Schuldenkrise
„Ohne Schuldenerlass geht es mit Sri Lankas Wirtschaft weiter bergab“
Im April 2022 wurde Ihre Regierung zahlungsunfähig. Wie geht es der Wirtschaft jetzt?
Die Lage ist bitter. Voriges Jahr schrumpfte die Wirtschaftsleistung Sri Lankas um 7,8 Prozent, und sie geht weiter zurück. An die 500 000 formale Arbeitsplätze gingen verloren. In der Bauwirtschaft wurde eine weitere Million informeller Jobs gestrichen. Die Lebenshaltungskosten sind um über 70 Prozent gestiegen. Laut Weltbank hat sich die Armutsquote 2022 auf 25 Prozent verdoppelt. Das UNDP schätzt, mehr als die Hälfte der Bevölkerung leide nun unter multidimensionaler Armut, die auch Dinge wie Kindersterblichkeit, Ernährung, Schulbesuch und Konsumgewohnheiten erfasst.
Hilft das Rettungspaket nicht, das Ihre Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgehandelt hat?
Das Problem ist die Sparpolitik, die unsere Regierung durchsetzt, um dessen Bedingungen zu erfüllen. Sozialausgaben wurden gekürzt, einschließlich Subventionen für Grundbedarfsgüter. Der Wechselkurs der Rupie ist abgestürzt, und der Dollar kostet jetzt 360 Rupien statt vorher 200. Die Treibstoffpreise haben sich verdreifacht. Die Zentralbank steigerte den Leitzins von sechs auf 16 Prozent. Derzeit liegt er bei 11 Prozent, aber gewerbliche Darlehen kosten bis zu 30 Prozent Zinsen, was kreditfinanzierte Investitionen unrentabel macht. Die Sparpolitik verschärft die Probleme, die vorher von der Corona-Pandemie, dem Rückgang der Migrantenüberweisungen und den steigenden Nahrungs- und Energiepreisen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine verursacht wurden.
Bitte skizzieren Sie die politische Situation.
Die Regierung agiert zunehmend repressiv. Sie schränkt mit neuen Gesetzen bürgerliche Freiheiten ein. Dabei geht es um ein neues Antiterrorgesetz, ein neues Onlinesicherheitsgesetz und ein neues Rundfunkgesetz. Öffentliche Regierungskritik wird eingeschränkt. Kommunalwahlen wurden verschoben, weil sie angeblich zu teuer gewesen wären. Nächstes Jahr stehen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Werden sie stattfinden? Wir wissen es nicht.
Voriges Jahr stürzte eine breite Oppositionsbewegung die Regierung des rechtspopulistischen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa. Ist der demokratische Schwung verloren gegangen?
Anfänglich weckten die Proteste tatsächlich Hoffnungen, aber das Ergebnis ist nun eine schwächere, nicht eine stärkere Demokratie. Laut unserer Verfassung wählt das Volk sowohl Staatschef als auch Parlament. Nach der Flucht Gotabayas bestimmte das Parlament, das dessen Anhänger weiterhin dominieren, Ranil Wickremesinghe zum neuen Präsidenten. Er ist der Rajapaksa-Oligarchie verbunden. Wie Sie wissen, ist Gotabayas Bruder Mahinda selbst ein ehemaliger Präsident und gehörte zusammen mit anderen Brüdern zu Gotabayas Kabinett.
Die Schulden, die Ihr Land erdrücken, wurden großenteils unter Mahinda aufgehäuft. Ist Korruption das Grundproblem?
Korruption ist wichtig, wird aber oft überbewertet. Wir erleben jetzt Sri Lankas 17. IWF-Paket. Die Zahl selbst zeigt, dass wir nie auf einem nachhaltigen Wachstumspfad waren. IWF-Konzepte haben Sri Lankas Probleme nicht gelöst, sondern verschärft. Im Lauf der Jahrzehnte wurde unser Sozialstaat geschwächt. Im Zuge von Liberalisierungen wurden Staatsmittel für Bildung und Gesundheitswesen gestrichen, sodass die entsprechenden Kosten für die Menschen stiegen. Universitäten ohne Studiengebühren sind nun bedroht, und auch unser allgemein zugängliches Gesundheitswesen wird angegriffen. Für die Leute wird das Leben prekärer. Andererseits hat marktorthodoxe Politik spekulative Investitionen ermöglicht, sodass gelegentliche Wachstumsschübe immer wieder zu neuen Auslandskrediten führten, die der Staat, aber auch private Firmen aufnahmen. Das Muster ist, dass wir, wenn die Schuldenlast zu groß wird, voraussichtlich wieder eine Staatspleite bekommen und dann das nächste IWF-Programm zu noch stärkerer Marktorthodoxie führt.
In vielen aktuellen Schuldenkrisen weltweit sind Darlehen von privaten Kreditgebern wichtiger als früher. Außerdem hat China riesige Darlehen vergeben. Multilaterale Banken und westliche Regierungen jedenfalls sind nicht mehr die Hauptakteure. Westliche Regierungen wollen, dass alle Parteien in die Art von Schuldenrestrukturierung involviert werden, die Sri Lanka offensichtlich braucht. Sehen Sie dahingehend Fortschritt?
Wir bekommen nur recht vage Informationen. Die Regierung sagt, sie komme in Gesprächen sowohl mit China als auch mit ausländischen Privatfinanziers voran. Was China angeht, erfahren wir ein bisschen mehr, was nahelegt, dass die anderen Verhandlungen vermutlich noch zäher verlaufen. Indien ist übrigens auch wichtig. Es hat die Wickremesinghe-Regierung mit frischen Krediten versorgt und will offensichtlich Chinas Einfluss eindämmen. Es sähe auch gern, dass indische Investoren Infrastruktur in Sri Lanka kaufen, wenn Einrichtungen wie etwa der Hafen von Colombo privatisiert werden. Geostrategische Kalküle sind wichtig.
Westlichen Regierungen scheinen besonders Wert darauf zu legen, dass China und die Privatwirtschaft bei Umschuldungen mitmachen. China ist ein schwieriger Partner. Im Fall Sambias ließ es sich nur auf eine begrenzte Umschuldung ein und bestand darauf, dass die Zahlungen sofort wieder beginnen müssen, sobald die Wirtschaft sich ausreichend erholt hat. Das macht die Zukunftsaussichten düsterer, als sie bei einem Neustart mit deutlich reduzierter Schuldenlast gewesen wären.
Sri Lanka hat ebenfalls Probleme mit China. Bislang gibt es keine Selbstverpflichtung Pekings zur Umschuldung. Wir sind ein Land mit mittleren Durchschnittseinkommen, aber das G20 Common Framework for Debt Treatments, das China unterstützt, gilt nur für Länder mit niedrigen Einkommen. Ohne Schuldenerlass geht es mit Sri Lankas Wirtschaft aber nicht weiter. Der IWF beschleunigt dabei die Abwärtsspirale. Er will nächstes Jahr einen primären Haushaltsüberschuss sehen, der dann 2025 auf 2,3 Prozent steigen soll. Das ist brutal. Letztes Jahr hatten wir ein Primärdefizit von 3,7 Prozent.
Eine Staatspleite bedeutet beschädigte Souveränität. Ich frage mich, wie demokratische Selbstbestimmung eigentlich in Ländern funktionieren soll, die unbezahlbare Schulden einer früheren Regierung lähmen.
Hilfreich wäre ein internationales Regelwerk für Staatsinsolvenzen. Alle Länder haben rechtliche Bestimmungen, die dafür sorgen, dass Pleiten von Privatunternehmen nur begrenzten wirtschaftlichen Schaden anrichten. So etwas brauchen wir auch für Staatspleiten. Ein klares Regelwerk würde einen Neuanfang ermöglichen und Raum für neue demokratisch legitime Politik schaffen. Stattdessen müssen Regierungen hochverschuldeter Länder mit dem IWF Rettungspakete aushandeln, wobei die demokratische Öffentlichkeit außen vor bleibt. Tatsächlich schonen IWF-Konditionen Sri Lankas Oligarchie, belasten aber benachteiligte Menschen. Eine Vermögenssteuer wäre beispielsweise sinnvoll, weil sie die Staatskassen stärken, aber nur die reichsten Familien belasten würde. Sie soll 2025 auch kommen, aber Verbrauchssteuern, die Leuten mit niedrigen Einkommen wehtun, wurden sofort erhöht. Laut IWF ist die Vermögenssteuer schwer zu verwalten und lässt sich deshalb nicht schneller einführen. Solche Sorgen werden aber nicht geäußert, wenn Sparpolitik massenhaft Arme trifft.
Die deutsche Bundesregierung hat sich für ein Staatsinsolvenzverfahren ausgesprochen. Vermutlich wünschen Sie sich von ihr, dass sie sich mit mehr Vehemenz dafür einsetzt. Was sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach noch tun?
Ich hätte eine ganze Reihe von Wünschen. Nach China, Japan und Indien ist Ihr Land mit gewissem Abstand der viertwichtigste bilaterale Kreditgeber Sri Lankas. Zusammen mit Japan haben Sie nennenswerten Einfluss im Pariser Club der westlichen Geberländer. Dieselben Länder dominieren auch den IWF. Ihre Regierung sollte die vorherrschende, aber fehlgeschlagene Marktorthodoxie infrage stellen. Sie könnte auch ihren Einfluss dafür nutzen, dass der IWF weniger strenge, aber sinnvollere Konditionen stellt.
Sind manche Konditionen kontraproduktiv?
Ja. Unser aktuelles Paket fordert absurderweise, dass heimische Kreditgeber Schulden streichen. Sie haben aber Rupien-Anleihen gekauft, die eigentlich unwichtig sind. Kredite in ausländischen Währungen werden zu Fesseln, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten und der Wechselkurs der Rupie abstürzt. Internationale Privatfinanziers fordern aber solch eine Belastung heimischer Anleger. So wie es umgesetzt wird, ist weiteres Leid in der Zukunft programmiert. Die Zentralbank entschied sich dagegen, Banken zu Schuldenstreichungen zu zwingen, weil das zum Ansturm auf einzelne Finanzhäuser und sogar zum Kollaps des Finanzsystems hätte führen können. Stattdessen strich die Zentralbank Staatsanleihen, welche die privaten Pensionsfonds hielten, die für formal Beschäftigte die Altersversorgung sicherstellen. Also werden Rentner künftig ärmer sein. Pikant ist dabei, dass die Zentralbank eigentlich die Hüterin der Pensionsfonds ist. Um IWF-Forderungen zu erfüllen, hat sie ihre Pflichten zur Sicherung der Altersversorgung vernachlässigt.
Ahilan Kadirgamar ist Soziologe und Senior Lecturer der Universität Jaffna.
ahilank@univ.jfn.ac.lk