Entwicklung und
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Mentale Gesundheit

Wenn Scheidung zum Stigma wird

Scheidungen sind in Pakistan noch immer ein Tabuthema. Geschiedene Frauen werden ausgegrenzt – unabhängig davon, ob sie es waren, die die Scheidung eingereicht haben. Soziale Ächtung treibt viele in Depressionen, Einsamkeit und sogar in den Suizid. Scheidungen müssen enttabuisiert werden, und Betroffene brauchen mehr psychologische Unterstützung.
Auch bei den Aurat-Märschen (Frauenmärschen) am Internationalen Frauentag werden Scheidungen immer wieder thematisiert. picture alliance / Middle East Images / Konstantin Novakovic
Auch bei den Aurat-Märschen (Frauenmärschen) am Internationalen Frauentag werden Scheidungen immer wieder thematisiert.

Kaum ein Bereich wird in der öffentlichen Gesundheitsversorgung so vernachlässigt wie mentale Gesundheit. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben weltweit rund eine Milliarde Menschen mit einer psychischen Erkrankung – dennoch mangelt es in vielen Regionen an angemessenen Behandlungsangeboten.

Pakistan hat eine der höchsten Raten psychischer Erkrankungen weltweit. Schätzungen der WHO zufolge benötigen rund 24 Millionen Menschen in Pakistan psychologische Betreuung – ein Zehntel der Bevölkerung. Laut einer Analyse von 2023 sind Depressionen und Angststörungen die beiden häufigsten Erkrankungen, und Frauen sind grundsätzlich stärker von psychischen Krankheiten betroffen.

Eine der Ursachen für psychische Probleme bei Frauen sind Scheidungen – allerdings weniger die Trennung selbst, sondern das damit verbundene Stigma. In Pakistan werden Scheidungen immer noch tabuisiert. Die hohen Raten von Suiziden und Suizidversuchen verdeutlichen, wie stark sich das auch auf die körperliche Gesundheit auswirkt.

Da ist zum Beispiel die 28-jährige Fareeha, die versucht hat, sich das Leben zu nehmen, als ihr Mann sich nach nur 13 Monaten Ehe scheiden ließ. „Anfangs war ich erleichtert, die gewalttätige Beziehung los zu sein. Doch mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das Ende der Ehe nicht das Ende meines Leidens war“, berichtet sie. Ihre Familie, insbesondere ihre Brüder und Schwägerinnen, gaben ihr die Schuld an der Scheidung. Ständige Kritik, Hohn und Verachtung führten dazu, dass sie Depressionen und Trichotillomanie entwickelte – eine Impulskontrollstörung, bei der sich Betroffene zwanghaft Haare ausreißen. „Die Scheidung löste Gefühle von Schuld, Angst, Einsamkeit, Scham, Traurigkeit und Minderwertigkeit in mir aus“, sagt sie. Schließlich nahm sie ein Insektizid ein, um sich umzubringen. Sie überlebte, weil Familienmitglieder sie rechtzeitig ins Krankenhaus brachten.

Aneelas Mann ließ sich 2019 von ihr scheiden, woraufhin die 39-jährige Pakistanerin Depressionen entwickelte. Chronische Angstzustände führten zu Panikattacken. Wie Fareeha litt auch Aneela bereits in der Ehe, weil ihr Mann sie misshandelte. Doch eine Scheidung war für sie unvorstellbar. „Frauen, die sich scheiden lassen wollen, werden von ihren Männern und Schwiegereltern getötet, weil sie Schande über die Familie bringen. Also habe ich die Gewalt ertragen“, erzählt sie.

Ein neues Kapitel

Qazi Shahbaz Mohyuddin, Psychiater in Peschawar, sagt: „Frauen werden oft davon abgehalten, über ihre Scheidung zu sprechen, weil allein das schon als Sünde in unserer Gesellschaft gilt.“ Patientinnen, die eine Scheidung hinter sich haben, leiden häufig unter Schamgefühlen, geringem Selbstwert, Selbstvorwürfen und entwickeln Vertrauensprobleme. Diese Gefühle führen dann zu allen möglichen gesundheitlichen Problemen. Sie reichen von Angstzuständen, Depressionen, Migräne, Stress, Schlaflosigkeit, Bluthochdruck, Magen-Darm- und Nervenproblemen bis hin zu Impulskontrollstörungen, Selbstmordgedanken, Panikattacken und Drogenmissbrauch. Dazu wirkt sich eine Scheidung negativ auf das Sozialleben der Frauen aus und treibt sie in die Einsamkeit, fügt Mohyuddin hinzu. In seiner Therapie arbeitet er mit Frauen daran, „die Scheidung nicht als das Ende des Lebens, sondern als ein neues Kapitel zu sehen“.

Mohyuddins Berufsgruppe ist in Pakistan jedoch rar. Laut WHO kommt nur ein Psychiater auf etwa 526 000 Menschen – eine der niedrigsten Quoten weltweit.

Nur wenige Initiativen versuchen, diese Versorgungslücke zu schließen. Eine davon ist die Taskeen Health Initiative. Auch Sarah Hatim, klinische Koordinatorin der gemeinnützigen Organisation, sagt, dass Frauen nach Scheidungen marginalisiert und ausgegrenzt werden. Ihre Organisation bietet deshalb kostenlose Telefonberatung für Menschen aller Altersgruppen und Hintergründe an. Mit dem Programm „Stories of Hope“, in dem betroffene Frauen und andere Menschen mit psychischen Erkrankungen ihre Geschichten erzählen, will die Initiative Gemeinschaften sensibilisieren und diskrete Selbsthilfemöglichkeiten anbieten.

Pakistan braucht dringend mehr professionelle psychiatrische Versorgung und Initiativen, die dazu beitragen, Stigmata und Tabus abzubauen. Nur so bekommen benachteiligte Frauen eine echte Chance, ein neues Kapitel in ihrem Leben zu beginnen.

Mahwish Qayyum ist freie Journalistin aus Pakistan.
euz.editor@dandc.eu

Wenn Sie darüber nachdenken, sich das Leben zu nehmen, sprechen Sie mit Freund*innen oder Familienangehörigen darüber und suchen Sie sich professionelle Unterstützung. In Deutschland ist beispielsweise die Telefonseelsorge Tag und Nacht erreichbar unter den Nummern 0800 1110111 oder 0800 1110222. Internationale Suizidhotlines finden sich hier: https://blog.opencounseling.com/suicide-hotlines/

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