Europäisches Recht

Mit dem DSA will die EU systemische Internetrisiken begrenzen

Mit dem Gesetz über digitale Dienste (DSA – Digital Services Act) geht die EU ernste Probleme der Onlinekommunikation auf innovative Weise an. Unter anderem sollen große Plattformen nicht nur illegale, sondern auch scheußliche Inhalte einhegen.
Die strengsten EU-Regeln gelten für Onlineriesen wie Facebook, Twitter und Google. picture-alliance/NurPhoto/Jakub Porzycki Die strengsten EU-Regeln gelten für Onlineriesen wie Facebook, Twitter und Google.

Erfolg könnte das DSA zum internationalen Vorbild machen. Es ist jedoch sehr vielschichtig, und manche Normen sind nicht klar definiert. Juristen warnen, Gerichte würden viel Arbeit mit der Auslegung bekommen.

Das DSA trat im November 2022 in Kraft, und im Februar 2024 werden alle seine Normen EU-weit gelten. Es soll:

  • sicherstellen, dass der digitale Raum sicher und offen ist, wobei die Grundrechte aller Parteien geschützt werden, und
  • gesunden wirtschaftlichen Wettbewerb ermöglichen, der zu Firmengründung und Innovation ermutigt.

Für den Journalismus und seine demokratischen Funktionen ist die Redefreiheit besonders wichtig. Sie sollte nicht als Erlaubnis zu Lug und Trug missverstanden werden. Zu Recht stützt sich das DSA auf ein nuanciertes Konzept, um Wahrhaftigkeit zu fördern.

Für unterschiedliche Unternehmen gelten dabei unterschiedliche Regeln. Sehr große Onlineplattformen (VLOPs – Very Large Online Platforms) und entsprechende Suchmaschinen (VLSEs – Very Large Search Engines) unterliegen den strengsten Pflichten. „Sehr groß“ heißt, dass sie in der EU monatlich mindestens 45 Millionen Besuchende haben. Da von ihnen die größten Gefahren ausgehen, ist die Sonderbehandlung berechtigt. Müssten alle Firmen denselben Auflagen genügen, hätten die Internetriesen Wettbewerbsvorteile, denn kleine Unternehmen verfügen über deutlich geringere Mittel.

Das DSA gibt Besu­chenden Einfluss auf die Empfehlungsalgorithmen der Platt­formen. Sie müssen die Möglichkeit haben, die Profilbildung mit ihren persönlichen Daten auszuschalten. Außerdem sollten sie möglichst wählen können, welche Art von Information ihnen empfohlen wird.

Zu den DSA-Zielen gehört, illegale Inhalte wie etwa Hassrhetorik zu unterbinden. Allerdings macht es die VLOPs für solche Botschaften nur haftbar, wenn ihnen deren Rechtswidrigkeit bewusst ist. Der Hintergrund ist, dass allzu strenge Haftungsregeln die Plattformen übervorsichtig machen könnten, so dass sie auch zulässige Inhalte unterdrücken könnten. Die VLOPs müssen aber ein leicht verwendbares Meldesystem für problematische Inhalte einrichten und auf dieser Basis offensichtlich Illegales umgehend unsichtbar machen. Dabei sollen sie Hinweisen von Leuten, die schon früher oft zu Recht Warnungen aussprachen, besondere Aufmerksamkeit schenken. Im Zweifel müssen die VLOPs staatliche Stellen informieren. So vereinheitlicht das DSA Regeln, die in manchen Mitgliedsländern bereits gelten.

Scheußlich, aber nicht verboten

Desinformation und Verschwörungstheorien sind nicht in jedem Fall illegal. Das DSA soll sie trotzdem begrenzen. Es führt dafür neue Sorgfaltspflichten ein, wie die Plattformen Inhalte moderieren. Sie tun das bereits nach eigenen Regeln. Das DSA zwingt sie nun, klar zu definieren, welche Inhalte sie erlauben oder verbieten.

Das Gesetz gesteht Privatunternehmen also weiterhin ein, ihre Plattformen nach eigenen Vorstellungen zu betreiben, überlässt die einflussreichen VLOPs aber nicht völlig ihrem eigenen Gutdünken. Um die Rechte der Besuchenden zu schützen, verlangt das DSA, dass die allgemeinen Geschäftsbedingungen unmissverständlich formuliert werden und niemanden diskriminieren. Zudem müssen VLOPs jegliche individuellen Einschränkungen, die sie vornehmen, den Betroffenen nicht nur erklären, sondern ihnen auch eine Widerspruchsmöglichkeit einräumen.

Obendrein soll das DSA auch systemische Risiken reduzieren, die durch die Verbreitung von Desinformation im Internet entstehen. VLOPs müssen deshalb jährlich darüber Bericht erstatten, welche Risiken sie erkennen und wie sie ihre Moderationsstrategien entsprechend ändern. Auf Anfrage müssen die Plattformen europäischen Behörden sowie von diesen akkreditierten Wissenschaftler*innen Einblick in relevante Daten geben.

Juristische Beurteilung

Das DSA legt nicht fest, wann die neuen Transparenzpflichten wichtiger als Geschäftsgeheimnisse (bezüglich etwa der Algorithmen) oder der Datenschutz der Nutzenden sind. Florence G’Sell von der Pariser Universität Sciences-Po bedauert, dass die Vorgaben zur Kontrolle systemischer Risiken und für den Dialog von Unternehmen mit Regulierungsbehörden nicht präziser sind.

Der Juraprofessor Mattias Wendel von der Universität Leipzig erkennt solche Probleme im gesamten Gesetz. Er fragt sich deshalb, ob die EU mit dem DSA gesetzgeberische Verantwortung übernimmt oder doch eher meidet.

Das Grundproblem ist dabei, dass das DSA verschiedene Grundrechte (von Pressefreiheit über Datenschutz bis hin zur Gewerbe- und Vertragsfreiheit) gegeneinander abwägt. Zugleich sollen Profitinteressen mit öffentlichen Gütern austariert werden. Dabei stützt sich das DSA auf unterschiedliche Regelsysteme – von EU-Recht über Gesetze der Mitgliedstaaten bis hin zu den Geschäftsbedingungen von Firmen. Wendel zufolge bleibt vielfach offen, welche Norm in welchem Kontext gilt. Folglich müssten wohl Gerichte viele Fragen in Urteilen klären. Die höchste Instanz ist dann der Europäische Gerichtshof (EuGH).

Die Erfahrung lehrt, dass EU-Recht manchmal auch jenseits europäischer Grenzen Wirkung entfaltet. Erstens wird es gern kopiert. Zweitens erfüllen Internetriesen manchmal die europäischen Regeln aber auch andernorts freiwillig, weil das geschäftlich oder politisch sinnvoll ist.

Wenn staatliche Stellen sich in die Verbreitung von Information einmischen, besteht grundsätzlich Zensurverdacht. Das DSA ist aber vermutlich in dieser Hinsicht unproblematisch, weil es sorgfältig alle Grundrechte abwägt. Die Juraprofessorin Antje von Ungern-Sternberg von der Universität Trier urteilt deshalb, das Ziel sei, „europäische Demokratie(n) zu schützen“ – und das zeige, dass die EU sich nicht nur als „wirtschaftliche Union, sondern auch als politische Union mit gemeinsamen Grundwerten“ verstehe. Sie sieht keinerlei Hinweise dafür, dass „die Meinungsfreiheit beim EuGH nicht in guten Händen“ sei. Von ihm wird letztlich abhängen, was das DSA in der Praxis bedeutet. (Alle juristischen Einschätzungen in diesem Abschnitt sind einer Aufsatzsammlung entnommen, die Ungern-Sternberg kürzlich herausgegeben hat.)

Link
von Ungern-Sternberg, A., Hg., 2023: Content regulation in the European Union.
https://irdt-schriften.uni-trier.de/index.php/irdt/catalog/view/3/3/25