Kommentar
Aufruf zu kollektivem Handeln
[ Von Hermann E. Ott ]
„Wenn wir so weitermachen, werden wir in Kopenhagen kaum das ehrgeizige Abkommen erreichen, das dem Klimawandel gerecht würde.“ Das war das präzise Urteil von Shyam Saran, dem Leiter der indischen Delegation, kurz vor Schluss der Bonner Klimagespräche im Juni. In der Tat ist der Ausblick auf den wichtigen Gipfel in Kopenhagen im Dezember düster.
Im Prinzip wiederholen alle Parteien nur, was sie schon lange sagen. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kopenhagen hilft, dem Klimawandel angemessen zu begegnen, nun geringer als 20 Prozent. Denn die Regierungen verharren in der Logik von Nullsummen-Spielen: Wenn eine Seite etwas gewinnt, muss eine andere etwas verloren haben.
So kann die Menschheit den Klimawandel nicht abwenden. Stellen wir uns vor, ein Waldbrand nähere sich einem kleinen Dorf. Wenn die Einwohner nicht sofort handeln, wird der Ort niederbrennen. Aber anstatt die Bäume im Umfeld zu wässern, fangen sie an zu streiten. Wer ist schuld? Wer ist zahlungsfähig? Wer ist an der Reihe, der Gemeinschaft zu dienen? Die Tragödie ist, dass die Häuser zerstört werden, egal wie die Debatte schließlich ausgeht.
Die Metapher ist nicht überzogen. Wenn CO2-Emissionen nicht schnell und drastisch verringert werden, werden alle Menschen auf diesem Planeten schweren Schaden erleiden. Der Treibhauseffekt hat Auswirkungen auf Landwirtschaft und Nahrungssicherheit, auf die Ausbreitung von Krankheiten und das Überleben von ganzen Wirtschaftszweigen, auf Migration und internationale Sicherheit. Die Menschheit darf keine Zeit mehr verlieren.
Wie das Intergovernmental Panel on Climate Change sagt, müssen die Emissionen weltweit bis 2020 um mindestens 25 Prozent unter das Niveau von 1990 sinken. Sicherer wäre ein Wert nahe 40 Prozent. Bis 2050 müssen die weltweiten Emissionen um 80 Prozent unter das heutige Niveau fallen. Derzeit stammen 50 Prozent der Treibhausgase aus reichen Ländern und die andere Hälfte aus armen. Nur durch Kooperation kann es gelingen, dieser riesigen Herausforderung gerecht zu werden.
Gewöhnliche Diplomatie nach dem Motto „do ut des“ ist angesichts der drohenden Gefahr fehl am Platz. Gemeinsames Handeln tut not. Alle verlieren, wenn nicht alle mitmachen. Die Regierungen müssen einsehen, dass es nicht vordringlich darum geht, wer Recht hat. Ihre Nationen müssen leiden, wenn nicht schnell etwas passiert. Wer zuerst agiert, hat mehr Möglichkeiten, auf andere Druck zu machen – und wird zudem in der postfossilen Weltwirtschaft große Vorteile genießen.
Selbstverständlich können – und müssen – die einflussreichsten Länder am meisten dazu beitragen, das Patt zu überwinden. Die OECD-Mitglieder sollten sich zu erheblichen Reduktionen und zur großzügigen Unterstützung der ärmeren Länder verpflichten, die ihrerseits Emissionen senken, sich aber auch auf den mittlerweile unabwendbaren Wandel einstellen müssen.
Die benachteiligten Länder können aber ihrerseits die Aussicht auf ein starkes Abkommen in Kopenhagen verbessern. Sie sollten sich zum Beispiel darauf festlegen, wie viel Geld sie für Anpassungs- und Vermeidungszwecke brauchen. Manche großen Schwellenländer – wie China, Indien, Brasilien oder Südafrika – sollten akzeptieren, dass auch für sie „weiter so“ nicht in Frage kommt. Ließen sie sich auf (zumindest sektorbezogene) Reduktionsziele ein, würde das den Handlungsdruck auf Industrienationen enorm verstärken.
Bisher kreisen die Gespräche um die Frage, wer zahlt. Angesichts der globalen Finanzkrise haben die Regierungen unglaubliche Summen bereitgestellt. Allerdings reduzieren einige jetzt das Tempo ihrer Klimapolitik in der Hoffnung, so Arbeitsplätze zu sichern. Sie irren. Die Physik des Klimawandels lässt sich nicht wegdiskutieren. Branchen, die die Atmosphäre aufheizen, bieten keine sicheren Jobs. Dagegen könnte ein kluges Abkommen über Investitionen in Emissionsvermeidung, neue Infrastrukturen und eine bessere Zukunft die Weltwirtschaft wirklich ankurbeln.
Die Welt braucht jetzt „Leadership“. Staats- und Regierungschefs müssen
klimapolitisch aktiv werden.