Identitätspolitik

Die blutige Teilung des Subkontinents

Die Teilung Indiens im Jahr 1947 ruft bis heute starke Emotionen hervor. Sie war das Ergebnis einer tief verankerten Identitätspolitik, die ihre Wurzeln im kolonialen Indien hat und Hindus gegen Muslime ausspielt. Die Spaltung des Kolonialreichs führte zu kollektivem Trauma und befeuerte auf allen Seiten der Grenzen religiös-kodierte Identitätspolitik.
Tote der Teilungs­unruhen in Neu-Delhi im August 1947. Tote der Teilungs­unruhen in Neu-Delhi im August 1947.

Indien, das Kronjuwel des britischen Imperiums, erlangte 1947 die Unabhängigkeit. Das führte zur Teilung des Subkontinents – in das mehrheitlich hinduistische Indien und das mehrheitlich muslimische Pakistan. Im Rahmen ihrer Kolonialstrategie hatten die Briten bewusst Hindus und Muslime gegeneinander ausgespielt und Religion zum wichtigsten Identitätsmerkmal gemacht. 1947 führte das zu brutalem Blutvergießen und andauernden seelischen Wunden.

Vor der Unabhängigkeit wurde 1947 eine Grenzkommission eingesetzt. Schwierig war, die Provinzen Bengalen im Osten und Punjab im Westen zu teilen, in denen keine Glaubensgemeinschaft eine klare Bevölkerungsmehrheit stellte, wie das in den meisten Regionen des Subkontinents der Fall war.

Der Vorsitzende der Grenzkommis­sion, der britische Jurist Sir Cyril Radcliffe, hatte fünf Wochen Zeit, um die Grenze zu ziehen. Er war nie in Indien gewesen, konnte aber immerhin einige Gebiete bereisen, bevor er über deren Zukunft entschied. Radcliffe versuchte, religiös homogene Regionen zu schaffen. Teile Punjabs wurden Indien, andere Pakistan. So geschah es auch mit Bengalen, wobei aus dem pakistanischen Gebiet später Bangladesch wurde.

1947 hatte Pakistan zwei Gebiete – ein östliches und ein westliches, die durch die riesige Landmasse Indiens voneinander getrennt waren. Eine Generation später wurde Ostpakistan in einem Befreiungskrieg zu Bangladesch. Die bengalische Bevölkerung hatte außer der Religion tatsächlich kaum Gemeinsamkeiten mit westpakistanischen Menschen. Rückblickend ist klar, dass die Idee eines einheitlichen Pakistans ziemlich absurd war.

Völliges Chaos und Gewalt

Als die Unabhängigkeit Indiens und Pakistans am 17. August bekannt gegeben wurde, brach Chaos aus. Hindus und Muslime, die jahrhundertelang zusammengelebt hatten (wenn auch vermutlich nicht immer harmonisch), wurden auseinandergerissen. Es folgten Plünderung und Brandstiftung. Eigentum wurde zerstört, Frauen wurden vergewaltigt und Kinder ermordet. Es gibt keine zuverlässigen Statistiken, aber Historiker gehen von 15 Millionen Vertriebenen und 2 Millionen Toten aus.

Hindus flohen nach Indien und Muslime nach Pakistan. Manche Männer töteten ihre eigenen Frauen und Kinder, damit sie nicht von Fremden vergewaltigt oder missbraucht werden konnten. Unzählige Menschen begingen Selbstmord, um dem erwartbaren Grauen zu entgehen. Im Punjab fuhren in beiden Richtungen Züge voller Leichen über die neue Grenze.

Überrascht von den neuen Grenzverläufen

Die Krise war besonders tiefgehend, weil es viele Menschen überraschte, auf welcher Seite der Grenze sie sich befanden. In Bengalen dachten die Menschen in den mehrheitlich muslimischen Bezirken Murshidabad und Malda, sie würden zu Pakistan gehören. Stattdessen wurden sie indisch. Manche hatten schon pakistanische Flaggen entrollt. Das überwiegend hinduistische Khulna hingegen war nun Pakistan.

Den britischen Beamten Radcliffe bedrückte die Gewalt nach der Grenzziehung. Die südindische Zeitung „The Hindu“ berichtete 2021, dass er seine Papiere verbrannte, sein Honorar von 40 000 Rupien ablehnte und nie wieder in das Land zurückkehrte.

Millionen von Menschen wurden schwer traumatisiert. Viele hatten ihre Familien und ihr Zuhause verloren. Sie wurden zu Flüchtlingen, die nicht mehr zurückkehren konnten. Wer blieb, wurde Zeuge von Mord und Vergewaltigung. Sowohl in Indien als auch in den beiden Teilen Pakistans trug das Blutvergießen dazu bei, die neue nationale Identität zu definieren. Dass Hindus und Muslime in Frieden zusammenleben könnten, wie sie es jahrhundertelang getan hatten, erschien vielen Menschen nun undenkbar.

Massenhaft traumatisierte Menschen

Die Opferzahlen mögen unzuverlässig sein. Klar ist aber, dass Massen schweres Leid erlitten, das Außenstehende nur schwer verstehen konnten. Die American Psychological Association definiert Trauma als „eine emotionale Reaktion auf ein schreckliches Ereignis wie einen Unfall, eine Vergewaltigung oder eine Naturkatastrophe. Unmittelbar nach dem Ereignis sind Schock und Verleugnung typisch“. Ein Trauma bleibt bestehen und wirkt sich langfristig auf die Menschen aus, indem es oft ihre Fähigkeit einschränkt, zu arbeiten, andere zu unterstützen und mit der Normalität des täglichen Lebens umzugehen. Psychosoziale Unterstützung kann jedoch etwas bewirken, vor allem wenn die Ursachen des Traumas öffentlich anerkannt werden.

Ein kollektives Trauma wirkt sich nicht nur auf den Einzelnen aus, sondern auf die gesamte Gemeinschaft und Gesellschaft. Oftmals sind die Auswirkungen noch lange Zeit zu spüren. Weder in Indien noch in Pakistan hat es systematische institutionelle Anstrengungen zur Aufarbeitung der Tragödie gegeben.

Die Täter von Massakern blieben weitgehend straffrei. Skrupellose Politiker profitieren noch immer davon, Glaubensgemeinschaften gegeneinander auszuspielen. Über die Geschichte der Teilung wird nicht faktenorientiert diskutiert, also wird das kollektive Gedächtnis von der Sicht der jeweils eigenen Gemeinschaft bestimmt. Gern wird übersehen, dass Angehörige der eigenen Glaubensgemeinschaft ebenso brutal vorgegangen sind wie die anderen. Historisch verbürgt ist zudem, dass sich nicht alle an der Gewalt beteiligt haben – und dass Nachbarn manchmal Nachbarn des anderen Glaubens retteten.

Suparna Banerjee  ist Politikwissenschaftlerin und lebt in Frankfurt am Main.
mail.suparnabanerjee@gmail.com

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