Entwicklungsparadigmen

Warum die SDGs anders sind

Von den Anfängen nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs) war der Leitgedanke der Entwicklungspolitik: Arme Länder sollten zu den reichen Nationen aufschließen. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustainable Development Goals) dagegen betonen auch Wandel in Ländern mit hohen Einkommen.
Deutsche Windparks sind klimafreundlich, Autobahnen sind es nicht. picture-alliance/Jochen Tack Deutsche Windparks sind klimafreundlich, Autobahnen sind es nicht.

Die MDGs wurden im Jahr 2000 von den UN beschlossen. Sie konzentrierten sich auf Themen wie Ernährungssicherheit, Gesundheit und Bildung mit Zielvorgaben für Mütter- und Kindergesundheit oder  Einschulungsquoten. Erreicht wurden sie vielerorts kaum, zogen aber die Aufmerksamkeit politisch Verantwortlicher auf sich und halfen  einige Fortschritte zu machen.  Vieles steht jetzt auf der SDG-Agenda.

Auswirkungen der Millenniumsentwicklungsziele

Der Hauptpunkt der MDGs war die Einsicht, dass es nicht allein auf Wirtschaftswachstum ankommt. Vor allem in den 1990er-Jahren, als der sogenannte Washington-Konsens als Paradigma diente, waren Wirtschaftsindikatoren wie das Bruttosozialprodukt zentral. „Unterentwickelte“ Länder würden ihm zufolge durch weltweiten Handel mit Waren und Dienstleistungen florieren, sofern sie denn eine umsichtige makroökonomische Politik verfolgten. Allmähliches Wachstum sollte sie schrittweise an „entwickelte“  Nationen heranführen.

Die MDGs unterschieden jedoch weiterhin vermeintlich entwickelte von unterentwickelten Ländern – als gäbe es einen idealen Entwicklungsstand, durch dessen Erreichen einige Länder als Beispiel dienten. 

Die am wenigsten entwickelten Länder befinden sich in einer Schuldenkrise

Solange die am wenigsten entwickelten Länder von Entwicklungsgeldern der reicheren Nationen abhängig sind, müssen sie deren Standards folgen. Sie üben sich in teurer – und weitgehend erfolgloser – Nachahmung. Anstatt ihren Gesellschaften zu helfen, stürzen Regierungen sie noch tiefer in Schulden und chronische Abhängigkeit. Regieren als Betteln ist in vielen afrikanischen Ländern mittlerweile beängstigende Realität. Ohne weiteren Mittelzufluss aus dem Ausland  wären viele Regierungen innerhalb weniger Monate pleite. 

Die Polarität bestand lange Zeit fort,  obwohl sich die Entwicklungsdebatte im Laufe der Jahrzehnte änderte. Die internationale Entwicklungspolitik begann in den 1950er-Jahren. Damals entstand auch die  Entwicklungstheorie, wie der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Gunnar Myrdal feststellte. Er definierte in den 1970er-Jahren Entwicklung als „die Aufwärtsbewegung des gesamten sozialen Systems“, die Wirtschaft, Politik, Bildungs- und Gesundheitswesen umfasst. Er ging von einer „zirkulären Kausalität“ aus, bei der  Entwicklung in einem Bereich Entwicklung in anderen beeinflusse. So betrachtet spiegeln die MDGs Myrdals Theorie wider. Die Fachwelt  erwartete seinerzeit allerdings, der Fortschritt werde linear weitergehen, sobald der Entwicklungsprozess in Gang gesetzt sei. 

Lineare Fortschrittsvorstellungen lassen jedoch die kontextuellen Realitäten außer Acht. Was in Europa oder Nordamerika in der Vergangenheit funktioniert hat, muss nicht auch in Afrika funktionieren. Zudem stehen wir vor globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, neuen Krankheiten und einem labilen Weltwirtschaftssystem. All das erfordert globales Handeln und nicht nur nationale Maßnahmen. Die am wenigsten entwickelten Länder müssen einen funktionierenden Rechtsstaat aufbauen. Solange sie dies nicht tun, können sie nicht viel zur Verbesserung von Global Governance beitragen. Gleichzeitig überwältigen wiederkehrende Krisen ärmere Länder, wenn globale Risiken nicht eingedämmt werden.

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung erfordern Wandel

In diesem Zusammenhang markieren die SDGs eine wichtige Veränderung. Sie formulieren eine multilaterale Vision für die Armutsbeseitigung auf internationaler Ebene bis 2030 sowie für die langfristige Erhaltung der Umwelt unseres Planeten. Dafür ist Wandel in allen Ländern notwendig. Arme Länder müssen meist die MDGs noch erreichen. Es liegt an den reicheren sicherzustellen, dass der Planet nicht weiter Schaden nimmt und die internationale Gemeinschaft fähig wird, globale öffentliche Güter zu gewährleisten.  

Baba G. Jallow ist der erste Roger-D.-Fisher-Stipendiat für Verhandlungen und Konfliktlösung an der juristischen Fakultät der Harvard-Universität und ehemaliger Exekutivsekretär der Kommission für Wahrheit, Versöhnung und Wiedergutmachung in Gambia (TRRC). 
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