Soziale Medien
Angriff auf europäische Demokratien aus Nordamerika
X/Twitter gehört Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt. In seinen Posts beleidigt er immer wieder Bundeskanzler Olaf Scholz und Premierminister Keir Starmer. Kürzlich veröffentlichte er ein Gespräch mit AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel, die behauptete, Adolf Hitler sei Kommunist und nicht rechts gewesen. Musk empfahl, AfD zu wählen. Wie rechte Parteien andernorts neigt sie dazu, Interessen begüterter Menschen zu vertreten.
2024 unterstützte Musk Donald Trump im US-Wahlkampf mit 270 Millionen Dollar. Seine Tweets, die Trump priesen, waren gemessen an den Kosten von Werbung auf X vermutlich weitere 100 Millionen Dollar wert. Nachdem Musk Trump im Sommer erstmals ausdrücklich unterstützt hatte, nahm die Beliebtheit der Botschaften von ihm und anderen rechten Stimmen auf X sprunghaft zu. Der australischen Queensland University of Technology zufolge sorgte dafür vermutlich eine Änderung des X-Algorithmus.
Irreführendes Gerede über „freie Rede“
Musk hat bereits demokratische Institutionen in Brasilien attackiert. Jetzt wendet er sich gegen gewählte Regierungen in Berlin und London, die laut ihm Meinungsfreiheit online unterdrücken. Er erwähnt aber nicht, dass Unternehmensalgorithmen steuern, wer welche Botschaft sieht und wie viele Menschen sie erreicht. Er fordert Meinungsfreiheit auch nicht in China, von dessen Diktatur seine Firma Tesla abhängt.
Die EU-Gesetzgebung unterdrückt Meinungsfreiheit mitnichten. Sie dient dazu Risiken wie die Verbreitung von Lügen, Hass und undemokratischer Propaganda einzudämmen. Sehr große Plattformen mit vielen Millionen Nutzenden haben deshalb die Pflicht, Botschaften zu moderieren und gefährliche Posts abzuschalten.
Nachdem Musk Twitter vor zwei Jahren kaufte, wurden Moderationsbemühungen heruntergeschraubt und Accounts von Rechtsextremisten wieder zugelassen. Jetzt, da der Multimilliardär in den Bundestagswahlkampf eingreift, muss die Europäische Kommission ihn zwingen, sich an europäisches Recht zu halten.
Keine Zeit verlieren
Handeln ist dringend geboten. Dazu trägt auch Mark Zuckerberg bei, dessen Konzern Meta Plattformen wie Facebook und Instagram besitzt. Er sagt, Meta werde Musks Beispiel bezüglich Faktenchecks und Moderation folgen. Auch dieser Plutokrat aus Silicon Valley behauptet, es gehe um die Meinungsfreiheit, ohne auf die Rolle der Algorithmen irgendwie einzugehen.
Viele Medien urteilen, Zuckerberg beuge sich opportunistisch Trump, den er nach dem Umsturzversuch vom 6. Januar 2020 zwei Jahre lang von seinen Plattformen verbannt hatte. Es ist aber noch etwas anderes im Spiel. Zuckerberg findet Trump nützlich. Er äußert jedenfalls die Erwartung, die neue US-Regierung werde Druck auf Verbündete ausüben, die soziale Medien regulieren.
Meta-Plattformen sind nicht harmlos. In Myanmar wurden genozidale Botschaften auf Facebook multipliziert. Die Nutzung sozialer Medien gefährdet auch die seelische Gesundheit von Teenagern. Zuckerberg hat sich nie aus eigener Initiative bemüht, derlei abzustellen. Sein Geschäftserfolg hängt davon ab, so viele Menschen wie möglich so lange wie möglich auf seinen Plattformen zu halten. Besonders nützlich sind dafür Posts, die negative Gefühle wie Wut, Neid oder Hass anfachen.
Zuckerberg beendet Faktencheck und Moderation zunächst nur in den USA, würde das aber offensichtlich gern auch in Europa tun. Die EU muss auf ihrer Gesetzgebung beharren. Demokratie erfordert ein Mindestmaß an Vertrauen im öffentlichen Raum. Das, was Musk tut und Zuckerberg gern tun würde, untergräbt es jedoch.
Dystopische Gegenwart
Wie bizarr gesellschaftliches Leben ohne Wahrheitsanspruch wird, haben wir schon vor Trumps zweitem Amtsantritt im Januar gesehen. Los Angeles brannte. Starke Winde fachten die Flammen an, nachdem ungewöhnliche Dürre die Vegetation zu Zündstoff gemacht hatte. Auf sozialen Medien beanstandeten Trump und andere Klimaleugner derweil die angebliche Inkompetenz von gewählten örtlichen Entscheidungstragenden.
Soweit darf es in Europa nicht kommen. Normalerweise werden europäische Demokratien nicht aus Nordamerika angegriffen. Das ist jetzt aber der Fall. Ungewöhnlicherweise ist auch das BRICS Mitglied Brasilien – neben dem ehemaligen EU-Mitglied Britannien – in diesem Konflikt vermutlich der wichtigste Partner der EU. Die Regierung von Präsident Lula da Silva lehnt zwar westliche Hegemonie ab, zeigt sich aber ebenso wie die unabhängige Justiz entschlossen, sich von Digital-Oligarchen nicht gängeln zu lassen.
Hans Dembowski ist ehemaliger Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu
Hans Dembowski is D+C’s former editor-in-chief.
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