Unsere Sicht

Allzu schlanke Staaten brauchen mehr Finanzkraft

Wir leben in einer Ära spektakulären Marktversagens. Erderhitzung und Artenschwund sind Resultate von Transaktionen, bei denen weder Käufer noch Verkäufer für die Kosten externer Wirkungen aufkommen – und das bedroht die Zukunft unserer gesamten Spezies. Um die Probleme in den Griff zu bekommen, müssen Staaten Märkte regulieren, in nachhaltige Infrastruktur investieren und Schäden reparieren.Dennoch halten manche an dem Dogma fest, Markt sei immer besser als Staat, also müsse Regierungshandeln minimal ausfallen.

Wir leben in einer Ära spektakulären Marktversagens. Erderhitzung und Artenschwund sind Resultate von Transaktionen, bei denen weder Käufer noch Verkäufer für die Kosten externer Wirkungen aufkommen – und das bedroht die Zukunft unserer gesamten Spezies. Um die Probleme in den Griff zu bekommen, müssen Staaten Märkte regulieren, in nachhaltige Infrastruktur investieren und Schäden reparieren.Dennoch halten manche an dem Dogma fest, Markt sei immer besser als Staat, also müsse Regierungshandeln minimal ausfallen. 

Diese Ideologie ist seit den frühen 1980er Jahren wirkmächtig. Damals trug die britische Premierministerin Margaret Thatcher viel dazu bei, sie zum internationalen Paradigma zu machen. Vielleicht markieren die wenigen Wochen von Liz Truss im selben Amt 2022 wieder eine Zeitenwende.

Wie Thatcher wollte Truss Finanzanleger mit Steuersenkungen beeindrucken. Unerlässliche Staatsleistungen wollte sie mit Schulden finanzieren. Sie hoffte, die Aussicht auf hohe Gewinne werde Investoren nach Britannien locken. Stattdessen reagierten die Märkte alarmiert. Die Zentralbank musste die Leitzinsen erhöhen, um das Pfund zu stabilisieren. Sie verteuerte damit sowohl realwirtschaftliche Investitionen als auch die staatliche Kreditaufnahme, was Budgetengpässe weiter auf längere Zeit weiter verengt.

Inflation verschärft Mehrfachkrise

Die Inflation verschärft die multiplen Krisen, die wir erleben. Die Corona-Pandemie führte zu ökonomischen Verwerfungen und Russlands Angriff auf die Ukraine hat die Lage verschlimmert. Wir wissen nun, wie teuer es werden kann, wenn Gesundheitswesen und Pandemievorsorge vernachlässigt werden. Es gibt aber auch keine Friedensdividende wie nach dem kalten Krieg mehr.

In Zeiten wachsender Not werden Sozialausgaben wichtiger. Der Militäraufwand steigt vielerorts. Subventionen, die Firmen harte Zeiten überstehen helfen, sind auch nötig. Also steigen Staatsschulden derzeit. Das ist in Entwicklungsländern besonders problematisch, aber letztlich fehlt allen Regierungen die nötige Finanzkraft. Sie müssen sich also Gedanken über Steuerpolitik und mögliche Staatsinsolvenzen machen – sowie darüber, wie dringende Investitionen trotz Zinsen möglich bleiben können.

Um globale Probleme zu lösen, ist internationale Zusammenarbeit nötig. Leider ist die komplexe und fragmentierte Landschaft multilaterale Institutionen nicht ausreichend funktionstüchtig (siehe Anna-Katharina Hornidge auf www.dandc.eu). Sie hängen von den Nationalstaaten ab, und ein einzelnes Land kann globalen Konsens sabotieren. Obendrein sind die Animositäten zwischen Großmächten gewachsen, sodass multilaterale Politik kleinteilig und inkremental bleiben dürfte.

Nationalistischer Egoismus ist inakzeptabel

Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass nationalistischer Egoismus, wie Russland ihn gewaltsam demonstriert, inakzeptabel ist. Der Ukrainekrieg verschärft alle globalen Probleme und ist deshalb ein Angriff auf die gesamte Menschheit (siehe einen früheren Beitrag von mir auf dieser Website).

Offensichtlich ist auch die Brexit-Version von nationalistischem Egoismus schädlich. Die Kampagne für den EU-Austritt war – gesponsert von Superreichen, die andere glauben machten, die EU beeinträchtige ihren Wohlstand – ein Beispiel von Oligarchenpopulismus (siehe einen weiteren früheren Beitrag von mir). Tatsächlich mögen diese Multimillionäre europaweite Bestimmungen nicht, die negative Nebenwirkungen wirtschaftlichen Handelns begrenzen. Sie hofften, einen internationalen Wettlauf nach unten auszulösen. Zum Glück haben die Finanzmärkte nicht mitgespielt.

Wir brauchen keine superschlanke Staaten. Wir brauchen handlungsfähige und verantwortungsvolle Regierungen.

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu