Jugendbewegungen
„Ich bin wütend, weil Kenia für viele nicht funktioniert“
Was hat dich dazu bewogen, dich den Jugendprotesten in Kenia anzuschließen?
Nun, es war das Finanzgesetz 2024. Ich interessierte mich vorher nicht wirklich für das, was in der Politik passierte.
Dann sah ich, dass die öffentlichen Beteiligungsforen, in denen sich Bürger*innen zum Finanzgesetz äußern konnten, völlig ignoriert wurden, und begann zu recherchieren, was das Gesetz genau beinhaltete.
Natürlich war ich mir über den traurigen Zustand unseres Landes im Klaren. Die Lebenshaltungskosten sind in die Höhe geschossen. Die Gesundheitsdienste sind schlecht. Das öffentliche Bildungssystem funktioniert nicht. Vielerorts fehlt es an sanitären Einrichtungen, sauberem Wasser und Strom. Als ich sah, wie viel Geld für den Luxus der politischen Klasse ausgegeben wurde, anstatt den Bedürfnissen der Menschen zu dienen, wurde ich wütend.
Kenia hat mit Schulden zu kämpfen und muss die Staatseinnahmen erhöhen.
Ja, aber die Staatsausgaben sind unausgewogen. So wurde zum Beispiel viel Geld für die Renovierung des Präsidentensitzes ausgegeben. Auch das Büro der First Lady erhält Haushaltsmittel, obwohl sie nicht gewählt wurde.
In den sozialen Medien wurde errechnet, was dieses Geld bewirken könnte. Normalerweise hat die Öffentlichkeit die Möglichkeit, Dinge zu diskutieren, bevor ein Gesetzentwurf in Kraft tritt. Da unsere Einwände völlig ignoriert wurden, sind wir auf die Straße gegangen. Vom ersten Tag an erlebten wir Feindseligkeit von Seiten der Polizei und Arroganz von Seiten der Parlamentsabgeordneten.
Ich bin wütend, weil Kenia für viele seiner Bürger*innen nicht funktioniert. Es funktioniert nur für einige wenige in der politischen Klasse, die nur sich selbst dient, anstatt unser aller Leben zu verbessern.
Was heißt es, in Kenia jung zu sein?
Ich bin 30 Jahre alt, was in Kenia noch jung ist. Wer aus der Mittelschicht kommt, hat einige Möglichkeiten, sich zu entwickeln, soziale Unterstützung, kann seine Grundbedürfnisse befriedigen und sich eine Ausbildung leisten.
Aber sobald man zum Beispiel die Universität verlässt, gibt es kaum Arbeit. Und um die wenigen Stellen, die es gibt, zu bekommen, muss man jemanden kennen oder bestechen. Trotzdem bedeutet die Zugehörigkeit zur Mittelschicht, dass man privilegiert ist, denn auch ohne Arbeit muss man nicht hungern, weil man von seiner Familie oder anderen unterstützt wird.
Gleichzeitig gibt es in Kenia viele junge Menschen aus armen Verhältnissen, die kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten können, geschweige denn eine gute Ausbildung erhalten. Und dann hören wir, dass die Regierung die Steuern erhöhen will, sogar auf Grundnahrungsmittel wie Brot und Speiseöl.
Von denen, die die Möglichkeit dazu haben, entscheiden sich viele dafür, das Land zu verlassen. Aber ich denke, als Kenianer*innen sollten wir die Möglichkeit haben, hierzubleiben und das Beste aus unserem Leben zu machen.
Ein Video, das dich bei den Protesten zeigt, ging im Internet um. Du hast einen Polizeibeamten zur Rede gestellt. Dadurch wurdest du zu einem Gesicht der Bewegung. Wie ist das passiert, und wie hast du dich gefühlt, als du dem Polizisten gegenüberstandst?
Es war am zweiten Tag der Proteste. Am ersten Tag war ich von Polizisten in Zivil verhaftet worden, nachdem ich von meiner Clique getrennt worden war. Wir gehen aus Sicherheitsgründen immer als Gruppe. Ich wurde geschlagen und getreten und bis 20 Uhr auf der zentralen Polizeistation festgehalten. Zu diesem Zeitpunkt gelang es der unabhängigen Law Society of Kenya, die Freilassung von uns allen – wir waren viele – auszuhandeln.
Am nächsten Tag war ich wegen dieses Erlebnisses sehr wütend. Dann wurde ich wieder von drei Polizisten angesprochen, und sie schienen bereit, mich zu schlagen. Ich fragte mich, warum die Polizei auf der falschen Seite steht. Sie sollte doch ihre Mitbürger*innen unterstützen.
Ich hatte Angst, aber ich sagte ihnen, dass die Proteste der Unterstützung unserer Nation dienten und dass ich eigentlich auch da war, um ihre Rechte zu verteidigen. Ich hatte Glück, dass die Leute gefilmt haben. Ich weiß nicht, was sie sonst mit mir gemacht hätten. In dieser Nacht veröffentlichte Larry Madowo von CNN den Clip, und er ging viral. Meine Schwester bemerkte es sofort und markierte mich, aber ich sagte ihr, sie solle die Markierung entfernen. Ich wollte nicht damit in Verbindung gebracht werden. Am nächsten Tag hatten die Leute trotzdem irgendwie beschlossen, dass ich ein Gesicht des Protests geworden war. Schon bald sagten mir die Leute bei Kundgebungen: „Wir sind hier, weil wir dieses Video gesehen haben.“ Ich bin also froh, dass ich die Leute inspiriert habe.
Jetzt hast du dich entschieden, die Rolle anzunehmen, und angefangen, Fernsehinterviews zu geben. Machst du dir Sorgen um deine Sicherheit?
Ja, das tue ich. In diesem Moment wohne ich bei einem Freund, weil man mich vielleicht zu Hause sucht. Ich gehe auch nicht mehr so regelmäßig in das Fitnessstudio, in dem ich als Trainerin arbeite. Mir wurde gesagt, dass ich anscheinend auf einer Liste von Personen stehe, an denen die Sicherheitskräfte interessiert sind.
Ich habe einen kleinen Sohn zu Hause. Ich habe der Person, die auf ihn aufpasst, gesagt, sie solle im Haus bleiben und ihn nicht draußen spielen lassen. Es ist beängstigend, aber ich versuche, mich nicht von der Angst überwältigen zu lassen.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei den Protesten?
Die Weitergabe von Informationen ist die Schlüsselrolle der sozialen Medien. Hätten sich bestimmte Personen nicht dazu entschlossen, die Öffentlichkeit über die Geschehnisse zu informieren, wären viele Menschen im Dunkeln geblieben.
Einige Leute haben Beiträge und Memes verfasst, um auf einfache Weise zu erklären, was die Regierung vorhat und was sie besser machen könnte. Die sozialen Medien dienen auch als Schutz für uns Demonstrierende. In meinem Fall wusste die Polizei, dass die Situation gefilmt wurde. Aber es wurde auch Schaden angerichtet. Einige haben sich in Systeme gehackt und Adressen, Firmen und Handynummern von Abgeordneten veröffentlicht, die für das Finanzgesetz gestimmt hatten. Einige gingen leider so weit, dass sie Firmeneinrichtungen zerstörten oder die Wohnungen von Abgeordneten angriffen. Andere riefen sie ununterbrochen auf Privatanschlüssen an.
Aber alles in allem glaube ich nicht, dass wir so viel erreicht hätten, wenn wir die sozialen Medien nicht genutzt hätten. Ich denke, die Regierung weiß das auch, denn es gab einen Punkt, an dem die Internetverbindung blockiert war.
Inwiefern unterscheiden sich die jüngsten Proteste von den bisherigen?
Die Atmosphäre war feindselig. Die Polizei schien auf Blut aus zu sein. Wenn sie Tränengas einsetzt, zielt sie normalerweise nicht auf Personen, sondern lässt die Kanister fallen und irgendwo explodieren. Letzte Woche richteten sie Tränengaspistolen auf die Menschen. Sie feuerten zudem wahllos Gummigeschosse und scharfe Munition ab.
Es ist bestürzend, dass die Regierung nicht auf die Bürger*innen hört, sondern beschlossen hat, mit solcher Brutalität zu reagieren.
Wie wird sich die Protestbewegung noch entwickeln? Wird sie irgendwann eine Führung wählen müssen? Wie wird sie sicherstellen, dass sie relevant bleibt?
Ich frage mich, wie wir die Proteste fortsetzen können, denn sie sind nicht mehr so wirkungsvoll wie bisher. Immer mehr Menschen werden verletzt oder sogar getötet.
Die Regierung lädt nun zum Dialog ein. Ich fürchte jedoch, dass dies eine Strategie ist, die immer wieder angewandt wird. Sie suchen sich ein paar Leute aus, schütteln ihnen die Hand, und diese Leute beginnen, persönlich von ihren neuen Bekanntschaften zu profitieren. Man kommt ihnen entgegen, und für alle anderen geht es weiter wie bisher.
Wir wollen diese Art von Dialog also nicht. Was wir brauchen, ist offensichtlich, aber die Regierung dreht sich im Kreis. Wir haben das Gefühl, dass uns momentan nichts anderes übrig bleibt, als uns in Form von Protesten zu äußern. Aber angesichts der Brutalität der Regierung fürchte ich, dass wir in der Zwickmühle stecken. Es ist wichtig, dass wir uns weiterhin online treffen, um uns zu überlegen, wie es weitergehen soll.
Wie geht es weiter in Kenia?
Ich habe das Gefühl, dass es eine Menge Grauzonen gibt. Es ist nicht ganz klar, ob das Finanzgesetz wirklich vollständig zurückgezogen wurde. Es wurde jetzt durch das Bewilligungsgesetz ersetzt. Und das Bewilligungsgesetz konzentriert sich nicht so sehr darauf, wie die Regierung zusätzliches Geld bekommen wird. Es wird immer noch eine Menge Geld verschwendet.
Das Kabinett wurde offiziell entlassen, aber es gibt Grund zu der Annahme, dass dieselben Personen zurückkehren werden, vielleicht auf andere Kabinettsposten. Präsident William Ruto hat bewiesen, dass man ihm nicht trauen kann.
Es ist an der Zeit, die Nation von Grund auf neu aufzubauen, mit Werten und Systemen, von denen wir überzeugt sind, dass sie funktionieren werden, unabhängig davon, wer im Amt ist.
Shakira Wafula studiert Sportwissenschaften und ist eine engagierte Bürgerin Kenias.
sfitermined@gmail.com