Ökologische Strukturpolitik

Armutsminderung und ökologische Transformation zugleich

Entwicklungsländer stehen vor der Aufgabe eines doppelten Strukturwandels: Um Armut zu überwinden, müssen sie neue Wirtschaftsaktivitäten mit produktiven Jobs schaffen. Zugleich müssen sie auf eine ressourcenschonende Produktion umstellen. Wie die dafür erforderliche ökologische Strukturpolitik aussehen kann, zeigt ein neuer Bericht.
Recycling wie hier in Kapstadt, Südafrika, muss in einer ökologischen Wirtschaftsweise mehr Bedeutung erlangen. Ulrich Doering/Lineair Recycling wie hier in Kapstadt, Südafrika, muss in einer ökologischen Wirtschaftsweise mehr Bedeutung erlangen.

Entwicklungsländer müssen ihre Volkswirtschaften so modernisieren, dass die Erwerbsbevölkerung hinreichend produktiv tätig werden kann, um einen angemessenen Lebensstandard zu haben, und genügend Steuern generiert , um öffentliche Dienstleistungen zu finanzieren. Zugleich muss die Weltwirtschaft angesichts der globalen Erderwärmung und anderer Umweltprobleme in den nächsten Jahren radikal reorganisiert werden. Das bedeutet: Wirtschaftswachstum und Wohlstandsmehrung müssen vom Ressourcenverbrauch entkoppelt und Emissionen auf ein Minimum reduziert werden.

Zwar liegen diesbezüglich historische Verantwortung und Handlungsdruck in erster Linie bei den Industrieländern; aber auch Entwicklungsländer müssen sich von einer Wirtschaftsweise verabschieden, die auf der Verbrennung fossiler Energieträger basiert. Auch sie müssen Ressourceneffizienz zum Grundprinzip machen, Kreislaufsysteme entwickeln und über Alternativen zur Steigerung des Bruttoinlandsprodukts als zentralem Wirtschaftsindikator nachdenken. Die Grundidee „nachholender Entwicklung“, ein „Catching Up“ mit den heutigen Industrieländern als Vorbild, taugt nicht mehr als Leitbild wirtschaftlicher Entwicklung.

Kein einziges Land der Welt hat es bisher geschafft, ein annehmbares Niveau menschlicher Entwicklung zu erreichen, ohne seine vorhandenen Ressourcen übermäßig auszubeuten. Die Analysen des Global Footprint Network zeigen, dass alle Länder mit einem mittleren oder hohen Human Development Index ökologisch über ihre Verhältnisse leben. Umgekehrt befinden sich alle Länder, deren Ressourcenverbrauch noch im Rahmen der ökologischen Tragfähigkeitsgrenzen liegt, in Bezug auf menschliche Entwicklung auf einem inakzeptabel niedrigen Stand.

Der neue internationale Bericht „Green industrial policy – concept, policies, country experiences“ zeigt nun eine alternative Politik auf. Den Titel ‚Green industrial policy‘ übersetzen wir mit „ökologische Strukturpolitik“, um Missverständnissen vorzubeugen: „Industrial policy“ beschreibt Maßnahmen zur Gestaltung des Strukturwandels – in diesem Falle in Richtung ökologischer, nachhaltiger Branchen –, nicht Industrialisierung im engeren Sinne. An dem Report arbeiteten fünf internationale Organisationen (UN Environment, UNIDO, UNDP, ILO und UNITAR) mit dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zusammen.


Verknüpfung von Wirtschaft und Ökologie

Der große Mehrwert des Berichts liegt darin, dass er zwei bisher weitgehend unverknüpfte Wissensbereiche zusammenführt: die Diskussion über wirtschaftspolitische Strategien von Entwicklungsländern sowie die umweltpolitische Debatte über ökologisch nachhaltiges Wirtschaften. Gerade in Entwicklungsländern kann eine Ökologisierung der Wirtschaft nur dann Erfolg haben, wenn sie die sozioökonomischen Chancen nicht schmälert, sondern verbessert. Wie lassen sich also die strukturpolitischen Instrumente, die vor allem in Ostasien auf breiter Basis den Wohlstand gemehrt haben, mit modernen umweltpolitischen Zielen und Instrumenten harmonisieren?

Der Bericht gibt zu Beginn einen Überblick über die Erfahrungen, die Entwicklungsländer mit aktiver Strukturpolitik gemacht haben. In den meisten dieser Länder haben die Regierungen in den 1960er und 70er Jahren stark mit strukturpolitischen Zielen in ihre Heimatmärkte eingegriffen, seit den 1980er Jahren dagegen mehr oder weniger radikal dereguliert. Weder das eine noch das andere hat zu einem dauerhaft produktiven Strukturwandel geführt. Einige ostasiatische Länder allerdings haben sich wenig um diese ideologischen Wechselspiele geschert und einen pragmatischen strukturpolitischen Kurs verfolgt. Zunächst in Korea, Taiwan, Singapur und Malaysia und später dann vor allem in China war die strukturpolitische Lenkung sehr erfolgreich. Auch die wirtschaftlich erfolgreichen OECD-Länder betreiben übrigens allesamt eine pragmatische Strukturpolitik, die marktwirtschaftliche Suchprozesse mit lenkenden Anreizen verknüpft.


Instrumente guter Strukturpolitik

Es hat sich heute ein weitgehender Konsens darüber herausgebildet, was gute Strukturpolitik ausmacht: Politiker oder Technokraten setzen Ziele nicht willkürlich, sondern im Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen. Vor allem bei komplexen Transformationen (wie dem Einstieg in Flugzeugbau, der Energiewende oder dem Übergang zur Elektromobilität) muss die öffentliche Hand als Koordinator agieren, der eine abgestimmte Umsetzung der vielen Reformkomponenten ermöglicht. Die technologischen und betriebswirtschaftlichen Innovationen im Einzelnen bleiben den Marktteilnehmern überlassen. Der Staat kann dabei positiv einwirken, indem er:

  • durch Forschungsförderung, Wettbewerbe und Ausschreibungen die Kreativität der Marktteilnehmer in gesellschaftlich wünschenswerte Richtungen lenkt,
  • Risiken absichert,
  • Subventionen zahlt, wo sie erforderlich sind – diese sollten an signifikante Eigenleistungen der Empfänger geknüpft und zeitlich befristet sein –, und
  • die Wirkung der Reformen überprüft. Dies ermöglicht eine immer bessere Feinsteuerung der Politik.

Diese (und weitere) Erfolgskriterien gelten auch für die ökologische Strukturpolitik. Allerdings ergeben sich aus den globalen Umweltkrisen zusätzliche Herausforderungen, denen ökologische Strukturpolitik begegnen muss. Dazu zählt zunächst die Tatsache, dass die Kosten der Umweltverschmutzung im Kalkül jedes Investors eingepreist werden müssen. Dafür gibt es verschiedene Instrumente, zum Beispiel die Besteuerung des Umweltverbrauchs oder die Festlegung von Obergrenzen für Emissionen und den Handel mit Emissionsrechten.

Das Problem ist, dass Umweltsteuern oder der Kauf von Emissionsrechten die Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Branchen untergraben können, insbesondere wenn die Handelspartner diese Kosten nicht an andere Unternehmen weitergeben können. Die Lösung liegt auch hier im klugen Design: etwa die Unternehmen, die internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind, geringer zu belasten oder mit den Zusatz­einnahmen aus Ökosteuern andere Steuern abzubauen.

In der deutschen Ökosteuerreform ab 1999 wurden die Mehreinnahmen durch die Besteuerung von Umweltverbrauch teilweise dafür verwendet, die Lohnnebenkosten zu senken. Die Wettbewerbsfähigkeit verschmutzender Unternehmen wurde gesenkt, aber diejenige arbeitsintensiver Firmen erhöht. Umweltsteuern sind immer auch ein Treiber von Innovationen. Unternehmen, die früher als die Konkurrenz Ressourcen sparen und saubere Alternativen entwickeln, stehen im Wettbewerb gut da, wenn andere Länder mit den Regularien nachziehen.

Eine weitere Herausforderung der ökologischen Strukturpolitik liegt darin, dass sie in vielen Fällen Systemwechsel herbeiführen will. Es geht nicht nur um die Erneuerung einzelner Technologien, sondern auch um den Übergang von einer linear angelegten „Wegwerfwirtschaft“, die Ressourcen ausbeutet, verbraucht und Rückstände deponiert, zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft. Energiesysteme auf Basis fossiler Energieträger sollen nachhaltig werden, die Verkehrssysteme sollen vom erdölbasierten Individualverkehr zu neuen Mobilitätskonzepten mit öffentlichen Verkehrsträgern und Elektromobilität für die letzte Meile transformiert werden (siehe Gihr und Bauer in E+Z/D+C e-Paper 2018/07, S. 32). Solche Systemwechsel erfordern einen besonders hohen Grad an gesellschaftlichem Dialog und Koordinierung der beteiligten Akteure.

Ökologische Strukturpolitik ist auch insofern anders, als sie ex ante zwischen guten und schlechten Branchen unterscheidet. Normalerweise ist Strukturpolitik weitgehend technologieneutral. Welche Technologie sich im Wettbewerb durchsetzt, entscheidet der Markt. Im Wettbewerb von schmutzigen und sauberen Technologien ist das anders. Hier gibt es eine klare gesellschaftliche Präferenz. Deshalb ist es gerechtfertigt, technologiespezifisch unterschiedlich zu fördern. Mehr noch: eine Kernaufgabe ökologischer Strukturpolitik ist es, gefährliche Technologien aus dem Markt zu ziehen. Dazu gehört das Phasing-out etwa von Verbrennungsmotoren und die schrittweise Substitution durch saubere Alternativen. Dazu gehört auch der Abbau von Subventionen für fossile Brennstoffe (siehe Jha in E+Z/D+C e-Paper 2018/01, S. 38).


Lenkende öffentliche Hand

Noch ein wichtiger Unterschied liegt in der Dringlichkeit. Wenn es gelingen soll, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, muss die Weltwirtschaft bis zum Ende des Jahrhunderts CO2-neutral sein, und die Weichen dafür müssen in den kommenden zehn Jahren gestellt werden. Allein auf der Basis marktwirtschaftlichen Wettbewerbs kann dies nicht gelingen. Daher werden starke politische Anreize zur Beschleunigung der Transformation gebraucht. Zum Beispiel massive Förderprogramme für die Entwicklung und Markteinführung von Energiespeichern oder von Bioenergie-Produkten, die nicht mit Nahrungsmittelproduktion konkurrieren. Insgesamt also erfordert der ökologische Umbau eine stärker lenkende, koordinierende und fördernde Rolle der öffentlichen Hand.

Zu den zentralen – und anspruchsvollsten – öffentlichen Aufgaben gehört es, den Umbau so zu organisieren, dass so­ziale Anpassungskosten nicht zu hoch sind. Die neuen Alternativen sollten möglichst in gleichem Maße oder mehr zu Arbeit und Wohlstand beitragen. Die Chancen des wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels müssen genutzt, die Umorientierung der Unternehmen begleitet und unvermeidbare Härten des Strukturwandels sozialverträglich abgefedert werden. All dies funktioniert in Marktwirtschaften nicht (oder nur in begrenzten Bereichen) per Dekret. Innovationen entstehen im Wesentlichen durch marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Anreize für Unternehmen und Haushalte müssen so gesetzt werden, dass es sich lohnt, Ressourcen zu sparen, zu recyceln, mit sauberen Technologien und zertifizierten Standards auf den Markt zu gehen.

Die Anforderungen, denen ökologische Strukturpolitik gerecht werden soll, sind also enorm. Dies erklärt auch, warum noch keine einzige Volkswirtschaft auf strikte ökologische Nachhaltigkeit eingeschwenkt ist. Zu stark sind die Interessen jener, deren Unternehmensgewinne oder Lohneinkommen an verschmutzenden Branchen hängen. Auch viele Konsumenten sind (noch) nicht bereit, auf nachhaltigen Konsum umzustellen. Gerade in Entwicklungsländern ist die Skepsis groß, ob sich eine ökologische Wirtschaft auch finanziell kurzfristig auszahlen kann. Hier macht der Bericht Mut (siehe Kasten).


Tilman Altenburg leitet das Programm „Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme“ des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE).
tilman.altenburg@die-gdi.de
 

Link
Altenburg, T., und Assmann, C. (Hrsg.), 2018: Green industrial policy – concept, policies, country experiences.
https://www.die-gdi.de/uploads/media/GREEN_INDUSTRIAL_POLICY.Endf.pdf