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Nepal kann sich zum Besseren wandeln

Weit verbreitete Korruption und die enorme Kluft zwischen dem Lebensstil der Eliten und dem der übrigen Bevölkerung in Nepal haben die landesweiten Proteste der Generation Z mit ausgelöst. Nach der brutalen Gewalt muss das Land zu sich selbst zurückfinden.
Das Parlamentsgebäude in Nepals Hauptstadt Kathmandu wurde während der Proteste im September in Brand gesetzt. picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Prakash Timalsina
Das Parlamentsgebäude in Nepals Hauptstadt Kathmandu wurde während der Proteste im September in Brand gesetzt.

Im September kam es in Nepal zu Protesten und Demonstrationen der Gen Z in nie dagewesenem Ausmaß. Zu den Mitgliedern der Generation Z (Gen Z) zählen circa zwischen 1997 und 2012 Geborene; sie sind generell digital-affin. Internen Berichten des Innenministeriums vom Oktober zufolge kamen dabei mindestens 76 Menschen ums Leben, viele weitere wurden verletzt. Der Schaden wird auf unfassbare 3 Billionen nepalesische Rupien (21 Milliarden US-Dollar) geschätzt, was etwa der Hälfte des BIP des Landes entspricht. Öffentliche Infrastruktur und private Gebäude wurden schwer beschädigt. Besonders betroffen ist die Tourismusbranche. Auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich bereits negative Auswirkungen. 

Die Proteste haben auch Nepals politische Landschaft verändert. Das Bundesparlament wurde aufgelöst, eine Übergangsregierung unter Führung von Sushila Karki, der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, hat das Amt übernommen. Die Wahlen für ein neues Parlament sind für den 5. März 2026 angesetzt.

Viele hoffen, dass die Bewegung der Gen Z den seit 2015 dauernden Kreislauf politischer Instabilität beendet. Seit dieser Zeit wechselte die Macht wiederholt zwischen drei Politikern hin und her: Khadga Prasad Sharma Oli (Kommunistische Partei Nepals – Vereinigte Marxisten-Leninisten), Pushpa Kamal Dahal (Kommunistische Partei Nepals – Maoistisches Zentrum) und Sher Bahadur Deuba (Nepalesischer Kongress). Die Hoffnung ist, dass die Ereignisse einen Generationswechsel in der politischen Führung herbeiführen und eine Demokratie bringen, die den Menschen dienlicher ist.

Zwar scheinen die Proteste die korrupte politische Kultur beendet zu haben, aber es gibt Bedenken, dass der Wandel zu plötzlich gekommen ist. Nepal sollte im November 2026 aus der Kategorie der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries – LDC) der Vereinten Nationen ausscheiden. Das scheint angesichts der aktuellen Umwälzungen unwahrscheinlich. Was das für die Arbeitsmigration und Auslandsbeschäftigung bedeutet, ist noch nicht abzusehen – beide sind wichtig für Nepals Wirtschaft.

Derweil fordern Teile der Gen Z eine neue Übergangsverfassung und eine direkt gewählte Exekutive noch vor den Wahlen im März 2026. Dafür bräuchte es eine grundlegende Änderung des Regierungssystems – wozu die derzeitige Übergangsregierung jedoch nicht befugt ist. Es ist daher wahrscheinlich, dass es zu weiteren Protesten kommt und dass die Verunsicherung bleibt. 

Zerstörung und Chancen

Die Gen-Z-Bewegung in Nepal ist derzeit definitiv ein zweischneidiges Schwert: Sie hat Zerstörung mit sich gebracht, aber auch Chancen für Entwicklung. Motiviert von digitalem Aktivismus und dem Wunsch nach sozialem Wandel kam sie Anfang September ins Rollen, als die Regierung Social-Media-Plattformen verbieten wollte. Das fiel zeitlich zusammen mit einer Empörungswelle im Netz über den extravaganten Lebensstil politisch vernetzter Eliten und ihrer Kinder. Hashtags wie #nepokids und #nepobaby (abgeleitet vom Wort Nepotismus) trendeten auf Online-Plattformen wie TikTok und Reddit und sorgten für Frust über Korruption, Ungleichheit und schlechte Regierungsführung

Am 8. September 2025 organisierten junge Menschen – die meisten davon Studierende – über Plattformen wie Reddit und Discord Anti-Korruptionsproteste in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu und in anderen Großstädten. Die Proteste waren dezentral organisiert und ohne klare Führung.

Die zunächst friedlichen Demonstrationen eskalierten schnell. Die Bereitschaftspolizei versuchte, die Demonstrierenden mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen zu vertreiben, brachte die Proteste aber nicht unter Kontrolle. Als in Kathmandu Demonstrierende versuchten, in das Bundesparlamentsgebäude einzudringen, ging die für die Gebäudesicherheit zuständige Spezialeinheit gewaltsam gegen sie vor und setzte dabei unverhältnismäßig viel Gewalt und scharfe Munition ein. Innerhalb weniger Stunden starben 17 junge Menschen, mehr als 300 wurden verletzt. Viele verfolgten die Tragödie live auf TikTok und anderen Social-Media-Plattformen. Klinikberichten zufolge wurden an diesem Tag landesweit mindestens 19 Demonstrierende getötet. 

Trotz einer von der Regierung verhängten Ausgangssperre gingen tags darauf tausende Menschen auf die Straße und wandten sich gegen die Brutalität der Polizei und die Gleichgültigkeit der Regierung. Die Lage eskalierte dramatisch. Im ganzen Land verwüsteten Demonstrierende Regierungs- und öffentliche Gebäude wie das Bundesparlamentsgebäude und den Obersten Gerichtshof und setzten sie in Brand. Auch Privathäuser von Spitzenpolitiker*innen sowie Einkaufszentren wurden attackiert. Der Premierminister trat zurück, und die Armee wurde eingesetzt, um die Ordnung wiederherzustellen. Viele fürchteten einen Militärputsch, doch die Armee verzichtete auf eine Machtübernahme – ein beruhigendes Signal.

Vertrauensverlust

Während das Land langsam zur Normalität zurückkehrt, versuchen viele zu verstehen, was während dieser ereignisreichen 48 Stunden Anfang September geschehen ist. Das war mehr als politische Unruhe, Vandalismus und Gewalt, mehr als ein Regierungskollaps: Es war auch ein Zusammenbruch der kollektiven Geschichte und des geteilten Identitätsgefühls als nepalesische Staatsbürger*innen.

Beim Wiederaufbau des Landes geht es daher um weit mehr als um Infrastruktur und Gebäude: Es gilt, das kollektive Vertrauen und Gedächtnis wiederherzustellen sowie das Gefühl einer gemeinsamen Identität als stolze und friedliche Nepales*innen. Die Lage vor Ort ist sehr fragil, aber es gibt Hoffnung, dass ein Wandel in Nepal möglich ist. Allerdings müssen Regierung und nepalesische Bevölkerung dafür sorgen, dass die soziale Kluft nicht größer wird.

Rukamanee Maharjan ist Juradozentin an der Tribhuvan-Universität in Kathmandu. 
rukamanee.maharjan@nlc.tu.edu.np 

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