJP – und die von ihr geführten Institutionen – behandeln Muslim*innen und damit knapp 15 Prozent der Bevölkerung als Bürger*innen zweiter Klasse. Teilweise werden auch Christ*innen ausgegrenzt. 

Modi möchte nun zum dritten Mal Premierminister werden; die diesjährigen Parlamentswahlen finden in mehreren Etappen im April und Mai statt. Dabei brüstet er sich mit seiner antimuslimischen Haltung

Darf man Modi-freundlichen Medien glauben, wird er wohl Erfolg haben. Seine autoritäre Politik würde er dann noch tiefer verankern. Die Hindutva-Propaganda wird derzeit allerdings in einigen Bundesstaaten abgelehnt, insbesondere im Süden des Landes.   

Immerhin ist der Hinduismus in Südindien tief verwurzelt. Hunderte alte und prächtige Tempel stehen dort und ziehen unzählige Gläubige an. Einige sind weltbekannte Touristenattraktionen. Die Legenden und die Historie sind voll von mächtigen hinduistischen Herrschern. 

Südindien ist anders

Es gibt mehrere Gründe, weshalb die Staaten im Süden Modi bisher abgelehnt haben. Die BJP propagiert, Indien sei eine monolithische Nation mit einer einzigen Kultur und Hindi als Amtssprache. In den Augen des Südens ist das schlichtweg falsch. 

Die regionalen Sprachen Südindiens gehören zu den dravidischen Sprachen und sind nicht mit dem indoeuropäischen Hindi verwandt. Die Anti-Hindi-Agitationen reichen bis in die 1930er-Jahre zurück, als die von Chakravarti Rajagopalachari geführte Regierung des Indischen Nationalkongresses in der Provinz Madras (ehemalige südindische Bundesstaaten) Hindi auf Kosten der dravidischen Sprachen förderte. 

Die BJP wird heute als eine nordindische Hindi-Partei angesehen. Ihr gelingt es kaum, den Süden von ihrer „Vision“ zu überzeugen. Sie versteht nicht, dass der Hinduismus des Südens anders ist. Der Süden wurde stark beeinflusst durch den Buddhismus und den Jainismus, die beide das Kastensystem ablehnen, demzufolge Brahman*innen von Geburt an überlegen sind. 

Außerdem hat der Süden viele hinduistische religiöse Reformer*innen, Sänger*innen und Dichter*innen hervorgebracht, die die spirituelle Landschaft nachhaltig geprägt haben. 

Anti-brahmanisches Erbe 

In Tamil Nadu war die Regionalpartei Dravida Munnetra Kazhagam erfolgreich, weil sie sich auf die dravidischen Wurzeln der Region konzentrierte. Dazu gehört eine starke antibrahmanische Tradition, die auf Periyars Dravidische Bewegung vor fast einem Jahrhundert zurückgeht. 

Die Kaste ist in Südindien nicht einfach verschwunden, doch durch die Bewegung etablierte sich eine nichtbrahmanische Führungsschicht in ganz Südindien. Ursprünglich forderte sie eine eigene Nation, die Dravida Nadu heißen sollte. Dazu kam es nicht. Das dravidische Selbstbewusstsein trug aber dazu bei, dass die Verfassung des unabhängigen Indiens nicht eine allmächtige Zentralregierung in Delhi vorsieht, sondern auch den Bundesstaaten eine wichtige Rolle zuteilt. 

Die Regionalparteien betonen, dass die südindischen Hindus mehr mit den südindischen Muslim*innen gemeinsam haben als mit den nordindischen Hindus. 

Jeder Bundesstaat hat seine politischen Eigenheiten. Das ist im Süden nicht anders. Im Küstenstaat Karnataka ist die BJP auf dem Vormarsch, sie regiert sogar den Bundesstaat. Ihre Islamophobie kam jedoch nicht gut an. Für Unmut sorgte etwa ein Hijab-Verbot in der Schule. Hindu-Chauvinist*innen verloren die Wahlen im vergangenen Jahr deutlich. 

Weniger traumatisiert von der Teilung 

Als letztes Mittel droht die BJP im Norden mit einem Krieg gegen Pakistan und einer Annexion von Kaschmir. Auch schürt sie Ressentiments gegen Bangladesch. In Südindien zeigt das aber weniger Wirkung, weil dieser Teil des Landes weniger von der blutigen Teilung 1947 traumatisiert wurde. Als das koloniale Indien aufgeteilt wurde in Indien und Pakistan, starben Hunderttausende durch Gewalt zwischen Hindus und Muslim*innen. Der Süden blieb weitgehend verschont.   

Gemeinsame Sprachen und regionale Traditionen schaffen starke Zugehörigkeitsgefühle. Politische Parteien können sie nutzen, um Gräben vor Ort zuzuschütten und sich gegen den Hindu-Chauvinismus zu wehren. Dabei bedienen sie sich auch faktenbasierter Narrative wie „der Norden gedeiht, indem er den Süden ausplündert“. Sie kursieren schon seit Jahrzehnten, lange vor dem landesweiten Aufstieg der BJP. Die Hoffnung ist berechtigt, dass sie sich in Südindien nicht durchsetzt. 

Krupa Ge ist Journalistin und Schriftstellerin und lebt in Tamil Nadu. 
krupa.ge@gmail.com

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