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Religiöser Fundamentalismus

Iranische Proteste hallen weltweit wider

Frauen müssen hingehen dürfen, wohin sie wollen, und das anziehen, was ihnen gefällt. Die aktuellen Proteste im Iran hallen in vielen Ländern wider. Es geht nicht nur um Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit.
Solidaritätsbekundung in Karachi. Solidaritätsbekundung in Karachi.

Frauen stehen an der Spitze der Proteste im Iran. Manche sprechen bereits von einer neuen Revolution. Die Rebellion gegen das schiitischen-fundamentalistische Regime hat weltweit Reaktionen hervorgerufen. Solidarität wird geäußert, aber auch Sorge um die Opfer der Repression.

In Pakistan gehörten Frauen zu den ersten, die sich zu Wort meldeten, als nach dem Tod der jungen Frau Mahsa Amini im Polizeigewahrsam die Demonstrationen im Iran begannen. Festgenommen wurde Amini, weil sie ihr Kopftuch nicht genau so trug, wie es das islamistische Recht Irans vorschreibt.

Pakistanische Rechtsanwältinnen, Parlamentsabgeordnete, Aktivistinnen und Akademikerinnen haben Stellung genommen. Manche von uns werfen dem iranischen Regime vor, den Islam zu beschmutzen. Andere wehren sich gegen die Verletzung von Frauenrechten. Die brutale Repression bereitet uns Sorgen. Pakistanische Frauen beten nun für die Sicherheit der iranischen Menschen.

Pakistans Bevölkerungsmehrheit ist sunnitisch, Irans schiitisch. Die Empörung in Pakistan ist aber konfessionsübergreifend. Sie schließt alle Varianten des Islams ein. Uns beeindruckt die Kraft und der Mut der Protestierenden. Medienberichten zufolge wurden bis Mitte Dezember rund 500 Menschen getötet. Nach lächerlich kurzen Gerichtsverhandlungen wurden sogar Todesurteile an zwei jungen Männern vollstreckt.

Einschränkung von Grundrechten im Namen von Glaube, Kultur und Tradition

Die Mahsa-Amini-Proteste kreisen um mehrere Themen. Dazu gehören Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch Versammlungsfreiheit. Wichtig ist auch das Recht von Frauen auf körperliche Selbstbestimmung und Mobilität. Patriarchale Normen werden allzu oft mit Hinweisen auf Glaube, Kultur und Tradition durchgesetzt. Häufig geht es dabei darum, welche Kleidung Frauen tragen sollen und welche öffentlichen Räume uns offenstehen.

Wo solche Werte gesetzlich festgeschrieben werden, wie im Iran der Fall, ist die Lage besonders hart. Pakistanische Frauen, die sich an die Militärherrschaft von Zia ul Haq von 1977 bis 1988 erinnern können, wissen, was es bedeutet, wenn sich ein autoritäres Regime nicht um Freiheits- und Menschenrechte kümmert. Zia nutzte seine orthodox-sunnitische Weltsicht zur Unterdrückung von Gegenmeinungen. Heute ist die Situation in Afghanistan besonders bedrückend, wo Mädchen und jungen Frauen wichtige Bildungschancen verwehrt werden.

Aus offensichtlichen Gründen bewegt das, was derzeit im Iran passiert, Frauen in überwiegend muslimischen Ländern besonders. Andererseits missfallen uns aber Solidaritätsbekundungen aus westlichen Ländern, in denen die Tendenz besteht, auf Kopftuchträgerinnen herabzuschauen. Frankreich schränkt sogar die Hijab-Nutzung rechtlich ein. Wir fordern Freiheit – und das bedeutet, dass wir selbst entscheiden, was wir anziehen und wohin wir gehen.

Defizite im Westen

Muslimische Frauen sind es leid, als Opfer repressiver Tradition bemitleidet zu werden. Wir wissen doch, dass im Westen auch nicht alles perfekt ist. Wir haben mitbekommen, worum es bei #MeToo ging. Uns ist bekannt, dass auch im Westen Richter davor zurückschrecken, Sexualstraftäter zu bestrafen, wenn sie den Eindruck haben, ihr Opfer habe „provozierende“ Kleidung getragen. Konservative Christen – nicht nur in den USA – wollen das Abtreibungsrecht einschränken, und in manchen US-Staaten erwägen die radikalsten Stimmen bereits, auch den Zugang zu Verhütungsmitteln rechtlich zu begrenzen.

Anfang Dezember wurde berichtet, der Iran schaffe die Sittenpolizei ab. Vermutlich war das nur eine bedeutungslose, symbolische Geste, denn die Regierung teilte später mit, die Hijab-Pflicht bestehe weiter. Fotos belegen, dass sich eine wachsende Zahl von Frauen nicht mehr daran hält. Sie nehmen sich diese Freiheit und gehen dafür große Risiken ein.

Regierungen weltweit sollten die Proteste im Iran Ernst nehmen. Die Politik muss überall aufhören, individuelle Freiheiten aufgrund des Geschlechts zu beschränken. Die Grundrechte jeder Frau verdienen Respekt – egal wo sie lebt.

Marva Khan ist Assistenzprofessorin für Recht an der LUMS (Lahore University of Management Sciences) und Mitbegründerin des Pakistani Feminist Judgments Projects.
marva.khan@lums.edu.pk