Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Weltbank

Ausreichend gute Regierungsführung

Rechtsstaatlichkeit bedeutet nicht einfach, dass Gesetze durchgesetzt werden. Legitimität und Akzeptanz des Staates hängen nämlich von breiter öffentlicher Akzeptanz ab, wie die Weltbank in ihrem World Development Report 2017 (WDR2017) erörterte.
Senegalesische Landfrauen: der Weltbank zufolge müssen sie in der Politik mitreden können. Lissac/Godong/Lineair Senegalesische Landfrauen: der Weltbank zufolge müssen sie in der Politik mitreden können.

Das Thema des WDR2017 ist Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit. Die Autoren wollen, dass staatliches Handeln auf Entwicklung ausgerichtet wird, und „Entwicklung“ definieren sie dabei in Anlehnung an den Nobelpreisträger Amartya Sen als die „Beseitigung verschiedener Formen von Unfreiheit“. Entwicklungsziele sind demnach die Minimierung von Gewaltrisiken (Sicherheit), höherer Wohlstand (Wachstum) und faire Verteilung (Gerechtigkeit). Obendrein müsse im Interesse künftiger Generationen Nachhaltigkeit gesichert sein.

Dem WDR2017 zufolge scheitern politische Strategien, die eigentlich zu Entwicklung führen sollen, häufig daran, dass sie entweder gar nicht oder nur unzureichend umgesetzt werden. Manchmal überwögen langfristig sogar ungewollte Nebeneffekte. Die Autoren gehen der Frage nach, warum das so ist, und kommen zu dem Schluss, es liege an „Governance“. Diesen Begriff definieren sie als „die Prozesse, in denen in der Interaktion vom Staat mit nichtstaatlichen Akteuren Politik beschlossen und umgesetzt wird“. Formale wie informelle Regeln bestimmten dafür den Rahmen. Dieser Rahmen spiegele einerseits Machtverteilung wider, verteile aber zugleich auch Macht.

Damit Regierungshandeln auf Entwicklung ausgerichtet wird, sollen aus WDR2017-Sicht nicht die strengsten Govenance-Maßstäbe angelegt werden. Wichtiger sei, dass Politik möglichst gut passe. Ein umsetzbares, aber augenscheinlich nur zweitbestes Konzept sei besser als ein vermeintlich perfektes, aber unrealistisches Konzept. Der WDR2017 nennt drei Prinzipien, die Politiker beherzigen sollten:

  • die formale Struktur von Institutionen sei von ihren Funktionen zu unterscheiden,
  • mit Capacity-Building sollten Machtgefälle reduziert werden und
  • der Zweck von Gesetzen („role of law“) sei wichtiger als ihre strenge Durchsetzung („rule of law“).

Zwei Jahrzehnte lang forderte die Weltbank „Good Governance“, was im Prinzip eine Forderung nach optimalen Institutionen war. Kritiker bemängelten, die Liste der normativen Erfordernisse sei lang und unrealistisch. In Reaktion darauf spricht sich die Weltbank nun für ausreichend gute Regierungsführung aus, denn das erste der oben genannten Prinzipien besagt, Ergebnisse seien wichtiger als Strukturen.

Dass die Weltbank auf ungleiche Machtverhältnisse eingeht, ist bemerkenswert. Zuvor schlug sie meist technokratische Lösungen vor, welche die Politik vermeintlich transzendierten. Der WDR2017 räumt ein, dass Politik am Widerstand einflussreicher Interessengruppen oder auch nur ihrer mangelnden Mitarbeit scheitern kann. Entsprechend betont das zweite genannte Prinzip, dass Machtgefälle reduziert werden sollen, wenn in Capacity-Building investiert wird.

Das dritte Prinzip ist es, auf die Kernfunktionen des Rechts zu achten: Konflikte sollen friedlich und im Einklang mit gesellschaftlich akzeptierten Normen geregelt werden. Diese Normen, so der WDR2017, entwickelten sich historisch, wobei ihre Legitimität von der Akzeptanz und dem Gerechtigkeitsverständnis der betroffenen Menschen abhänge. Rechtsstaatlichkeit sei mithin das Resultat von innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die eine sehr lange Zeit erfordern könnten.


Drei Bedingungen

Wie eingangs erwähnt, soll entwicklungsorientierte Regierungsführung Unfreiheit reduzieren. Laut WDR2017 müssen wichtige Akteure dafür drei Voraussetzungen erfüllen: Pflichtbewusstsein („commitment“), Koordination und Kooperation. Neben dem Staat gilt das für eine breite Palette von Interessengruppen, die Einfluss auf Governance nehmen. Dazu gehören zivilgesellschaftliche Organisationen von Wirtschaftsverbänden bis hin zu religiösen Institutionen.

Laut Weltbank hängt der Erfolg entwicklungsorientierter Politik mithin davon ab,

  • dass relevante Akteure sich der konsistenten und kontinuierlichen Umsetzung langfristig verschreiben,
  • dass Koordination im Sinne der Angleichung ihrer Vorstellungen und Präferenzen gelinge und
  • dass die Beteiligten sich insofern kooperativ verhielten, als sie weder gegen Absprachen verstießen noch als Trittbrettfahrer Vorteile ohne Gegenleistung einstrichen.

Im wirklichen Leben ist nicht davon auszugehen, dass diese Bedingungen erfüllt sind. Ausfälle führen aber zu Politikversagen, warnt der WDR2017. In solchen Fällen sei es nötig, die Ursache zu ergründen, um Funktionsstörungen zu beheben. Dafür hätten politische Akteure grundsätzlich drei Optionen:

  • Der Wettbewerb in politischen Arena könne verschärft werden, indem zusätzliche Interessengruppen beteiligt würden.
  • Interessengruppen könnten anderen Akteuren Anreize zur Kooperation bieten.
  • Sie könnten aber auch an Wertvorstellungen und Präferenzen appellieren.

Grundsätzlich spricht sich der WDR2017 für die Ausweitung politischer Arenen mit dem Ziel aus, möglichst alle Betroffenen einzubeziehen. In jedem Land spiegele die Machtverteilung einen Kompromiss der einflussreichsten Interessengruppen wider und sichere den Status quo. Bürgerengagement könne solche Konstellationen infrage stellen, wobei internationale Akteure Unterstützung leisten könnten. Geberinstitutionen haben demnach keine unpolitische Rolle und sollten ihr Handeln auf Entwicklungserfolge ausrichten.

Letztlich kommt es laut Weltbank darauf an, dass alle Betroffenen in die Lage versetzt werden, ihre Interessen zu formulieren und auf Politik Einfluss zu nehmen. Je mehr Interessengruppen involviert sind, desto besser kann die Politik ihre Anliegen aufgreifen, und umso wahrscheinlicher wird folglich Kooperation. Anreize können helfen, Kompromisse zu schließen und wirkungsvolle Umsetzung zu sichern. Wertvorstellungen und Präferenzen prägen Entscheidungen auf jeden Fall.

Der WDR2017 erläutert also, wie Reformen beschlossen und durchgeführt werden können. Sie könnten bestimmte Gesetze, Programme oder Organisationen betreffen. Möglich sei zudem die Definition völlig neuer Regeln. Breite Beteiligung sei jedenfalls nicht nur bei der Formulierung von Gesetzen wichtig, sondern auch bei der Implementierung von Politik und dem Management von Behörden.

Weil politische Prozesse, wie der WDR2017 ausführt, vielschichtig sind und viele Interessengruppen betreffen, müssen kluge Politiker Widerstände und unerwünschte Nebenwirkungen antizipieren. Wesentlich sei es, Konsens oder Kompromisse zu formulieren und Wege der effektiven Umsetzung zu finden.

In der Vergangenheit setzte die Weltbank Entwicklung letztlich mit Wirtschaftswachstum gleich, aber das war unhaltbar. Der WDR2017 betont die Bedeutung der Politik. Es ist höchst willkommen, dass die Weltbank sich jetzt mehr für passende als für optimale Lösungen interessiert. Das zeigt, dass sie die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer akzeptiert, statt auf technokratischen Blaupausen zu bestehen.


Fortgesetzte Zwiespältigkeit

Eine gewisse Zwiespältigkeit besteht aber fort. Einerseits betont die Weltbank, dass die Qualität von Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit von der Akzeptanz der Bevölkerung abhängt; andererseits spricht sie internationalen Partnern eine Rolle dabei zu, politische Arenen auszuweiten.

Das zugrunde liegende Paradoxon ist, dass die Menschenrechte zwar als universelle Prinzipien konzipiert wurden, ihre Geltung aber nicht überall vorausgesetzt werden kann. Dorfgemeinschaften in Entwicklungsländern leben beispielsweise entsprechend ihrer Traditionen, zu denen die Gleichberechtigung von Mann und Frau normalerweise nicht gehört. Die Weltbank will nicht nur, dass die Sichtweise solcher Gemeinschaften politisch Widerhall findet, sondern auch, dass die Landfrauen mitreden müssen. Beides ist nicht unbedingt miteinander vereinbar, auch wenn es beides westlichen Vorstellung von Menschenrechten offensichtlich entspricht.

Der WDR2017 macht Vorschläge zur Umsetzung menschenrechtlicher Prinzipien in Ländern, von denen er selbst einräumt, dass sie dafür nicht unbedingt reif sind. Wenn Rechtsstaatlichkeit das Resultat langer innergesellschaftlicher Prozesse ist, können wir nun mal nicht davon ausgehen, dass die Vorstellungen einer multilateralen Institution allen Menschen in allen Ländern einleuchten. Letztlich beansprucht die Weltbank noch immer, im Besitz einer universalen Wahrheit zu sein.

Der WDR2017 spiegelt jedoch seit zwei Jahrzehnten andauernde Bemühungen der Weltbank wider, sich als Fürsprecherin der Armen, der sozialen Inklusion sowie breiter politischer Partizipation neu zu positionieren. Das Dokument enthält viel Material und anschauliche Analysen mit Blick auf „gut passende“ Politikkonzepte. Er kann sich langfristig auf die Arbeit der Weltbank auswirken und auch das Agieren anderer Entwicklungsorganisationen beeinflussen. In welchem Ausmaß das geschehen wird, bleibt abzuwarten.


Mahwish Gul kommt aus Islamabad und studiert Entwicklungsmanagement an der Ruhr-Universität Bochum und der University of Western Cape in Kapstadt. Ihr Master-Studiengang gehört zur Arbeitsgemeinschaft entwicklungsbezogener Postgraduierten-Programme (AGEP).
mahwish.gul@gmail.com