Deutsche Entwicklungspolitik
Was Frauen weltweit wirklich unterstützt: Binden, Reisevisa und Kredite
Als ich vor Kurzem auf der re:publica – der größten deutschen Digitalmesse – war, standen Geld und Frauen im Vordergrund. Expertinnen aus Ländern des Globalen Südens beanstandeten, dass Frauen datentechnisch oft „unsichtbar“ bleiben und deshalb keinen Zugang zu maßgeschneiderten Finanzangeboten hätten. Und sie erklärten, wie dies zu struktureller Armut bei Frauen beiträgt und welche anderen (Macht-)Strukturen es ihnen erschweren, zu Expertinnen, Forscherinnen und Gründerinnen zu werden.
Die kenianische Datenexpertin Linda Bonyo beispielsweise berichtete von den sonst selten sichtbaren Herausforderungen für Frauen in ihrer Heimat. 40 Prozent aller 18- bis 26-jährigen Frauen in Kenia sind alleinerziehende Mütter. Sie gehen in der Regel nicht studieren, und ihnen fehlen oft Zeit und Geld für Fortbildungen, die ihnen einen guten Job und wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglichen würden. Als alleinstehende Frauen sind sie zudem weiteren Diskriminierungen unterworfen: Sie können allein keine Wohnung anmieten, haben seltener Vermögen in ihrem Namen, bekommen keine Kredite und haben geringere Chancen auf Reisevisa. Damit nimmt ihnen die Gesellschaft viele Instrumente, die es braucht, um sich selbstständig zu machen oder Unternehmen aufzubauen.
Das Beispiel zeigt, wie komplex und sich überschneidend Diskriminierungen gegen Frauen sind. Deshalb müssen (Macht-)Strukturen grundlegend verändert werden. Das ist das Ziel meiner feministischen Entwicklungspolitik.
Feministische Entwicklungspolitik: Was sie ist und was sie soll
Wenn die Systeme der Welt von Männern erdacht und geleitet werden, fehlt die weibliche Perspektive. Und damit fehlen 50 Prozent an Ideen und Vorschlägen, wie Gesellschaften gerechter, sicherer und wirtschaftlich erfolgreicher werden können. Wenn Frauen und marginalisierte Gruppen gleiche Rechte, Ressourcen und Repräsentanz haben, ermöglicht dies allen Menschen eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe.
Bestehende Ungleichheiten sind kein Zufall. Diskriminierende soziale Normen, Gesetze und Geschlechterstereotype im Globalen Süden sind oftmals Folgen der Kolonialzeit. Dadurch tragen Deutschland und Länder des Globalen Nordens eine besondere Verantwortung für die weltweite Förderung von Geschlechtergerechtigkeit, um diese Folgen abzumildern.
Um ihre wirtschaftlichen Chancen zu verbessern, fordern Frauen aus dem Globalen Süden vor allem drei Dinge: hochwertige Bildung, regulatorische Gleichstellung und Zugang zu passenden Finanzinstrumenten.
Bildung und Autonomie über den eigenen Körper
Gute Jobs gibt es nur für gebildete Frauen. Wie kann die feministische Entwicklungszusammenarbeit Bildung für Mädchen in unseren Partnerländern unterstützen? Durch Schulessen, Sexualaufklärung und Binden. Arme Familien schicken ihre Töchter eher in die Schule, wenn sie dort mit Essen versorgt werden. Durch Sexualaufklärung für Mädchen und Jungen lassen sich verfrühte Schwangerschaften verhindern, die häufig zum Schulabbruch der Mädchen führen. Und Binden führen dazu, dass Mädchen auch während der Periode weiter zur Schule gehen.
An der Ikwera-Negri-Schule in Uganda beispielsweise erklärt Mary Alori den Schülerinnen und Schülern, was Menstruation bedeutet und wie man Binden so benutzt, dass Mädchen auch Fußball spielen können, wenn sie sie tragen. Im Rahmen des Sanitation for Millions-Programm stellt die ugandische Regierung der Schule Hygieneprodukte für Mädchen und Waschräume zur Verfügung, damit auch Mädchen aus ärmeren Familien versorgt sind und weiterhin zum Unterricht kommen.
All das sind wesentliche Voraussetzungen, um nicht schon während der prägenden Bildungsphase den Anschluss an männliche Klassenkameraden zu verpassen. Aber auch beim Übergang in die Arbeitswelt und der weiteren wirtschaftlichen Betätigung werden Frauen oft erneut abgehängt.
Bildung muss daher auch Rollenbilder und Geschlechterstereotypen hinterfragen, um diskriminierende soziale Normen und die strukturellen Ursachen von Geschlechterungleichheit nachhaltig zu überwinden. Gendertransformative Bildungsansätze in Schulen können so zum Beispiel dazu beitragen, sexuelle und geschlechtsbasierte Gewalt, Kinderehen und Teenagerschwangerschaften zu reduzieren. Gendertransformativ zu arbeiten bedeutet, strukturelle Diskriminierung und deren Ursachen anzugehen.
Diskriminierende Regeln und Normen abbauen
Neben diskriminierenden Gesetzen, wie zum Beispiel Landrechte nur für Männer, gibt es in vielen Ländern des Globalen Südens zusätzliche benachteiligende Normen, die Frauen in ihrer Wirtschaftlichkeit behindern. In Pakistan gibt es beispielsweise das Phänomen der „doctor brides“. 70 Prozent aller Ärzt*innen im Land sind Frauen, aber nur die Hälfte von ihnen praktiziert Medizin. Die andere Hälfte studiert Medizin entweder nur als „Heirats-Booster“ oder praktiziert nach dem Eheschluss nicht mehr. Dadurch fehlen dem Land tausende Fachkräfte.
Diese Lücke wollen Iffat Zafar Aga und Sara Saeed Khurram mit ihrer „Sehat Kahani“-App schließen. Sie ermöglicht es Ärztinnen, von zu Hause aus elektronische Konsultationen für Patient*innen in meist ländlichen Gemeinden anzubieten. Die beiden Gründerinnen haben Dutzende von E-Health-Kliniken in einkommensschwachen Gemeinden eingerichtet, in denen Patient*innen für nur 80 Rupien (0,43 Dol-lar) Krankenpfleger*innen aufsuchen können, die über die Onlineplattform wiederum Ärzt*innen erreichen.
Mithilfe der von Deutschland geförderten Women Entrepreneurs Finance Initiative (We-Fi) haben die beiden Frauen Zugang zu Finanzprodukten und -dienstleistungen bekommen, ihre Netzwerke erweitert und Mentor*innen gefunden. Das hat sie dabei unterstützt, diskriminierende Normen aufzubrechen.
Pragmatisch, vertrauenswürdig und vertraulich: Finanzprodukte von Frauen für Frauen
In vielen Ländern des Globalen Südens haben Frauen keinen Zugang zu Krediten oder nur unter schlechteren Konditionen als Männer. Grund dafür ist, dass Kredite nicht cashflow-basiert vergeben werden, sondern oft mit Vermögen in Form von Land abgesichert werden müssen. Da unverheiratete Frauen seltener Land besitzen und bei verheirateten Frauen das Land im Namen des Mannes steht, fehlt ihnen oft der Zugang zu Geld, mit dem sie sich wirtschaftlich selbstständig machen oder ihre Unternehmen vergrößern könnten.
Aber laut Mary Ellen Iskenderian, der CEO von Women’s World Banking, gibt es weitere wichtige finanzielle Hürden für Frauen: Sie fühlen sich seltener kompetent genug, um durch finanzielle oder technische Angebote zu navigieren. Und: Finanzdienstleister*innen erkennen Frauen nach wie vor nicht als attraktive Kundengruppe an. Damit Finanzprodukte für Frauen weltweit attraktiver werden, müssen sie pragmatisch, vertrauenswürdig und vertraulich sein. Frauen sind als Töchter, Mütter, Ehefrauen und Caregiver zeitlich stark unter Druck. Finanzprodukte müssen daher schnell und einfach verfügbar und handhabbar sein, sonst werden sie schlicht nicht genutzt. Frauen legen außerdem einen größeren Wert auf die Sicherheit ihrer Daten. Neben Vertrauenswürdigkeit spielt auch Vertraulichkeit eine große Rolle. Niemand außer der Frau selbst soll wissen, warum sie wie viel wofür spart.
Um diesen Prozess voranzutreiben, haben sich KfW und das BMZ für die Finanzierung von Women’s World Banking zusammengetan. In einem eigenen Fonds haben wir Eigenkapital gebündelt, aus dem Kredite für Unternehmen bezahlt werden, die Gleichstellung vorantreiben. Um auch private Investor*innen zu mobilisieren, die Finanzierungen für Frauen in Ländern des Globalen Südens als sehr riskant ansahen, gibt der Fonds eine Erstverlustgarantie. Women’s World Banking erstellt dann mit den Unternehmen einen verbindlichen Aktionsplan zur Förderung von Frauen. Durch diese Investments können wir sicherstellen, dass Frauen von der Arbeitsebene bis hin zur Vorstandsebene des Unternehmens vertreten sind.
Binden, Reisevisa und Kredite: erst der Anfang
Damit Mädchen weltweit in die Schulen kommen und dort bleiben, damit Frauen eine Ausbildung erhalten und wirtschaftlich selbstständig werden, braucht es ein umfassendes Verständnis ihrer Lebensrealitäten. Diese kennen sie selbst am besten. Und genau deshalb ist es so wichtig, dass sie ihre eigenen Lösungen entwickeln und dafür in ihren Communitys werben – so wie es Linda Bonyo in Kenia, Mary Alori in Uganda und Iffat Zafar Aga in Pakistan tun.
Aber Binden, Reisevisa und Kredite reichen nicht aus. Es braucht einen weltweiten politischen Konsens darüber, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein Menschenrecht ist. Und dass Gesellschaften gerechter, widerstandsfähiger und stabiler werden, wenn alle Menschen gleichgestellt sind. Diesen Prozess unterstützt meine feministische Entwicklungspolitik. Sie ist keine Politik von Frauen für Frauen. Sondern eine Politik von allen für alle.
Svenja Schulze ist die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
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