Waldschutz

Das Ende des vorschnellen Optimismus

Die Vernichtung von Wäldern ist geschätzt für zehn bis 15 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Ein internationales Abkommen zur Reduzierung von Emissionen, die durch Abholzung und zerstörerische Waldnutzung verursacht sind, ist überfällig. Waldschutz darf aber nicht nur auf ökonomische Anreize beschränkt werden. Bessere Regierungsführung und Respekt vor den Rechten lokaler Gemeinschaften, die von natürlichen Ressourcen leben, müssen ebenso berücksichtigt werden.
Industrielle Holzverarbeitung treibt die Abholzung an: Lastwagen in Sabah, Malaysia. Biosphoto/Gunther Michel/Lineair Industrielle Holzverarbeitung treibt die Abholzung an: Lastwagen in Sabah, Malaysia.

Die Idee erschien simpel: Entwicklungsländer reduzieren Abholzung und zerstörerische Waldnutzung. Die reichen Nationen belohnen sie dafür, indem sie für den in den Wäldern gespeicherten Kohlenstoff zahlen. Diese Kohlenstoffguthaben (carbon credits) sollten international gehandelt werden, und Unternehmen reicher Länder könnten damit Emissionsreduktionen erfüllen, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind. Waldschutz wäre somit auch ökonomisch sinnvoll – und sogar lukrativer, als die Bäume einfach zu fällen.

Befürworter hielten das für eine Win-win-win-Situation:

  • Privatunternehmen in Industriestaaten würden profitieren, weil sie Reduktionsziele relativ günstig erreichen könnten.
  • Entwicklungsländer hätten beachtliche Zusatzeinnahmen.
  • Das Klima würde geschützt, da weniger CO2-Emissionen in die Atmosphäre gelangten.


Bis zu 15 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gehen auf die Zerstörung der Wälder zurück – das ist mehr als das, was der gesamte globale Transportsektor zu verantworten hat. Auf diesen Fakt muss reagiert werden. Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) auf dem Gipfel in Bali 2007 setzte Emissionsreduktion durch Entwaldung und zerstörerische Waldnutzung (REDD) auf die Agenda. Ziel war, ein Modell zu finden, um den Wert von gespeichertem Kohlenstoff in Wäldern festzulegen.

Leider ist die Situation nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick schien. Die REDD-Anreize waren fragwürdig: Länder rasanter Entwaldung würden belohnt – solche mit großen Waldbeständen, die ohnehin wenig Bäume fällten, aber kaum.

Deshalb wurde ein neues Konzept entwickelt: Nun sollen Länder dafür belohnt werden, wenn sie Waldzerstörung vermeiden und ihre Bestände erweitern. Um den Unterschied deutlich zu machen, sprechen Experten nun von REDD+. Wegen politischer Kontroversen und technischer Details stocken die Verhandlungen jedoch. Es zeigt sich, dass der Optimismus bezüglich einer einfachen Win-win-win-Lösung vorschnell war.


Rechtsfreie Räume

Es darf nicht vergessen werden, dass Wälder wesentlich mehr sind als Kohlenstoffspeicher. Sie sind für Biodiversität wichtig. Zudem leben Millionen von Menschen in Entwicklungsländern – darunter indigene Völker – von den Wäldern.

Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen waldreichen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas eine klare und gut umgesetzte Gesetzgebung für die Wälder fehlt. Oft überschneiden sich traditionell überlieferte und staatlich definierte Landrechte. Die Einrichtung von Kohlenstoffreservaten kann deshalb zu Konflikten über den Zugang zu Land führen. Diese Auseinandersetzungen kennt man auch von großen Verkäufen von Agrarland („land grabs“).

Im Hinblick auf diese komplexe Situation verfolgen die Geberländer, die ein REDD+-Abkommen befürworten, mehrere Ziele. REDD+ soll nicht nur den Klimawandel vermindern, sondern auch die Biodiversität erhalten und Entwicklung vorantreiben – etwa durch die Verbesserung der Lebensqualität der Landbevölkerung. Um dies zu erreichen, bedarf es Trans­parenz in den REDD+-Programmen, damit die einheimische Bevölkerung sich beteiligen kann.

Dies wiederum rührt an politisch heiklen Themen und hinterfragt fest etablierte Machtstrukturen. Solange die Besitzverhältnisse nicht fair und überzeugend geklärt sind, besteht für benachteiligte Gemeinschaften die Gefahr, durch REDD+-Maßnahmen marginalisiert und sogar vertrieben zu werden.

Wenn REDD+ voll in Kraft tritt, kann es um viel Geld gehen. Mächtige Eliten werden ein gesteigertes Interesse an den Waldressourcen selbst in entlegenen Gegenden entwickeln. Im Waldsektor vieler Länder herrscht Korruption und Gesetzlosigkeit. Werden traditionelle Landrechte nicht anerkannt und wird die Verwaltung der Wälder nicht drastisch verbessert, sieht es düster aus.

Die internationale Polizeiorganisation INTERPOL warnt davor, dass Kohlenstoffhandel Raum für kriminelle Machenschaften gibt. Kohlenstoffguthaben sind immateriell; manche bezeichnen sie als „legale Fiktion“ oder „virtuelle Rohstoffe“. Laut INTERPOL (2013) sind Kohlenstoffmärkte für Finanzbetrug, Veruntreuung und Geldwäsche enorm anfällig.

Die REDD+-Debatte hat internationales Interesse für diese Grundsatzthemen geweckt. Ob und inwieweit globale Klimaverhandlungen hilfreich sind, wird sich zeigen. Es bleiben genügend andere Hürden.


Mangel an Finanzierung

Experten schätzen, dass es rund 30 Milliarden Dollar jährlich kosten würde, die derzeitige Abholzungsrate zu halbieren. Die entwickelten Länder haben den Treibhausgasaufbau in der Atmosphäre weitgehend verschuldet. Daher bestehen viele Entwicklungsländer darauf, dass die reichen Nationen für REDD+ zahlen. So verstehen sie die UNFCCC-Empfehlung von gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten.

Die Regierungen der Industriestaaten geben nur zögerlich Geld. Ihre Budgets sind knapp, und der Sparkurs macht ihnen innenpolitisch zu schaffen. Da großangelegte öffentliche Finanzierung unwahrscheinlich erschien, befürwortete der Klimagipfel in Cancún 2011 „angemessene marktbasierte Ansätze“ ebenso wie „nicht marktbasierte Ansätze“ zur Finanzierung von REDD+.

Ein vollwertiger internationaler Markt für Kohlenstoffguthaben lässt sich nur etablieren, wenn die internationale Gemeinschaft Emissionen effektiv und gesetzlich verpflichtend deckelt. Leider sind die UNFCCC-Verhandlungen weit von einem solchen Abkommen entfernt.

Hinzu kommen technische Schwierigkeiten. Kohlenstoff aus dem Wald ist nicht so leicht messbar, wie Industrieausstöße es sind. Zudem ist es eine enorme methodologische Herausforderung, genaue nationale Grundlagen zu definieren, um REDD+-Ergebnisse messen zu können. Das ist ein politisch heißes Thema, denn künftige Einnahmen hängen von diesen Grundlagen ab. Zusätzlich muss es Garantien geben, die sicherstellen:

  • dass REDD+-Maßnahmen an einem Ort nicht anderswo zu Waldzerstörung führen („leakage“) und
  • dass der durch REDD+-Maßnahmen erreichte Waldschutz von Dauer ist und nicht nur kurzzeitig.


Experten im Privatsektor sehen die Sache nüchtern (Munden 2011). Sie halten die methodologischen Herausforderungen für zu groß, als dass die Kohlenstoffmärkte je so funktionieren könnten wie erhofft. Schlimmer noch: Einkünfte aus den Kohlenstoffmärkten würden vor allem der Finanzwirtschaft zugutekommen.

Angesichts dieser technischen Probleme sind Zweifel angebracht, ob sich über REDD+ fossile Brennstoff-Emissionen wirklich reduzieren lassen. Ausgefeilte und transparente Politik ist nötig, um Manipulation und Missbrauch zu verhindern.

 

Regionales Handeln

Die ursprüngliche Idee war, dass REDD+ landesweit überwacht werden sollte. Dadurch sollten Schlupflöcher innerhalb eines Landes verhindert werden, damit REDD+-Erfolge in einer Region nicht durch Waldzerstörung anderswo im Land kompensiert werden.   

In den Verhandlungen wurde aber klar, dass unter gewissen Bedingungen auch regionale Kohlenstoffmessungen akzeptiert werden können. Befürworter gehen davon aus, dass regionale Instanzen flexibler agieren können. Ein Beispiel dafür bietet der US-Staat Kalifornien, der 2010 einen regionalen Kohlenstoffmarkt in sein Global Warming Solutions Act einführte. Dieses Gesetz zwingt kalifornische Unternehmen, Emissionen zu reduzieren oder Kohlenstoffguthaben unter Einbeziehung von REDD+-Maßnahmen zu kaufen.

Dieses kalifornische Gesetz ist nicht zuletzt auch deshalb wichtig, weil Kalifornien – wäre es ein eigenes Land – die neuntgrößte Ökonomie der Welt wäre. Sein Emissionsrechtehandel wird nur von dem der EU (Emissions Trading System – ETS) übertroffen. ETS sieht aber keine REDD+-Zertifikate vor. Die Gründe sind Schwierigkeiten der Datenerfassung sowie hohe Transaktions- und Verwaltungskosten.

In Kalifornien sollen die ersten REDD+-Guthaben ab 2015 gehandelt werden. Dazu hat sich Kalifornien mit Chiapas in Mexiko und Acre in Brasilien zusammengetan, zwei waldreichen subnationalen Staaten. Ob diese Partner ihre Rolle erfüllen können, wird sich zeigen. Das Thema ist politisch umstritten. Die Regierung von Chiapas hat sich kürzlich aus dem Projekt zurückgezogen. Der Grund: REDD+ gehe die Ursachen der Entwaldung nicht an und gefährde die Lebensgrundlagen der indigenen Bevölkerung. In Acre gibt es ähnliche Bedenken. Eine Protestbewegung fürchtet, REDD+ komme mächtigen Landbesitzern zugute, während indigene und lokale Gemeinschaften leiden müssten.


Der Weg voran

Damit REDD+ gelingt, müssen führende Geber neue Konzepte vorantreiben. Abgesehen von Kohlenstoffspeichern, müssen auch andere Dimensionen des Forstschutzes berücksichtigt werden. Es wäre hilfreich, wenn etwa ein gut durchdachtes Pilotprojekt demonstrieren würde, wie REDD+-Maßnahmen zur Sicherung traditioneller Landrechte und zu gerechter Gewinnverteilung führen können.

Außerdem müssen Strafverfolgung und Justizwesen im Kampf gegen den illegalen Holzeinschlag gestärkt werden. Nach Schätzungen der Weltbank belaufen sich die öffentlichen Kosten für illegalen Holzeinschlag in Entwicklungsländern auf 10 bis 15 Milliarden Dollar pro Jahr. Im Vergleich dazu sind die REDD+-Gelder ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auch die Geberländer müssen ihre Politik hinterfragen. Die Entwaldung in Entwicklungsländern wird besonders durch die internationale Nachfrage – etwa nach Palmöl als Grundlage für Biosprit – angetrieben.

Schlussendlich müssen multilaterale Organisa­tionen kohärent arbeiten. Die Weltbank etwa leitet nicht nur das wichtigste REDD+-Pilotprogramm (siehe Kasten), sie finanziert zugleich auch Projekte, die zu der Art Waldzerstörung beitragen, die REDD+ verhindern soll.

Die Internationale Finanz-Corporation (IFC) liefert ein Paradebeispiel. Dieser Zweig der Weltbank finanziert Investitionen in den Privatsektor und erwägt, industrielle Holzproduktion in Indonesien zu fördern. Bis zu 700 000 Hektar Waldflächen wären davon betroffen – auch in Konfliktregionen wie West-Papua.

Solche Pläne lassen sich nicht mit den Erkenntnissen der unabhängigen Evaluationsgruppe der Weltbank vereinbaren. Diese hat die derzeitige Waldstrategie der Weltbank unter die Lupe genommen und keine Belege dafür gefunden, dass Investitionen im industriellen Holzeinschlag in Tropenwäldern nachhaltig Entwicklung und Umwelt dienen. Andere Weltbank-Projekte – wie etwa große Infrastrukturvorhaben (Staudämme) oder die Ausweitung der Agrarwirtschaft – tragen ebenso mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Entwaldung bei.

All diese Themen müssen auf dem UN-Klimagipfel in Warschau im November diskutiert werden. Es wäre gut, neue Ansätze zu prüfen – wie etwa neue Steuern, um REDD+-Projekte zu finanzieren. Zum Beispiel könnten Einnahmen aus einer Finanztransaktions- oder einer Flugbenzinsteuer für den Waldschutz eingesetzt werden.

Mangel an Geld bedeutet immer auch Mangel an politischem Willen. Wenn die internationale Gemeinschaft wirklich die Wälder und das Klima unserer Erde schützen will, kann sie Mittel und Wege dafür finden.

Trotz aller Hindernisse waren die REDD+-­Gespräche der letzten Jahre hilfreich. Sie haben die Voraussetzungen für Forstschutz wie die Notwendigkeit der Anerkennung traditioneller Rechte in den Mittelpunkt der Debatte gerückt. Wald- und Klimaschutz ist nicht nur möglich, sondern notwendig – und hängt von kohärenten und ganzheitlichen politischen Ansätzen ab.

Korinna Horta arbeitet bei der Umwelt- und Menschenrechts­organisation Urgewald.
korinna.horta@gmail.com