Entwicklungspolitik

Kein Selbstzweck

Die Entwicklungszusammenarbeit ist besser und wirkungsvoller, als viele denken. So urteilt Stephan Exo-Kreischer von der Lobby- und Kampagnenorganisation ONE.
Tansanische Schulmädchen vor einer Gavi-Impfung 2013. picture-alliance/dpa Tansanische Schulmädchen vor einer Gavi-Impfung 2013.

Immer wieder wird die Entwicklungszusammenarbeit kritisiert. Die einen schimpfen über „Geldverschwendung“ und darüber, dass das Geld im Inland doch viel besser investiert sei als im Ausland. Andere wiederum fragen sich, ob sich Investition in Anbetracht der Korruption vielerorts überhaupt lohnt. Wiederum andere behaupten, dass Entwicklungshilfe sogar Armut fördere, indem sie Abhängigkeiten schaffe und Regierungen aus ihren Verpflichtungen entließe. Sie übersehen dabei drei Punkte:

  • Die Entwicklungspolitik hat nachweislich Erfolge zu verzeichnen.
  • Empfängerländer werden in die Pflicht genommen.
  • Entwicklungszusammenarbeit allein kann nicht alle Probleme lösen – vor allem dann nicht, wenn Erfolge durch eine inkohärente Politik in anderen Bereichen zunichtegemacht werden.

Seit 1990 ist der Anteil der Menschen, die weltweit in extremer Armut leben, von 35 auf 10,7 Prozent gesunken. 72 Entwicklungsländer haben das Millennium-Entwicklungsziel der Vereinten Nationen, den Anteil der Hunger leidenden Menschen zu halbieren, erreicht. Knapp 21 Millionen Menschen haben jetzt Zugang zu lebensrettenden Aids-Medikamenten. Das sind über 20 Millionen mehr als 2000. Zum ersten Mal haben mehr Menschen Zugang zu Medikamenten gegen Aids, als es Menschen gibt, die sich neu mit HIV infizieren. Zwischen 2010 und 2016 sank die Zahl der Malaria-Todesfälle um 37 Prozent. Die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Lebensjahr sterben, hat sich seit 1990 mehr als halbiert. 2013 konnten alleine in Subsahara-Afrika 65 Millionen mehr Kinder eine Grundschule besuchen als noch 1999. Dies sind ganz konkrete Erfolge, die ohne Entwicklungshilfe niemals möglich gewesen wären.

Zugegeben, es sind abstrakte Zahlen in Größenordnungen, die schwer vorstellbar sind. Aber hinter jeder Zahl steckt ein Menschenleben. Ich habe im Mai 2017 Connie Mudenda in Sambia kennenlernen dürfen. Connie hat in ihrem Leben drei Kinder an Aids verloren, weil sie keinen Zugang zu den Medikamenten hatte, mit denen eine HIV-Infektion bei der Geburt hätte verhindert werden können. Ich durfte auch Connies fünfjährige Tochter Lubona kennenlernen. Sie lebt wohl nur, weil seit 2012 in Sambia genau diese Medikamente dank internationaler Hilfe zur Verfügung stehen.

Anders als viele denken, funktioniert Entwicklungszusammenarbeit nicht nur so, dass deutsches Geld dafür verwendet wird, irgendwo einen Brunnen zu bohren oder eine Straße zu bauen. Es ist viel komplexer. Viele innovative Lösungsansätze bringen die verschiedensten Akteure an einen Tisch, um die großen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Impf­allianz Gavi. Ziel von Gavi ist es, allen Kindern weltweit Zugang zu Impfungen zu ermöglichen. Noch immer sterben über 20 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten, die durch Impfungen hätten vermieden werden können. Durch die Bündelung der Nachfrage und der daraus resultierenden großen Abnahmemengen an Impfstoffen ist Gavi in der Lage, in Verhandlungen mit Pharmaunternehmen die Preise für Impfstoffe massiv zu senken. Gleichzeitig beteiligen sich alle Länder, in denen Gavi aktiv ist, an den Impfkosten und werden so in die Pflicht genommen. Sie erhöhen ihre Beteiligung mit steigender Wirtschaftskraft, sodass sie langfristig ohne die Unterstützung auskommen. Länder wie Angola oder Kongo-Brazzaville sind auf dem besten Wege dahin. Von 2000 bis Ende 2018 werden insgesamt 700 Millionen Kindern mit Gavis Unterstützung geimpft und damit langfris­tig 10 Millionen Leben gerettet worden sein. Wirkungslosigkeit sieht anders aus.

Womit wir in der Entwicklungspolitik oft konfrontiert werden, ist die Frage, warum wir in Länder investieren sollen, in denen die Mittel ohnehin zu versickern drohen. Korruption ist tatsächlich ein großes Problem. Keine Entwicklungsorganisation, die ihren Auftrag ernst nimmt, würde das bestreiten. Jedes Jahr fließen 89 Milliarden Dollar aus Afrika durch Geldwäsche, faule Geschäfte und Steuerhinterziehung ab. Würde nur ein Teil dieser gestohlenen und hinterzogenen Mittel rechtmäßig versteuert, könnten Entwicklungsländer die dadurch gewonnenen Steuermehreinnahmen für den Kampf gegen extreme Armut verwenden – für Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur.

Die afrikanischen Regierungen stehen hier natürlich in erster Linie in der Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, um Korruption zu bekämpfen. Enthüllungen wie die Panama Papers haben allerdings auch gezeigt, wie das internationale Finanzsystem Steuerhinterziehung und Korruption begünstigt und am Ende die klassischen „Geberländer“ von den illegalen Mittelabflüssen aus Entwicklungsländern profitieren. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Korruption ist zwar auch ein Problem in Afrika, aber kein afrikanisches Problem, sondern ein globales.

Die wirksamste Medizin im Kampf gegen Korruption ist Transparenz. Wenn öffentlich einsehbar ist, wie viel Geld eine Regierung durch Rohstoffverkäufe einnimmt, wie viele Entwicklungsgelder sie erhält und wie viele Steuern große Konzerne in einem Land zahlen, können die Bürger und Bürgerinnen nachvollziehen, was mit diesen Staatseinnahmen eigentlich passiert. Deshalb setzen wir uns bei ONE dafür ein, dass beispielsweise innerhalb der EU, der OECD oder den G20 die politischen Grundlagen geschaffen werden, Strohmannfirmen und illegalen Steuerpraktiken den Nährboden zu entziehen. Die afrikanische Zivilgesellschaft muss in die Lage versetzt werden, von ihren Regierungen Rechenschaft einzufordern. Nur so ist nachhaltiger Fortschritt möglich. Die afrikanischen Regierungen zu besserer Regierungsführung, mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit aufzurufen, während auf internationaler Ebene Maßnahmen zu mehr Transparenz kaum vorankommen, ist – gelinde gesagt – scheinheilig.

Und eines darf man am Ende des Tages auch nicht vergessen: Entwicklungszusammenarbeit kann nur dann Erfolg haben, wenn andere Politikfelder ebenfalls im Sinne einer partnerschaftlichen Politik agieren. Wenn afrikanische Ökonomien sich nicht ausreichend diversifizieren können, um die lokale Wertschöpfung zu fördern, dann liegt das oftmals auch an einer hinderlichen Handelspolitik. Solange die EU weiterhin afrikanische Märkte mit hochsubventionierten Agrarprodukten überschwemmt, braucht es niemanden zu wundern, dass lokale Bauernfamilien das Nachsehen haben, wenn sie ihre Produkte nicht zu den europäischen Kampfpreisen anbieten können.

Entwicklungshilfe ist sicher kein Allheilmittel, aber ohne sie stünden wir auf der ganzen Welt, nicht nur in Entwicklungsländern, deutlich schlechter da. Am Ende geht es um Menschen wie die fünfjährige Lubona. Sie steht stellvertretend für tausende Kinder, die nur dank internationaler Zusammenarbeit leben. Ein besseres Argument für unsere Arbeit kann ich mir nicht vorstellen.


Stephan Exo-Kreischer leitet das Deutschland-Büro von ONE, der internationalen Lobby- und Kampagnenorganisation.
https://www.one.org/de
Twitter: @BueroBerlin