Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Unsere Sicht

Die zentrale Entwicklungsaufgabe

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang der Wiederaufbau Westeuropas erstaunlich schnell. Zu sagen, ein paar großzügige Infrastrukturkredite hätten gereicht, um ihn in Gang zu setzen, ist nicht allzu übertrieben. Westdeutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande – alle erlebten drei Jahrzehnte lang Wirtschaftswunder.
Teilnehmende einer SDG-Konferenz 2019 in Kigali. Cyril Ndegeya/picture-alliance/Xinhua News Agency Teilnehmende einer SDG-Konferenz 2019 in Kigali.

Westliche Politiker dachten dann, Infrastrukturdarlehen könnten ähnlich spektakuläre Erfolge in den Ländern auslösen, die sie für „unter“-entwickelt hielten. Die Infrastrukturdarlehen sollten ehemalige Kolonien in Afrika, Asien und Lateinamerika gegen kommunistische Versuchungen immunisieren. Das funktionierte aber nicht. Allzu viele Länder brauchten ständig neue Kredite, ohne ihren Lebensstandard zu steigern. Ab Ende der 1970er Jahre wurde Überschuldung zu einem riesigen Problem.

Genetisch sind Menschen überall gleich programmiert. Es gibt keinen biologischen Grund, weshalb Entwicklung in Afrika weniger glattlief als Wiederaufbau in Europa. Völlig unterschiedlich aber war die Gesellschaftsstruktur, und das ist teils bis heute so. Europas Nationen waren - ob sie auf der Seite der Nazis oder der Siegermächte gestanden hatten - funktional differenziert. Das bedeutet, dass soziale Funktionssysteme eigenlogisch operieren. Es gab  professionelle Rechtssysteme, kompetente Verwaltungen, allgemeine Schulpflicht, funktionierende Kapitalmärkte, forschungsfähige Universitäten, allgemeine Krankenversorgung und so weiter. Weder Feudal- noch Kolonialherren bauen derlei in ausreichendem Maße auf.

Einigen Ländern gelang es, mit Entwicklungskrediten die funktionale Differenzierung voranzutreiben. Südkorea ist ein Beispiel, und es gehört nun als Demokratie zum Club der reichen Nationen. Typisch war aber ein anderes Szenario. Allzu oft übernahm eine kleine Elite die Kontrolle des kaum reformierten kolonialen Staatsapparats und beutete das jeweilge Land aus. Volkswirtschaften blieben auf Rohstoffproduktion ausgerichtet, Korruption  weit verbreitet und Gesundheits- und Bildungswesen vernachlässigt.

Manche orthodoxen Ökonomen wollen das nicht wahrhaben, aber ohne angemessene gesellschaftliche Einbettung florieren Märkte nun mal nicht. Sie brauchen ein Mindestmaß an Rechtssicherheit, solider Regierungsführung, sozialer Sicherung und so weiter.

Seit den Wirtschaftswundern haben die ständig weiter gewachsenen  Volkswirtschaften der reichen Nationen derweil neue Probleme geschaffen. Das bedrohlichste ist Umweltzerstörung. Allein schon wegen der immensen CO2-Emissionen müssen wir heute die reichsten Länder als überentwickelt bezeichnen. Die destruktiven Trends gilt es zu stoppen, wenn unsere Spezies eine gute Zukunft haben soll.

Dass die UN 2015 die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) beschlossen, war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Diese Agenda ist sehr anspruchsvoll,  im Prinzip aber machbar. Wir brauchen dafür starke und kompetente Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene. Sie zu schaffen ist die zentrale Entwicklungsaufgabe. Armut lässt sich nur mit dynamischen Volkswirtschaften beenden - und ohne Einbettung in die nötigen Institutionenlandschaft kann es nicht gelingen.


Hans Dembowski ist Chefredakteur bei E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu