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Protestbewegung

Muslimas verteidigen die Verfassung

Eine Massenbewegung, die alle bisherigen Größenmaßstäbe sprengt, opponiert in Indien derzeit gegen den Hindu-Chauvinismus der nationalen Regierung. Muslimische Frauen setzen sich an vorderster Front für den Fortbestand der Verfassung ein, die Religionsdiskriminierung verbietet. Dass die Partei von Premierminister Narendra Modi bei Regionalwahlen in Delhi jüngst schlecht abgeschnitten hat, deutet möglicherweise darauf hin, dass ihre Macht zu schwinden beginnt.
Demonstranten in Neu-Delhis Stadtteil Shaheen Bagh Anfang Februar. Makhija/picture-alliance/NurPhoto Demonstranten in Neu-Delhis Stadtteil Shaheen Bagh Anfang Februar.

In Neu-Delhi sind Winternächte kalt. Trotzdem leben viele Frauen seit Wochen in einem Protest-Camp im südöstlichen Stadtteil Shaheen Bagh. Sie sitzen auf Teppichen auf der Straße – nur von Plastikplanen vor dem kalten Wind geschützt. Ihr Mut und ihre Ausdauer sind beeindruckend.

Shaheen Bagh ist zum nationalen Symbol geworden. Vielerorts gibt es mittlerweile ähnliche Lager. Nicht alle, aber sehr viele Teilnehmerinnen gehören dem Islam an. Es ist Provokateuren trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen, Gewalt auszulösen. Dennoch töteten Polizisten Berichten zufolge landesweit bislang mindestens zwei Dutzend Demonstranten, wobei der große BJP-regierte Bundesstaat Uttar Pradesh für sich genommen schon auf 19 Tote kam.

Wie die Frauen ihr Anliegen formulieren, ist ebenfalls eindrucksvoll. Alima, eine junge Mutter mit Baby im Arm, sagte mir in Shaheen Bagh: „Wenn wir heute nicht protestieren, verlieren wir morgen vielleicht unsere Staatsbürgerschaft. Unsere Verfassung gibt uns das Recht, für unsere Interessen zu kämpfen. Wir können Modi nicht erlauben, sie zu ändern. Menschen aller Religionen haben zusammengearbeitet, um uns diese Verfassung zu geben.“

Anlass zu Sorgen gibt es in der Tat. Die aktuelle Regierungspolitik legt nahe, dass viele Muslime ihre Staatsbürgerschaft verlieren werden, falls sie wichtige Dokumente nicht vorweisen können. Darauf laufen die jüngste Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und Pläne zur Schaffung eines nationalen Bürgerregisters hinaus (siehe Box). Bislang wurden Indiens Muslime informell ausgegrenzt, aber mittlerweile agiert die Regierung zunehmend islamophob. Die Autoren der Verfassung sahen Indien als pluralistische Demokratie, aber Modis Partei, die BJP, will einen Hindu-Staat.

In vielen Städten gab es in den vergangenen Wochen riesige Demonstrationen – oft mit hunderttausenden von Teilnehmern. Angehörige aller Religionsgemeinschaften protestierten gegen die diskriminierende Gesetzgebung. Zweifelsohne spielen muslimische Frauen aber Führungsrollen. Ihre Protest-Camps statuieren Exempel des permanenten gewaltfreien Widerstands.

Von Anfang an war das selbstbewusste Auftreten muslimischer Frauen beispielhaft für die sich landesweit schnell ausbreitende Bewegung. Als Mitte Dezember die Polizei auf einem Universitäts-Campus in Delhi friedlich demonstrierende Studenten mit Tränengas und Schlagstöcken angriff, stellten sich zwei Studentinnen im Hijab zwischen einen Freund und die Sicherheitskräfte. Video-Aufzeichnungen des mutigen Einsatzes von Ladeeda and Ayesha verbreiteten sich rasant im Internet (siehe hierzu mein Interview mit ihnen, dass solche Szenen dokumentiert). Innerhalb weniger Stunden demonstrierten Studenten an vielen indischen Hochschulen.

Muslimische Frauen gelten oft als unterdrückt und zur Unterwerfung erzogen. Dieses Klischee gibt es nicht nur in Indien. Die indische Regierung täuscht aber besonders gern vor, sich Sorgen wegen des Leids muslimischer Frauen zu machen. In Shaheen Bagh halten aber nun muslimische Frauen mit Kopftuch stolz die indische Fahne hoch. Sie rezitieren die Präambel der Verfassung, fordern “Azadi” (Freiheit) und sind nicht bereit, sich als Bürgerinnen zweiter Klasse behandeln zu lassen.

Mit Schleier, aber ohne Angst stellen sie sich gegen die Politik des Premierministers und untergraben damit dessen sorgsam gepflegtes Image als dominierend-männliche Führungspersönlichkeit. Manche Frauen sind alt, manche sind jung – und die meisten von ihnen sind Hausfrauen, die zum ersten Mal in ihrem Leben protestieren.

Es bleibt abzuwarten, in welchem Maß die Protestbewegung der Regierung Zugeständnisse abringen kann. Sie hat aber bereits gezeigt, dass die Verfassung in der Bevölkerung weiterhin breite Unterstützung genießt. Die Mehrheit der Inder weiß, dass unser Land pluralistisch sein muss, weil es von großer Vielfalt geprägt ist. Die BJP hat auch ihre absolute Mehrheit im Parlament bei den Wahlen im vorigen Jahr nur mit 38 Prozent der Stimmen erreicht. In absoluten Zahlen entspricht das allenfalls der Hälfte der hinduistischen Bevölkerung.

Den Ergebnissen der jüngsten Regionalwahlen in Delhi zufolge schwindet die Macht der BJP möglicherweise bereits. Sie gewann nur etwas mehr als 10 Prozent der Sitze, nachdem sie im Wahlkampf antiislamische Stimmungen geschürt hatte. Unter anderem behauptete sie, das Protest-Camp in Shaheen Bagh ziele auf die Errichtung eines islamischen Staates ab.

Es ist ermutigend, dass die meisten Wähler in Delhi auf diese Hasspropaganda nicht hereingefallen sind. Die schlichte Wahrheit ist, dass die Protestbewegung Indiens Verfassung verteidigt und dass die Mehrheit der Inder diese Verfassung weiterhin gut findet.


Arfa Khanum Sherwani ist leitende Redakteurin der Nachrichten-Website TheWire.
Twitter: @khanumarfa
TheWire: https://thewire.in/