Klimapolitik

Klimagerechtigkeit nicht Marktkräften überlassen

Weltweit werden diverse Green Deals formuliert. Angesichts großer Gefahren ist das zu wenig.
Neu-Delhi, September 2021: Teilnehmerin am globalen Klimastreik picture alliance / abaca / Akash Anshuman Neu-Delhi, September 2021: Teilnehmerin am globalen Klimastreik

Wissenschaftlich ist völlig klar, dass die eskalierende Klimakrise die Menschheit in die Katastrophe führt. Seit langem bestätigen das die Berichte des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC), wobei der Ausblick immer bedrohlicher wird. Im sechsten Assessment Report des IPCC waren selbst die optimistischen Szenarien düster. Nie zuvor gab es solche Anstrengungen, alle einschlägigen Studien weltweit zu erfassen. Aber erstaunlicherweise reagiert die Politik nicht mit überzeugenden und wirksamen Konzepten.

Politiker wissen, worum es geht. Dafür sorgen die jährlichen UN-Klimagipfel. 200 Länder nahmen im November an dem wegen Corona um ein Jahr vertagten Glasgower Spitzentreffen teil. Die Medien berichteten darüber, was uns droht und was dagegen getan werden muss. Dennoch konstatierte UN-Generalsekretär Antonio Guterres: „Unser fragiler Planet hängt an einem  seidenen Faden.“ Ohne schnelles Umschalten in den Katastrophenmodus werde die Chance, Null-Emission zu erreichen, selbst auf null sinken. 

Markt-Okkultismus 

Es sind sehr mächtige Kräfte am Werk. Diejenigen, die vom fossilen Kapitalismus profitieren, drängen die Menschheit an den Abgrund. Profit hat für Konzerne Priorität, nicht das Gemeinwohl. Markt-Orthodoxie diskreditiert derweil Staatshandeln. Ob gewählt oder nicht, die Regierungen in Nord und Süd scheinen einem Kult verfallen, der die Privatwirtschaft preist.

Die zentrale Aufgabe ist, die gesamte Wirtschaftstätigkeit auf einen Nachhaltigkeitspfad zu bringen. Dafür ist entschlossenes Handeln nötig. Nur richtige Marktanreize zu setzen, wird nicht reichen. Dennoch verharrt die multilaterale Politik in Paradigmen, die Konzernmacht weder infrage stellen noch stimmig regulieren.

Derweil ändert sich die Unternehmensrhetorik durchaus. Der Finanzmarktgigant BlackRock fordert mittlerweile mehr Staatsaufwand für Klimaschutz. Viele multinationale Konzerne haben inzwischen Nachhaltigkeitsstrategien. Weil es aber keine Kriterien gibt, um Greenwashing aufzudecken, bringt das alles nicht viel.

Wir brauchen eine Transformation der Weltwirtschaft – angeboten werden stattdessen elegante PR-Broschüren und einige neue Geschäftsmodelle, von denen manche vermutlich nützlich sind, andere  zum Eintreiben von Subventionen dienen und wieder andere wohl Schaden stiften. Um nur einen Schwachpunkt zu nennen: Viele Unternehmen wollen mit Aufforstung ihre Treibhausgasemissionen ausgleichen. Was für einzelne Firmen funktionieren kann, ist aber nicht für alle möglich. Dafür fehlt ganz einfach der Platz auf dieser Erde.

Green Deals 

Das, was bislang auf der politischen Agenda steht, reicht nicht. International entstehen immer mehr Green Deals. Sie bleiben aber hinter dem zurück, was nötig ist. Grundsätzlich wird versucht, dem Beispiel von US-Präsident Franklin D. Roosevelt zu folgen. Mit umfangreichen Staatsausgaben schuf sein New Deal neue Infrastruktur und neue Arbeitsplätze, womit er die Depression der 1930er Jahre beendete.

Aktuelle Konzepte verbinden oft Konjunkturpolitik wegen Covid-19 mit Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit. Leider überzeugen viele davon nicht. Im Fall der USA stecken die Vorschläge von Präsident Joe Biden im Senat fest (siehe Katie Cashman auf www.dandc.eu), und selbst ihre Umsetzung würde die USA noch nicht nachhaltig zu machen. Im Rahmen ihres European Green Deal hat die EU kürzlich Atomkraft und Gas als „nachhaltig“ anerkannt. Dabei sorgt Atomkraft für weiterhin ungelöste Problem mit radioaktivem Müll, und Gas ist ein fossiler Brennstoff. Beobachter in ärmeren Weltgegenden erkennen klar, dass diejenigen, die weltweite Führungsrollen beanspruchen, zu Hause ihren exzessiven Ressourcenkonsum nicht beenden.

Verstörenderweise verharren die Green Deals auch in konventioneller Wirtschaftsdogmatik. Sie stellen die kumulative Gier des Kapitalismus nicht infrage. Sie ist jedoch der schlimmste Umweltzerstörer überhaupt. Allzu gern wird missachtet, dass auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen kein unbegrenztes Wachstum möglich ist. Derweil stützen sich Green Deals auf Öko-Anleihen, CO2-Credits und andere Finanzinstrumente, die  weitere Kapitalakkumulation ermöglichen. Dieser infantile Marktglaube ist unpolitisch und unhistorisch.

Natürlich sind nicht alle Konzepte gleich schwach. Einige Green Deals greifen progressive Ideen auf, um Ungleichheit zu reduzieren und soziale Gerechtigkeit zu stärken. Es gibt sinnvolle Ansätze, um ökologische und gesellschaftliche Probleme im ökosozialistischem Sinne gleichzeitig zu lösen. Autoren wie Max Ajl (2021), John Bellamy Foster (2020) und Tom Perez (2021) haben darüber kluge Bücher geschrieben. 

Globale Ungleichheit 

Angesichts eklatanter Ungleichheit und eskalierender ökologischer Gefahren braucht die Menschheit zweifellos globale Politik. Ein ernsthafter weltweiter Green Deal im Dienst von Klimagerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit wäre gut. Wir haben leider kein Global-Governance-System, das so etwas konzipieren, beschließen und umsetzen könnte. Wir haben nur eine Vielfalt multilateraler Institutionen mit unterschiedlichen Aufträgen und Eigentümerstrukturen, von denen viele den Anforderungen nicht gerecht werden.

Die Klimarahmenkonvention (UNFCCC – UN Framework Convention on Climate Change) ist dafür ein gutes Beispiel. Sie wurde vor drei Jahrzehnten beschlossen, und die jährlichen Klimagipfel sollen sie weiter entwickeln und umsetzen. Trotz gewisser kleiner Fortschritte rasen wir aber weiterhin auf die ökologische Katastrophe zu.

Klimagerechtigkeit ist ein globales Anliegen. Bislang leiden Länder mit niedrigen Einkommen – und dort die Armen – am stärksten unter Klimaschäden. Länder mit hohen Einkommen, welche die Atmosphären in viel höherem Maße belastet haben, verfügen derweil über mehr Möglichkeiten, sich an den ökologischen Wandel anzupassen. Der globalen Gerechtigkeit hilft es nicht, dass sie in multilateralen Kontexten unverhältnismäßig einflussreich sind, jedoch oft Versprechen nicht halten (siehe Saleemul Huq auf www.dandc.eu).

Wenn der durchschnittliche Temperaturanstieg weltweit unter 1,5 Grad bleiben soll, muss die Menschheit ein CO2-Budget einhalten. Etwa 70 Prozent davon hat eine Handvoll reicher Länder im globalen Norden schon emittiert. Mittlerweile gehört auch China zu den großen Verbrennern. Was ist mit den 70 Prozent der Weltbevölkerung, die in anderen, tendenziell südlichen Ländern mit weit anspruchsloseren Konsumgewohnheiten leben?

Runterfahren statt auslaufen lassen

Das ist der Kontext, in dem das Beharren der indischen Regierung auf der Weiterverwendung von Kohle verständlich wird. Sie hat viel Kritik abbekommen, weil sie dafür sorgte, dass im Schlussdokument von Glasgow vom „Runterfahren“ der Kohle, aber nicht von ihrem „Auslaufen“ die Rede ist. Premierminister Narendra Modi ist sicherlich kein Held der sozialen Gerechtigkeit, und im Inneren vernachlässigt seine hinduistische Identitätspolitik die Minderheiten. An seiner Politik lässt sich viel aussetzen. Die Haltung seiner Regierung in Glasgow war aber stimmig. Ländern mit niedrigen und niedrigen mittleren Einkommen darf nicht die Hauptlast des Klimaschutzes aufgebürdet werden. Wenn Europa weiterhin Gas braucht, braucht Indien ganz bestimmt weiterhin Kohle. 

Wir stehen vor großen und vielschichtigen Herausforderungen. In einem kurzen Aufsatz lässt sich nicht alles ausführen. Dass wir entschlossenes Handeln brauchen und technokratische Marktinterventionen nicht reichen, ist aber offensichtlich. Schädliche Produktions- und Konsumgewohnheiten müssen verboten werden. Zudem dürfen benachteiligte Gemeinschaften nicht noch weiter zurückfallen. Wir brauchen ökologische und soziale Gerechtigkeit.  

Weltweit wehren sich Menschen in großen und kleinen sozialen Bewegungen. Sie fordern soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz. Die Klimastreiks, welche die schwedische Teenagerin Greta Thunberg initiiert hat, zeigen, dass es überall besorgte Menschen gibt. Ihr Engagement macht Mut,  denn Weltuntergangsstimmung hilft nicht. Die nötige Wende ist aber noch längst nicht erreicht. Thunberg lag nicht falsch, als sie den Glasgow-Gipfel kurz mit „weiteres Blablabla“ zusammenfasste.


Links

Ajl, M., 2021: A people’s green new deal. London, Pluto Press.

Foster, J. B., 2020: Return of nature: socialism and ecology. New York, NYU Press.

Perez, T., 2021: Green new deals in a time of pandemics. Barcelona, ODG – free download at:
https://odg.cat/wp-content/uploads/2021/02/GREENDEALS-ENG_ONLINE.pdf


Praveen Jha ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi.
praveenjha2005@gmail.com