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Globale Nationalisten
In vielen Ländern behaupten Rechtspopulisten, sie müssten ihr Volk vor der Ausbeutung durch globale Eliten schützen. Dabei sehen sie „das” Volk als eine kulturell und ethnisch homogene Einheit, die sie selbst definieren. Sie klagen beständig, „das“ Volk werde nicht nur von globalen Eliten bedrängt, sondern zugleich auch von Minderheiten bedroht. Die Rechtspopulisten fordern nationale Souveränität zurück und wenden sich gegen multilaterale Abkommen. Solche Kräfte haben weltweit Zulauf, und in manchen Ländern stellen sie sogar die Regierung – Beispiele sind die USA, Britannien oder die Philippinen.
Reijer Hendrikse und Rodrigo Fernandez, die beiden Autoren der TNI-Studie, stellen die Populisten allerdings in ein ganz anderes Licht. Ihnen zufolge dienen sie den Interessen global agierender Milliardäre, die ihre Vermögen in Steueroasen horten. Wie sie ausführen, bejahen Rechtspopulisten Freihandel und ungehinderte Finanzströme, wenden sich aber gegen Migration, Multilateralismus, Menschenrechte und Demokratie. Offensichtlich profitieren von dieser Politik Offshore-Milliardäre. Den beiden Sozialwissenschaftlern zufolge instrumentalisieren superreiche Strippenzieher populistische Kräfte und heizen damit Nationalismus an. Die Finanzen populistischer Organisationen seien oft undurchsichtig, und ausländisches Geld sei dabei relevant.
Weltweit agierende Medien-Zaren, von denen Fox-News-Eigner Rupert Murdoch vermutlich der bekannteste ist, strecken dem Autorenpaar zufolge derweil ihre „neoliberalen Narrative mit nationalistischem Gift“. Sie predigten Patriotismus, ihre Lebenspraxis entspreche aber „Bürgern von nirgendwo“. Für sie hätten Steuersenkungen immer Vorrang vor Sozialpolitik. Ihre Rhetorik wende sich zwar gegen Eliten, ihre Politikvorschläge täten aber denen nicht weh, die von Steueroasen profitierten.
Souveränität des Kapitals
Laut der TNI-Veröffentlichung ist das Kapital dank Offshore-Finanzplätzen souverän geworden. Dieses Netzwerk beruhe auf bilateralen und multilaterale Abkommen, die souveräne Staaten vereinbart hätten. Das Offshore-Finanzsystem sei somit staatlich erschaffen, entziehe sich aber nun staatlicher Regulierung. Die Autoren sprechen von einem „eigenartig souveränen Geschöpf, das auf ähnliche Weise wie früher imperienpolitisch-ökonomische Macht ausübt“.
Offensichtlich können Milliardäre ihr Geld problemlos von einem Finanzzentrum ins andere verschieben, um Steuern zu vermeiden oder Einfluss geltend zu machen. Die Investitionsentscheidungen von Offshore-Kapitalisten haben immense volkswirtschaftliche Bedeutung. Die beiden Sozialwissenschaftler führen aus, dass sie gern Regierungen gegeneinander ausspielen wollen, aber kein Interesse daran haben, dass Staaten effektive Wirtschaftspolitik implementieren können. Die populistische Rhetorik, die darauf abzielt, „Kontrolle zurückzugewinnen“, sei hohl, denn sie richte sich nicht gegen Plutokraten.
Die Studie sieht die Menschheit heute gespalten. Normalbürger seien Gesetzen unterworfen und zahlten Steuern. Sie hingen von staatlichen Institutionen und Infrastrukturen ab, die in Entwicklungsländern tendenziell schwach sind und in Industrieländern im Zuge der Sparpolitik nach der globalen Finanzkrise zunehmend ausgehöhlt würden. Die Gruppe der Offshore-Milliardäre dagegen zahle keine Steuern und könne gesetzlichen Bestimmungen ausweichen.
Hendrikse und Fernandez formulieren hier keine bloße Verschwörungstheorie. Skandale wie die Lux Leaks oder die Paradise Papers haben die weltweite Relevanz des Offshore-Finanzsystems belegt. Allerdings lässt die kurze TNI-Publikation wichtige Fragen unbeantwortet. So stimmt es sicherlich, dass die Politik von US-Präsident Donald Trump den reichsten Bürgern seines Landes die größten Vorteile bringt – aber ein Freihändler ist er definitiv nicht. Interessieren sich Offshore-Oligarchen für den Handelskrieg zwischen den USA und China? Derzeit mutiert er zu einem Währungskrieg und schränkt mit Sicherheit der Spielraum der unregulierten Kapitalisten ein.
Die TNI- Studie beschäftigt sich gar nicht damit, dass die gesetzlose Finanzelite keine einheitlichen Ziele haben dürfte. Russische Öl-Oligarchen, chinesische Industriebarone und Silicon-Valley-Unternehmer nutzen Steueroasen. Ebenso tun das Erben, Mafiabosse und korrupte Politiker. Sie mögen eine Abneigung gegen staatliche Aufsicht teilen, aber das ergibt noch keine gemeinsame globale Agenda.
Indiens Premierminister Narendra Modi sorgt derzeit für neue Spannungen in Kaschmir. Er ist sicherlich einer der gefährlichsten Rechtspopulisten weltweit. Offensichtlich entspricht es seiner hinduchauvinistischen Ideologie, den einzigen Bundesstaat seines Landes, dessen Bevölkerungsmehrheit muslimisch ist, an die kurze Leine zu nehmen. Autoritäre Politiker zeigen nun einmal gerne Stärke – und zwar besonders, wenn, wie zur Zeit der Fall, ihre Volkswirtschaft schwächelt. Indischen Unternehmern wäre es aber lieber, er kümmerte sich um Wirtschaftsreformen. Seine Pläne, die Steuereinnahmen zu steigern, behagen ihnen gar nicht. Modis Kaschmir-Politik dient also nicht dem Kapital. Ihn für eine Marionette der Offshore-Finanzwelt zu halten wäre naiv.
Link
Hendrikse, R., und Fernandez, R., 2019: Offshore Finance – How Capital Rules the World. Amsterdam, Transnational Institute (pdf mit kompletten Quellenangaben ist in Aussicht gestellt).
http://longreads.tni.org/state-of-power-2019/offshore-finance/